Wie sich eine kleine Gruppe in eine Opferrolle hineinfantasiert, die ihr schlichtweg nicht zusteht. <BR /><BR /><BR /><BR />In der Corona-Pandemie hat sich zuletzt ein Spannungsfeld aufgebaut, in dem Impfgegner immer wieder darauf hinweisen, sich in einer Diktatur zu sehen. Dabei werden auch regelmäßig Vergleiche mit dem Nationalsozialismus und dem damaligen Ausschluss von Juden aus dem öffentlichen Leben gezogen. Ein oft geteiltes Facebook-Posting zeigt etwa ein Bild eines alten „Gesundheitspasses“.<BR /><BR />In Begleittexten wird meist behauptet, dass dieser Pass damals notwendig war, „um Zugang zu Museen, öffentlichen Gebäuden, Theatern, Schulen und Arbeitsplatz“ zu erhalten. Heute wiederhole sich die Geschichte – durch den Grünen Pass, der Ungeimpfte von vielen Bereichen des öffentlichen Lebens ausschließe. <BR /><BR />Das schlichtweg falsch! Der „Gesundheitspass“ hatte im Nationalsozialismus keine flächendeckende Relevanz und führte zu keinen Bewegungseinschränkungen, wenn man ihn nicht dabei hatte; der Gesundheitsstatus entschied im Nationalsozialismus nie über den Zugang zum öffentlichen Leben. Diese Bedeutung hatte dagegen der Ahnennachweis. Hier stand aber einzig die Abstammung einer Person im Mittelpunkt und nicht der Gesundheitszustand. Ein Vergleich mit heutigen Impfzertifikaten ist nicht zulässig.<BR /><BR /><b>Keine Bewegungseinschränkung</b><BR /><BR /> „Dieser Gesundheitspass hat mit Abstammungsnachweisen, wie sie in der NS-Zeit etwa Beamte beibringen mussten, nichts zu tun“, sagte Winfried Süß vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung auf Anfrage der Nachrichtenagentur APA. Der Pass sei von NS-Organisationen wie der Hitlerjugend (HJ) oder dem Amt für Volksgesundheit der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) ausgegeben worden, um dort Ergebnisse von Untersuchungen zu dokumentieren. Es habe sich um kein Dokument gehandelt, das den Zugang zum sozialen bzw. Arbeitsleben geregelt hätte und sei lediglich für gesundheitsfürsorgerische Leistungen wie Kuraufenthalte erforderlich gewesen.<BR /><BR />Im praktischen Leben hätte der Gesundheitspass kaum Bedeutung gehabt. „Kurz gesagt: eine Bewegungseinschränkung ergab sich durch das Nicht-Mitführen dieses Ausweises auf keinen Fall, das geht übrigens schon aus dem „Kleingedruckten“ unten hervor: der Pass brauchte Nichtärzten nicht vorgelegt zu werden“, sagt der Historiker.<BR /><BR />Robert Jütte, von 1990 bis 2020 Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart, bestätigte der APA, dass der Gesundheitspass sowohl in der Hitlerjugend als auch in der arbeitenden Bevölkerung zur Kontrolle der gesundheitlichen Verfassung diente. Jütte verweist auf eine Stelle im „German Basic Handbook“, wo vom Einsatz des Passes im Arbeitsdienst berichtet wird.<BR /><BR /><b>Nur wegen der jüdischen Herkunft</b><BR /><BR />Mit dem im Posting erwähnten „genealogischen Pass“ kann laut Jütte „nur der sogenannte Ahnenpass gemeint sein, der bei bestimmten Anlässen (z. B. Heirat, Verbeamtung etc.) vorzulegen war“. Faktisch ist es nicht falsch, dass Juden – die weder einen Ahnenpass noch einen Ariernachweis ausgestellt bekamen und folglich auch nicht mitführen konnten – systematisch aus dem gesellschaftlichen, öffentlichen und dem Arbeitsleben ausgeschlossen wurden. Das lag allerdings ausschließlich an ihrer jüdischen Herkunft.<BR /><BR />Der Vergleich, der von Impfgegnern bezüglich der Verfolgung von Juden im Nationalsozialismus gezogen wird, fußt laut Universitätsprofessor Herwig Czech von der MedUni Wien auf einer „Analogie, die sich aus so vielen Gründen verbietet“. Hier würden sich Menschen „in die Position einer Gruppe fantasieren“, mit der sie nichts gemein hätten. Jeder habe heute die Wahl, sich eine Corona-Impfung verabreichen zu lassen. Für Juden im NS-Regime war die Marginalisierung, ab 1941 mit dem sogenannten „Judenstern“ auf der Brust auch optisch, jedoch alternativlos.<BR /><BR /><b>Gedenkstätte setzt Zeichen</b><BR /><BR />Die von Impfgegnern zunehmend gezogenen Vergleiche der heutigen Situation in der Pandemie mit der Situation der Juden im Nationalsozialismus zwang zuletzt auch die KZ-Gedenkstätte Mauthausen zu einem Statement. Auf Facebook wurde ein Text veröffentlicht, wonach man sich entschieden „gegen die Vereinnahmung von Impfgegner*innen“ wehrt: „Einschränkungen im Alltagsleben und eine anstehende Impfpflicht sind mit den Taten der Nationalsozialisten in keiner Weise zu vergleichen. Sich auf eine Stufe mit Opfern dieser Verbrechen zu stellen, weil man vorübergehend nicht alle gewohnten Annehmlichkeiten genießt, ist eine unerträgliche Anmaßung.“<BR /><BR />