<b>Von Martina Hofer</b><BR /><BR />„Was dauert denn so lange, können Sie nicht weitertun?“ Der Mann an der Kasse hinter Claudia ist ungeduldig, seine Stimme laut, sein Blick bohrend. Sie spürt, wie sich Hitze in ihr Gesicht schiebt – nicht wegen der Worte, sondern wegen der Ohnmacht, die sie auslösen. Denn die 33-Jährige aus dem Tauferer Ahrntal hat keinen Gips, keine Krücken, keine offensichtliche „Entschuldigung“ für ihre Langsamkeit, und doch schafft sie es kaum, den Einkauf in die Tüte zu hieven. <BR /><BR />Seit eineinhalb Jahren leidet sie nun schon an rheumatoider Arthritis, einer chronisch-entzündlichen Gelenkerkrankung, die nicht sichtbar, aber jeden Tag spürbar ist. „Kontrastprogramm“ – so beschreibt Claudia Hellweger selbst ihren neuen Alltag, der so unvermittelt in ihr Leben kam wie ein Unwetter an einem klaren Sommertag. Plötzlich, heftig und nicht aufzuhalten.<h3> Von der Bergtour in die Uniklinik</h3>Behütet aufgewachsen im idyllischen Ahrntal, bestimmte der Freizeitsport Claudias Leben. Wann immer möglich, schnallte sie sich den Klettergurt um oder holte das Snowboard aus dem Keller und war draußen unterwegs. Zwar fühlte sie sich in der Jugend manchmal grundlos schlapp, doch man tat es damals gern als Faulheit ab. Noch während des Studiums für Erziehungswissenschaften in Innsbruck legte sich die Pustererin das Instagram-Profil „Claudiraudiii“ zu und nahm ihre – mittlerweile sind es 16.000 Follower – regelmäßig mit auf ihre Bergabenteuer – egal, ob im Fels, im Schnee oder in fernen Ländern. <BR /><BR />Auch die Sonnenaufgangswanderung auf den Peitlerkofel im August 2023 sollte wieder spektakuläre Bilder für Instagram liefern. Ins Gedächtnis eingebrannt haben sich bei Claudia Hellweger jedoch die krassen Schmerzen im Fuß, die nach dieser Tour unvermittelt auftraten. „Ich konnte nicht mehr auftreten und bin tags darauf in die Klinik gefahren“, erinnert sich die Heilpädagogin, die mittlerweile in Innsbruck arbeitet und mit ihrem deutschen Partner Marco unter der Nordkette lebt. <BR /><BR />Man stellte Hellwegers Fuß mit einem Gips ruhig, nach zehn Tagen war alles wieder gut. Heute weiß sie: Es war der erste Schub einer Krankheit, die immer öfter ihre grässliche Fratze zeigen sollte. Im Oktober etwa traten plötzlich Schulterschmerzen auf, mal linksseitig, mal rechts. Blutproben ergaben schließlich, dass ein Wert extrem hoch war. Man überwies Hellweger in die Rheumaambulanz in Innsbruck, mit einer Wartezeit von zwei Monaten – die schlimmsten acht Wochen ihres Lebens, weiß die Pustererin heute. Denn die Entzündungen betrafen nun auch die Handgelenke, Knie, Hüfte, die Finger- und Zehengelenke. Trotz Schmerzmitteln war das Leiden kaum erträglich. Immer wieder musste Claudia Hellweger in die Notaufnahme, um Infusionen zu bekommen. „Ich konnte mich weder anziehen noch Haare waschen oder gar kochen. Ich war ein Pflegefall und 24 Stunden auf Hilfe angewiesen. Hätte sich mein Partner nicht um mich gekümmert, ich hätte zurück in mein Kinderzimmer ziehen müssen“, umreißt sie die schwere Situation vor der Diagnose im Februar 2024. Diese riss ihr dann endgültig den Boden unter den Füßen weg. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1206510_image" /></div> <BR /><BR />„Ich bin in Tränen ausgebrochen, es war ein Schlag ins Gesicht“, erzählt Hellweger von dem Tag, der ihr Leben in ein Vorher und ein Nachher teilen sollte. Wie ein Film gingen ihr Bilder von Menschen mit Fehlstellungen oder im Rollstuhl durch den Kopf. Eine rheumatische Erkrankung verband die junge Frau immer mit einem Leiden alter Menschen. Und nun sollte sie davon betroffen sein? „Anfangs haderte ich schwer mit dieser unheilbaren Autoimmunerkrankung, die ohne Vorwarnung, ohne wirklichen Grund plötzlich da war“, gibt die junge Frau zu.<h3> Zu erschöpft, um zu sprechen</h3>Nicht mehr der Sport oder gesellige Treffen mit Freunden bestimmten fortan ihre Freizeit, sondern Arzttermine, Blutkontrollen, Physio- und Ergotherapie. Auch beruflich musste sie einen Gang zurückschalten und arbeitet heute in Teilzeit. Für mehr als vier bis fünf Stunden reiche die Energie nicht, schildert sie und schleppt sich oft trotz Schmerzen zur Arbeit. Zu groß sind das Verantwortungsbewusstsein gegenüber ihren minderjährigen Klienten, aber auch die Sorge um ihren Job, der viel Genugtuung schenkt. <BR /><BR />Komplett schmerzfreie Tage gibt es mittlerweile so gut wie keine mehr im Leben von Claudia Hellweger. Und diese wenigen, in denen sie ohne Beschwerden aus dem Bett steigt, kann sie oft nur schwer genießen, zu sehr grämt sie das nächste Tief nach dem Hoch. <BR /><BR />Biologika-Spritzen lindern zwar den Schmerz, und psychologische Unterstützung fängt auf, was sich innerlich anstaut, trotzdem vermisst die junge Frau die Leichtigkeit des Seins. „Manche Verabredung zum Fortgehen muss ich zum fünften Mal absagen – nicht, weil ich nicht will, sondern weil der Körper nicht mitmacht. Die Erschöpfung ist nach meiner Arbeit manchmal so groß, dass ich kaum mehr sprechen kann“, erzählt sie mit einem stillen Seufzer.<BR /><BR />Und dann gebe es die Tage, da wolle sie gar nicht sprechen und reagieren auf Sätze wie „aber du schaust doch gar nicht krank aus.“<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1206513_image" /></div> <BR />„Ich muss niemandem beweisen, dass ich krank bin. Wenn jemand denkt, ich übertreibe, ist das so“, stellt sie nüchtern klar. Denn: Es sei mühsam, ständig gegen Vorurteile anzukämpfen und sich erklären zu müssen. „Es gibt so viele unsichtbare Erkrankungen. Darum wünsche ich mir einfach ein bisschen mehr Verständnis und Akzeptanz.“ <BR /><BR />Nicht zuletzt deshalb hat sie ihr Outdoor-Instagram-Profil mittlerweile um die Rheumathematik erweitert. Der Schritt habe zwar viele Follower gekostet, sagt die Mikro-Influencerin. Doch auch einige neue gebracht, vor allem selbst Betroffene. „Ich merke, wie viele wir sind. Das bestärkt mich in meinem Tun, unsere Mitmenschen aufzuklären, Betroffenen eine Stütze zu sein und an schlechten Tagen meinen eigenen Mut nicht zu verlieren.“ <BR /><BR />Auch deshalb hält Claudia Hellweger an ihrer Outdoor-Leidenschaft fest. Anstatt hochzuwandern, fährt sie halt eben mit der Seilbahn auf den Berg, und zum Snowboarden geht es nur eine Stunde, nicht den ganzen Tag. „Die Krankheit gehört zwar zu mir, aber sie bestimmt nicht, wer ich bin oder was ich erreichen kann. Trotz Einschränkung bin ich viel mehr als nur meine Erkrankung.“ Den höchsten Gipfel sehen ihre Follower damit zwar nicht mehr, jedoch alle Höhen und Täler ihrer Erkrankung – lose Geröllfelder der Ungewissheit, felsige Schluchten der Rückschläge, aber auch immer mal wieder Lichtmomente kleiner Erfolge. Mit der Dokumentation ihrer Erfahrungen und einer neuen Instagram-Chatgruppe, speziell für Betroffene, möchte sie heute jene „Bergführerin“ sein, die sie sich selbst an ihrer Seite gewünscht hätte, als die Diagnose kam. So mancher Sturz und Irrweg wären ihr wohl erspart geblieben.<BR /><BR /> <a href="mailto:redaktion@stol.it" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Sie haben einen Fehler entdeckt? Geben Sie uns gerne Bescheid!</a>