In den letzten zwei Jahren wurde ein riesiger Bestand an Karteikarten zur Option digitalisiert. Für die Wissenschaft, aber auch für die Bevölkerung, tut sich hier ein nahezu beispielloser Datenschatz auf.<BR /><BR />In den letzten Jahren wurden sagenhafte 267.000 Karteikarten aus dem Bestand der damaligen „Dienststelle Umsiedlung Südtirol“ im Tiroler Landesarchiv, sowie etwa 25.000 ebensolche Karten von Rückkehrern nach 1945 aus dem Bozner Staatsarchiv mit Hilfe künstlicher Intelligenz digitalisiert. Dort sind unter anderem Name, Geburtsdatum, Beruf und Angaben zur Familie vermerkt, in den dazugehörigen Aktenbeständen noch zahlreiche weitere Details. Hier wurden allerdings nur zwei Orte als Fallbeispiele vollständig gescannt.<BR /><BR />Die Leiterin dieses Projektes ist Eva Pfanzelter, Historikerin am Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck. Das Potenzial, das diese Daten hätten, sei riesig, meint sie: „Ich kenne keinen Bestand eines Gebietes, der so umfassend ist.“<h3> „Deutlich über 90 Prozent fürs Gehen“</h3>Nach dem Optionsabkommen zwischen Italien und dem Deutschen Reich 1939 gaben rund 130.000 Familien eine Erklärung ab, ob sie italienische Staatsbürger bleiben, oder ins Deutsche Reich umsiedeln wollten. Nach derzeitigem Wissensstand entschieden sich rund 86 Prozent dafür, zu gehen. Doch möglicherweise ist das eine der Zahlen, die man mit dem neuen Material revidieren wird müssen. Pfanzelter: „Wir haben bis jetzt nur stichprobenartig Orte angeschaut. Und da waren es deutlich über 90 Prozent, die sich fürs Gehen entschieden haben.“ <BR /><BR />Auch weiteren Erzählungen aus der Vergangenheit wird man mit den Daten auf den Zahn fühlen können. So berichtet Pfanzelter, man habe zum Beispiel überraschend viele Karteien von Frauen als Familienoberhäuptern gefunden. Ebenfalls untersuchen könne man an dem Bestand perfekt die Frage, ob es sich tatsächlich – wie bisher angenommen – um die „Ungelernten“ gehandelt habe, die eher nach Deutschland wollten. Tendenziell schon, meint die Historikerin: „Ich habe bisher den Eindruck, dass das stimmen könnte.“<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="855761_image" /></div> <BR /><BR />Manches wird aber vielleicht auch ein Rätsel bleiben. So seien auf den Karteikarten sehr oft Zahlencodes vermerkt, allerdings fehle der Schlüssel zu deren Bedeutung.<BR /><BR />Doch nicht nur Forscherinnen und Forscher sollen sich an dem Datenschatz bedienen können. Auch die breite Öffentlichkeit soll einen Zugang haben, wenn die Karteikarten auf eine Plattform ins Netz gestellt werden. Pfanzelter: „Man wird aus Datenschutzgründen vielleicht nicht alles online stellen können. Aber für die Öffentlichkeit in Südtirol sollte es schon interessant sein.“<BR /><BR /><embed id="dtext86-57873842_quote" /><BR /><BR /><BR />Mit schmerzhaften Diskussionen, wie sie in der Vergangenheit zum Thema Option stattgefunden haben, rechnet Pfanzelter, selbst aus Kastelruth gebürtig, nicht: „Ich würde hoffen, dass durch diesen fast schon mathematischen Zugang das etwas weniger emotional behandelt wird.“ Die damals Betroffenen seien – bis auf ganz wenige Ausnahmen – inzwischen gestorben, die jüngere Generation sei eher an der generellen Familiengeschichte interessiert.<BR /><BR />Bis die Daten online gestellt werden, wird aber ohnedies noch etwas Zeit vergehen. Derzeit ist Pfanzelter nämlich als Gastprofessorin an der Universität in New Orleans tätig. Sie vermutet, dass man bis zum Frühsommer soweit sein werde. Dann müsse ein Probelauf stattfinden, die Daten müssten eventuell noch etwas von Erfassungsfehlern gesäubert werden. Pfanzelter: „Die Präsentation wird vermutlich im Herbst 2023 stattfinden.“<BR /><BR />Was danach von wissenschaftlicher Seite weiter mit den Daten passiert, das hängt wie so oft, an der Finanzierung. Das Geld für das jetzige Projekt stammte vom Land Südtirol, dem Bundesland Tirol und dem Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung (FWF).<BR />