Russische Soldaten, die das Gebiet um den havarierten Atomreaktor von Tschernobyl besetzt haben, sind mit ihren gepanzerten Fahrzeugen ohne Strahlenschutz durch den „Roten Wald“ gefahren – eine extrem verstrahlte Zone. Dabei haben sie radioaktive Staubwolken aufgewirbelt, berichteten 2 ukrainische Arbeiter vor Ort.
Die Quellen berichteten der Nachrichtenagentur Reuters, die Soldaten im Konvoi hätten keine Strahlenschutzausrüstung getragen. Dies sei „selbstmörderisch“, da der radioaktive Staub, den die Soldaten einatmeten, wahrscheinlich zu einer inneren Verstrahlung ihres Körpers führen würde.
Die staatliche ukrainische Atomaufsichtsbehörde hatte am 25. Februar mitgeteilt, dass die Strahlungswerte in Tschernobyl infolge der Erschütterung des Bodens durch schwere Militärfahrzeuge gestiegen seien. Bisher waren jedoch noch keine Einzelheiten über den genauen Hergang bekannt geworden.
Beide Arbeiter sagten der Nachrichtenagentur Reuters, sie hätten russische Panzer und andere gepanzerte Fahrzeuge gesehen, die sich durch den „Roten Wald“ bewegten, den am stärksten radioaktiv verseuchten Teil der Zone um Tschernobyl, etwa 100 Kilometer nördlich von Kiew.
Die Soldaten, mit denen einer der Arbeiter sprach, hatten nie etwas von der Explosion gehört, sagte er.
Das russische Verteidigungsministerium reagierte nicht auf die Berichte der Tschernobyl-Mitarbeiter. Das russische Militär erklärte nach der Eroberung der Anlage, die Strahlung liege im normalen Bereich und ihr Vorgehen habe mögliche „nukleare Provokationen“ durch ukrainische Nationalisten verhindert. Russland hat bisher bestritten, dass seine Streitkräfte nukleare Einrichtungen in der Ukraine in Gefahr gebracht haben.
Der „Rote Wald“: Strahlung hatte Bäume im Umkreis von Tschernobyl rot gefärbt
Der Ort erhielt seinen Namen, weil sich Dutzende von Quadratkilometern des Kiefernwaldes wegen der Strahlung rot färbten.
Ein großes Gebiet rund um Tschernobyl ist für jeden, der dort nicht arbeitet oder eine Sondergenehmigung hat, tabu, aber der „Rote Wald“ gilt als so stark kontaminiert, dass selbst die Mitarbeiter des Kernkraftwerks ihn nicht betreten dürfen.
Russische Soldaten offenbar nichtsahnend im verseuchten Gebiet
Der russische Militärkonvoi fuhr durch die Zone, sagten die beiden Mitarbeiter. Einer der beiden sagte, er habe eine verlassene Straße benutzt.
„Ein großer Konvoi von Militärfahrzeugen fuhr auf einer Straße direkt hinter unserer Anlage, und diese Straße führt am ,Roten Wald‘ vorbei“, sagte einer der Informanten.
„Der Konvoi wirbelte eine große Staubwolke auf. Viele Strahlenschutzsensoren zeigten Überschreitungen an“, sagte er.
„Niemand fährt dorthin ... um Himmels willen“
Valery Seida, der stellvertretende Generaldirektor des Kernkraftwerks Tschernobyl, war zu diesem Zeitpunkt nicht vor Ort und hat nicht miterlebt, wie der russische Konvoi in den Roten Wald fuhr, aber er sagte, dass ihm von Zeugen berichtet wurde, dass russische Militärfahrzeuge überall in der Sperrzone herumfuhren und den „Roten Wald“ passiert haben könnten.
„Niemand fährt dorthin ... um Himmels willen. Es ist niemand dort“, sagte Seida gegenüber Reuters.
Reuters habe die Aussagen der Zeugen nicht unabhängig überprüfen können. Sie seien am Freitag unter der Bedingung der Anonymität telefonisch interviewt worden, weil sie um ihre Sicherheit fürchteten. Am nächsten Tag nahmen russische Streitkräfte die Stadt Slawutytsch in der Nähe von Tschernobyl ein, in der die meisten Arbeiter des Kraftwerks leben.
Einer der Angestellten hatte berichtet, er habe mit einigen der russischen Berufssoldaten in der Anlage gesprochen: „Als sie gefragt wurden, ob sie von der Katastrophe von 1986, der Explosion des vierten Blocks (der Tschernobyl-Anlage), wussten, hatten sie keine Ahnung. Sie hatten keine Ahnung, in welcher Art von Anlage sie sich befanden“, sagte er.
„Wir haben mit normalen Soldaten gesprochen. Alles, was wir von ihnen hörten, war: ,Das ist eine kritische Infrastruktur‘. Das war's“, sagte der Mann.