Mit gedämpftem Interesse betrachtet Viktor die Lederschultasche und die alte, hölzerne Griffelschachtel, in der – unter dem beweglichen Deckel – auch tatsächlich ein Griffel zum Vorschein kommt. Dann wendet sich der angehende Schüler seinen bunten Stiften zu und ordnet sie in seiner nagelneuen Federtasche ein. „Diese gefallen mir besser“, meint er nur. <BR /><BR />Viktor schult heuer ein; er ist erst fünf Jahre alt und wird im Dezember sechs. „Du bist aber ein Großer“, sagt Oma Anna, in deren Obhut der Bub immer wieder ist. Heute schauen sie sich die alte Schulklasse im Turm Kränzelstein in Sarnthein an – nur ein paar Minuten von Omas Zuhause entfernt. <BR /><BR />Viktor staunt erst einmal. Sein Blick fällt auf die alten Holzbänke mit schräger Schreibfläche und schmaler, mit dem Tisch zusammenhängender Sitzbank. Kleine Schiefertafeln liegen auf den Tischen – zum Beschreiben mit dem Griffel. An der Wand hängt die grüne Tuchtafel mit den Rotkäppchen-Figuren, dazu ein Setzrahmen mit den aus der Fibel bekannten Wörtern: Mimi und Moni malen. <BR /><BR />Oma Anna war Lehrerin – zuerst in Reinswald, später in Sarnthein. „In solchen Schulbänken habe ich gesessen, als ich zur Schule ging, und es gab sie auch noch, als ich 1963 zu unterrichten begann – in Reinswald in einer Klasse im alten Bauernhaus der Pfarrei“, erzählt Anna Gruber. Sie unterrichtete die Erst-, Zweit- und Drittklässler – alle in einem Raum. Die Klasse ihrer Kollegin Greti Lintner war im alten Schulhaus neben der Kirche. Lintner unterrichtete die Viert- und Fünftklässler und die Jahrgänge darüber – bis zu den 14-Jährigen. Es gab zwar schon die Einheitsmittelschule in Sarnthein, aber von den Reinswaldern besuchten sie nicht viele. Sie hatten keine Fahrgelegenheit. <BR /><BR />Gruber denkt gerne an die Schulzeit zurück, an die Zeit als Schülerin und als Lehrerin. „Ich hatte auch Tuchtafel und Setzrahmen, wie sie hier in der Schulklasse im Turm sind“, sagt sie. Viel Anschauungsmaterial hat Gruber selbst angefertigt – in Klassenstärke. Geturnt wurde nie, dafür war es in der Klasse im Bauernhaus zu eng. „Wir haben nur zwischen den Stunden ein paar Übungen gemacht“, erinnert sich Gruber an ihr erstes Jahr als Lehrerin. <BR /><BR />Im Jahr darauf konnte nach Allerheiligen das neue Schulhaus bezogen werden, wo dann beide Klassen unter einem Dach waren. Es war geradezu luxuriös – mit großem Vorraum und Klassen mit großen Fenstern und einem Waschbecken. Im Vorraum konnte auch geturnt werden. „Die Schüler kamen zu Fuß; den weitesten Weg hatten die Joggler – eine Stunde“, sagt Gruber. Vor dem Unterricht besuchten sie die Schulmesse – Schüler und Lehrer. Dann ging es in die Klassen. <BR /><BR />„Früher war alles viel einfacher; man hat gelesen, geschrieben und gerechnet. Da war dann noch das Basteln – und das Theaterspielen. Es gab kein Weihnachten und keinen Muttertag ohne Theater“, sagt Gruber. Wie Schule heute ist, bekommt sie über ihre Enkel mit, denen sie auch oft bei den Aufgaben hilft. <BR /><BR />Viktor ist der Jüngste der sieben Enkelkinder, und er freut sich auf die Schule. Turnen, das weiß er jetzt schon, wird eines seiner Lieblingsfächer. In seiner Klasse werden auch die Fußballfreunde Manuel und Alex sein – und Sarah.