Das EE-Konzept macht es möglich, Eltern und Kinder auf ihren Weg achtsam zu begleiten und sie bei der Bewältigung von Herausforderungen zu unterstützen. Barbara Walcher brachte das Konzept nach Südtirol. Heute ist es erfolgreich im Südtiroler Sanitätsbetrieb implementiert. Im Gespräch mit s+ erklärt Barbara Walcher die Grundlagen des Konzepts und wie es Eltern helfen kann. <BR /><BR /><b>Welche Erfahrungen in Bezug auf die Eltern-Kind-Bindung konnten Sie in Innsbruck und Sterzing sammeln?</b><BR />Barbara Walcher: Die Erfahrungen waren sehr unterschiedlich, aber umso bereichernder. Während Anfang der 1990er-Jahre die Neugeborenen unmittelbar nach der Geburt von ihren Müttern getrennt wurden, es vorgegebene Still- und Fläschchenzeiten gab, stand in Sterzing am Ende der 1990er-Jahre die ganzheitliche Betreuung der Eltern und ihrer Neugeborenen im Vordergrund. Ich erlebte dort, wie viel Kraftvolles Mütter und Kinder freisetzen, wenn sie sich gesehen fühlen und in die Begleitung aktiv mit einbezogen werden. Wir haben als Team gemeinsam an diesem Strick gezogen, und diese Art der Begleitung war sowohl für uns als Betreuungsteam als auch für die Familien bereichernd. <BR /><BR /><b>Wie kamen Sie mit dem Konzept der EEH in Berührung?</b><BR />Walcher: Es gab immer wieder Begleitungssituationen, wo ich mit verzweifelten Müttern und untröstlich weinenden Kinder konfrontiert war. Medizinisch waren Mutter und Kind gesund. Über meine Ausbildung hatte ich kein Werkzeug kennen gelernt, aus dem Gesunden heraus Familien zu unterstützen, wenn dieses aufgrund unterschiedlicher Belastungen verschüttet war. Ich stellte mir die Frage: Wie kann ich das Gesunde im Menschen stärken, damit es bei Herausforderungen der Belastung entgegenwirken kann? Als ich dann einen Folder von der EEH in der Hand hielt, war das für mich wie ein Augenöffner. Ich absolvierte die Ausbildung in Österreich und Deutschland und begann das Gelernte in meiner Arbeit umzusetzen. <BR /><BR /><b>Was sind die Grundlagen dieses Konzeptes?</b><BR />Walcher: Es ist ein einfaches Grundkonzept für Eltern und Kinder, einerseits zur Etablierung von Ressourcen und andererseits zur „Ersten Hilfe“ bei Krisen mit dem Ziel, die Bindungsfähigkeit von Eltern und Kindern nachhaltig zu stärken über die Hinwendung zum körperlich-emotionalen Ausdruck. <BR /><BR /><embed id="dtext86-56247817_quote" /><BR /><BR /><b>Welche Rolle spielen Sie dabei?</b><BR />Walcher: Ich stelle mich als Begleiterin nicht beratschlagend über die Familien, sondern hole sie dort ab, wo sie gerade im Leben steht, mit ihren Stärken und Schwächen, Chancen und Wünschen. Werden sonst oft Lösungen beim Kind durch eine Verhaltensänderung gesucht, so geht es bei der EEH darum, sowohl das Kind als auch die Eltern in ihren jeweiligen Bedürfnissen wahr zu nehmen. <BR /><BR /><b>Wie begleiten Sie Mütter und Väter?</b><BR />Walcher: Ich begleite Eltern dabei, eigene Gefühls- und Körperreaktionen bewusst wahrzunehmen und die Körpersprachlichkeit des Babys lesen zu lernen. Ich nutze somit den Körper als zentralen Navigator und wende mich diesem über den Einsatz von Atmung, Halt gebender Körperberührung oder anderen Körpermethoden zu. Das Erkennen des eigenen Erlebens ermöglicht es, den Eltern eine innere Stabilität zu etablieren, um darüber das Kind in seiner Individualität zu erkennen und anzunehmen, auch in seinem herausfordernden Ausdruck. Das ist eine wichtige Voraussetzung für eine gesunde weitere Entwicklung. <BR /><BR /><b>Was sind die größten Herausforderungen für Eltern?</b><BR />Walcher: Ein häufiges Anliegen ist das untröstliche Weinen des Kindes. Eltern erleben dabei das Gefühl, ihre Angebote und Bemühungen laufen ins Leere. Das ist für sie sehr frustrierend und löst nicht selten ein Gefühl von Hilflosigkeit oder Überforderung aus. Weiters sind Still- und Ernährungsdynamiken ein häufiges Thema, ebenso wie der Umgang mit kindlichem Schlafverhalten. Hinzukommt das Aufarbeiten von schwierigen Geburtserfahrungen, die Verarbeitung von Fehl- und Totgeburten und ganz allgemein das Einfinden der Eltern in den Alltag mit dem Baby. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="816629_image" /></div> <BR /><BR /><b>Wie hat sich die Arbeit im Laufe der Jahre verändert?</b><BR />Walcher: Ich erlebe, dass die Grundbedürfnisse von Eltern und Kindern dieselben sind. Frauen gehen heute allerdings offener mit ihren Schwächen um und holen sich schneller Hilfe. Sie tauschen sich über die Herausforderung der Mutterschaft aus, reden darüber. Früher wurde Schwangerschaft und Geburt oft versteckt. Der schwangere Frauenkörper wurde verhüllt, das Stillen fand, wenn überhaupt, hinter verschlossenen Türen statt. Frauen fühlten sich dadurch mit ihren Sorgen oft allein gelassen und begehrten auch nicht auf. Heute wollen viele Mütter und Väter ihre Elternschaft in anderer Form, gleichberechtigt und im Miteinander erleben. Die Väter nehmen eine aktive Rolle ein. Die Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie über Kontaktbeschränkungen, Trennung der Väter von den Müttern, haben erneut viele Mütter und Väter in dieses Gefühl des Alleinseins versetzt. Das hat Spuren hinterlassen. <BR /><BR /><b>Was ist das Bereichernde an Ihrer Arbeit?</b><BR />Walcher: Es ist immer besonders, wenn sich Eltern und Kind erkennen, sie einander sehen und sich im selben Moment wahrgenommen fühlen. Sie begegnen sich im Herzen. Eltern und Kinder finden auf einer tiefen Ebene zueinander. Dem beiwohnen zu dürfen, ist für mich berührend. Es hat einen eigenen Zauber, der schwer in Worte zu fassen ist. Es ist wohl Liebe, die in solchen Momenten spürbar wird.<BR /><BR />ZUR PERSON<BR /><BR />Barbara Walcher aus Stilfes/Freienfeld arbeitete als Kinderkrankenpflegerin an der Abteilung für Kinderchirurgie in Innsbruck und am Mutter-Kind-Department im Krankenhaus Sterzing. Sie ist Gründungsmitglied des Verbandes der Stillberaterinnen IBCLC Südtirol – VSLS und war 6 Jahre deren Vorsitzende.<BR /> Seit 2012 ist sie in eigener Praxis freiberuflich tätig und Ausbildungsleiterin der Emotionalen Ersten Hilfe (EEH) in Italien. In dieser Funktion organisiert sie auch die Lehrgänge zur EEH-Fachberatung, die seit 2014 im Kloster Neustift angeboten werden. Barbara Walcher ist Mutter von 2 Kindern.<BR />