Was sie durchlebt, ist kaum auszuhalten: der Bruder Peter spurlos verschwunden, seine Lebensgefährtin Laura tot gefunden, der Neffe Benno unter schwerem Verdacht und die Nichte Madé plötzlich allein im Leben. Im Exklusiv-Interview beschreibt Michaela Neumair aus Bruneck diesen Alptraum und die „Tragödie in der Tragödie“. <BR /><BR /><BR /><i><BR />Interview: Michele Manca</i><BR /><BR /><b>Frau Neumair, wie fühlen Sie sich?</b><BR />Michaela Neumair: Das ist eine gute Frage – das fragen mich zurzeit alle. Ich habe das Gefühl, dass meine Trauer, mein Fühlen den Tatsachen einfach noch nicht nachgekommen sind. Vieles habe ich noch nicht verstanden, vor allem, weil ich meinem Bruder und Laura sehr nahegestanden bin.<BR /><BR /><b>Wann haben Sie sie das letzte Mal gesehen?</b><BR />Neumair: Am 19. Dezember, hier in Bruneck. Es war traurig, weil sie sich nicht recht getraut haben, in meine Wohnung zu kommen – wegen Covid. Wir haben uns im Wald getroffen und dort einen kleinen Umtrunk veranstaltet. Wir wollten uns sehen, wir trafen uns nämlich jedes Jahr in der Weihnachtszeit mindestens ein Mal zum Feiern.<BR /><BR /><embed id="dtext86-47974561_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wie war es, von der Entwicklung des Falls in den Medien zu hören und lesen?</b><BR />Neumair: Das ist die Tragödie in der Tragödie. Wenn es ein Unfall gewesen wäre, wäre es für mich eine ungemeine Erleichterung. Wäre es doch nur ein Unfall gewesen – sie hatten ein schönes Leben, das sie in vollen Zügen genossen haben, jeden einzelnen Tag. So sterben zu müssen, hat niemand verdient.<BR /><BR /><b>Wie bewerten Sie die Berichterstattung der vergangenen Wochen?</b><BR />Neumair: Die Berichterstattung ist natürlich gnadenlos. Es wird jede Grenze überschritten. In anderen Ländern wäre das nicht möglich – vor allem, Benno fast in einem Satz als Mörder, als Täter zu betiteln. In Deutschland könnte man nicht einmal den vollen Namen nennen, und sein Gesicht zeigen auch nicht.<BR /><BR /><embed id="dtext86-47974562_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wie ist Ihr Zugang zu dieser Tragödie?</b><BR />Neumair: Es ist für mich sehr schwierig – jemand hat Hass, jemand Wut. Ich bin zu diesem Hass noch nicht gekommen. Alle Hinweise deuten auf Benno als möglichen Täter hin. Damit hätte er sicher jegliche ethische und gesellschaftliche Konvention verletzt. Eine solche Tat kann in unserer Gesellschaft nicht geduldet werden. Falls er der Täter sein sollte, hat er die höchste Strafe bereits erhalten: Er ist erst 30 – so ist sein Leben auch an einem Scheidepunkt. Aus moralischer Sicht ist es ungeheuerlich – auch für ihn, deswegen tut er mir auch leid.<BR /><BR /><b>Haben Sie noch mit ihm geredet?</b><BR />Neumair: Ja, ich habe mit ihm geredet. Und ich muss sagen, ich war danach sehr verunsichert. Den Eindruck, dass er die Tat gar nicht präsent hat, werde ich nicht los. Ich kann kaum glauben, dass sich jemand in vollem Bewusstsein solch einer Tat so „normal“ verhält. Man würde sich erwarten, dass er zusammenbricht, dass er gesteht, dass er um Verzeihung bittet – nicht nur seine Eltern und die Familie, auch die Helfer für den unglaublichen Aufwand. Ich möchte einen riesigen Dank allen Helfern und Einsatzkräften aussprechen – ich, wir alle, sind so dankbar, dass unsere Lieben unermüdlich gesucht und Laura nun auch gefunden wurde.<BR /><BR /><b>Haben Sie nicht Angst, dass das alles irgendwann zu viel wird?</b><BR />Neumair: Ich fühle mich momentan doch einigermaßen stabil. Und weiß auch, wo ich Hilfe holen kann. Es belastet mich eher, dass für Madé die Welt noch mehr zusammengebrochen ist – sie hat keine Familie mehr. Sie ist jung, und plötzlich steht sie allein da. Carla (Lauras Schwester, Anm. d. Red.) samt Familie ist allzeit bei ihr, sie haben alle sehr viel für Madé geleistet.<BR />