Der Ex-Kripochef spricht im Interview über seinen brutalsten und den kniffligsten Fall, über ein ungelöstes Rätsel, den Unterschied zwischen Krimi-Klischee und tatsächlicher Polizeiarbeit, die Gefahr für seine Familie und Rachegedanken im Angesicht eines Mörders. <BR /><BR /><b>Im Titel Ihres Buches über die spektakulärsten Fälle sagen Sie, dass sie heute noch Gänsehaut hätten. Wo läuft es Ihnen auch noch 30 Jahre später kalt über den „Buckel“?</b><BR />Alexander Zelger: Beim Fall Marco Bergamo. Und zwar der Tag, an dem wir den Frauenmörder festnehmen konnten. Staatsanwalt Guido Rispoli und ich waren die ganze Nacht unterwegs, um 6 Uhr früh fuhren wir noch einmal zum Fundort der Leiche von Marika Zorzi auf der Straße nach Kohlern. Durch den enorm wichtigen Zeugenhinweis der 2 jungen Frauen vom Grafhof wussten wir, dass der Täter mit einem roten SEAT Ibiza mit Bozner Kennzeichen unterwegs sein musste. Während wir als am Leichenfundort wieder ins Auto stiegen, hören wir über den Funk, dass eine Streife in der Bozner Industriezone einen roten SEAT Ibiza gefunden und durchsucht hat, „im Kofferraum wurden blutverschmierte Gegenstände“ gefunden. Guido Rispoli und ich haben uns nur angeschaut, sind ins Auto gestiegen und mit Vollgas und Blaulicht Richtung Bozen, wir haben kein Wort mehr gesagt. Bei dieser Erinnerung kommt mir tatsächlich immer noch die Gänsehaut.<BR /><BR /><b>Warum gerade bei dieser Erinnerung?</b><BR />Zelger: Vielleicht weil es mein erster großer Fall war, bei dem sich dann ja herausstellte, dass damit mehrere Frauenmorde aus früheren Jahren aufgeklärt waren. Aber ganz sicher hat bei mir das erlösende Gefühl eingeschlagen, dass diese extrem brutale Mordserie zu Ende ist, es war ein großes Aufatmen, eine regelrechte Befreiung für uns alle. <BR /><BR /><b>War es der brutalste Fall?</b><BR />Zelger: Ich glaube schon. Wenn ich mir allein vorstelle, dass Marika Zorzi mit 28 Messerstichen getötet wurde – was hat diese Frau an Schrecken und Schmerzen erlebt! <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="895187_image" /></div> <BR /><BR /><b>Als Sie dann diesen Marco Bergamo vor sich hatten: Schießen da nicht richtige Rachegedanken durch den Kopf? Ich würde ihn am liebsten erwürgen...</b><BR />Zelger: Nein, in erster Linie war es eine Erleichterung. Dass ein Fall gelöst war, dass wir unsere Pflicht tun konnten, dass die Zeit der Angst und der Anstrengung zu Ende ist. All das. In solchen Momenten war immer auch eine gewisse Erschöpfung da, weil Ermittlungsarbeit bei Tag und viel in der Nacht einfach Kraft kostet. Gleichzeitig wurde in diesem Moment bewusst, was noch alles zu tun ist: Gibt es vielleicht weitere Opfer? Welche Fragen sind noch offen? Da bleibt wenig Zeit für Gefühle. <BR /><BR /><b>Gibt es trotzdem Momente, wo Sie von Gefühlen überwältigt wurden?</b><BR />Zelger: Einmal waren tatsächlich Trauer und Wut sehr stark. Das war ein Fall in Brixen: Ein Mann ermordet seine Frau und dann die 2 Kinder. Im Gefängnis hat er sich später das Leben genommen. Beim Anblick der toten Kinder hat mich eine unendliche Trauer gepackt. Und wenig später die Wut. Denn der Mann litt unter Depressionen und war in Behandlung bei einem Therapeuten, der bereits einen anderen Mann betreute,der ebenfalls zum Mörder wurde. Als dieser Therapeut sagte, er müsse wohl die Behandlung ändern, konnte ich meine Wut nur noch schwer zurückhalten. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="895190_image" /></div> <BR /><BR /><b>Marco Bergamo war – wie Sie sagten – der brutalste Fall. Was war der schwierigste?</b><BR />Zelger: Sicher der des Serienmörders Ferdinand Gamper im Jahr 1996. Das fing mit einem Doppelmord mitten in Meran an. 2 Genickschüsse, da musste ein Profi am Werk sein. Aber wir hatten keinen Ansatzpunkt für die Ermittlungen: War die Mafia am Werk, eine Abrechnung in der Finanzwelt, ein Auftragsmord in einer Beziehung? Keine Ahnung. Dann passiert der dritte Mord, diesmal in Sinich. Später wird – auf Antrag der Carabinieri – der Zeuge Luca Nobile als Tatverdächtiger festgenommen. Für uns von der Polizei war der Fall damit aber nicht abgeschlossen. Dann passiert tatsächlich der vierte Mord, wieder mitten in Meran. Da war für mich klar: Jetzt übernehmen wir von der Polizei den Fall. Zu unserem großen Glück konnte uns die Lebensgefährtin des vierten Mordopfers – sie hat wahrscheinlich nur überlebt, weil die Waffe des Täters eine Ladehemmung hatte – sie also konnte uns Angaben für ein brauchbares Phantombild liefern. Aufgrund dieses Fotos machte sich Maresciallo Botte auf die Suche nach Ferdinand Gamper. Der Fall endet dann in der brutalen Schießerei in Riffian mit weiteren 3 Toten. Was diesen Fall so unglaublich schwierig gemacht hat, war auch dieses Nebeneinander der Ermittlungen von Polizei und Carabinieri, dann der enorme Druck der Medien und nicht zuletzt die fast panikartige Stimmung, die in der Bevölkerung herrschte. Die Leute trauten sich schlichtweg nicht mehr auf die Straße. Für die Polizeikräfte ist das der Supergau. <BR /><BR /><b>Besonders spektakulär war der Mord am Landtagsabgeordneten Christian Waldner im Jahr 1997. Bis heute zweifeln Leute daran, dass tatsächlich Peter Paul Rainer der Mörder war. Stellen Sie sich manchmal auch diese Frage?</b><BR />Zelger: An seiner Täterschaft zweifle ich nicht. Absolut nicht. Es bleibt allerdings für mich ein Rätsel, warum er zuerst in Anwesenheit des Anwalts und dann sogar im Fernsehen ein Geständnis ablegt und dieses dann in Abstimmung mit Rechtsanwalt Roland Riz widerruft. Für Peter Paul Rainer hat sich das ganz und gar nicht ausgezahlt, denn er hat schlussendlich das Doppelte an Gefängnisstrafe bekommen. Warum das, welche Strategie steckte dahinter? Das wird mir ein Rätsel bleiben. Ärgerlich an diesem Fall war natürlich, dass beim Fund der Tatwaffe nicht die Fingerabdrücke abgenommen. Das war schlichtweg ein ganz dummer Fehler. Aber so was passiert eben. Leider trägt das dazu bei, dass dann Verschwörungstheorien entstehen und diese nicht mehr aus der Welt zu schaffen sind. <BR /><BR /><b>Beschäftigt Sie das noch?</b><BR />Zelger: Nein, im Grunde nicht. Ich habe mit dem Beruflichen wirklich abgeschlossen, bin in Pension, habe eine Alm im Sarntal, für die ich zum Beispiel die gesamte Elektroanlage montiert habe. Zudem bin ich begeisterter Tischler und Drechsler. Mit alten Kriminalfällen beschäftige ich mich wirklich nicht mehr. <BR /><BR /><b>Lesen oder schauen Sie wenigstens Krimis?</b><BR />Zelger: Nein, früher schon. Aber sobald ich mit der Arbeit als Kriminalpolizist angefangen habe, war damit Schluss. Ich wollte mich ganz bewusst in der wirklich knappen Freizeit nicht auch noch mit Verbrechen, Mord und Totschlag beschäftigen. Also keine Krimis.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="895193_image" /></div> <BR /><BR /><b>Trotzdem die Frage: Geben Krimis die Realität der Polizeiarbeit wieder?</b><BR />Zelger: Nein, wirklich nur am Rande. Es wäre schön, wenn die konkrete Arbeit so einfach wäre. Im Krimi haben der Kommissar und sein Team immer mit einem einzigen Fall zu tun. In der Realität ist es anders, zumindest bei mir war der Schreibtisch jeden Tag noch voll mit anderen Delikten, vom Fahrraddiebstahl über den Wohnungseinbruch bis eben zum Mord. Im Buch oder Fernsehkrimi wird verständlicherweise auch nicht der enorme bürokratische Aufwand in der Polizeiarbeit beschrieben – das wäre todlangweilig. Es muss ja alles dokumentiert werden, jede Aussage, jede Spur, der gesamte Tatort. Da verbringt man ganze Tage nur mit Schreibarbeit. Mir tat es daher immer leid, dass wir im Grunde so wenig Zeit für diese „kleinen“ Fälle hatten, die ja für die Betroffenen selbst manchmal eine Tragödie sind. <BR /><BR /><b>Was macht einen guten Ermittler – nach Ihrer Erfahrung – aus?</b><BR />Zelger: Ganz wichtig sind die ruhige Arbeit und der Blick fürs Detail. Dann geht es darum, die einzelnen Spuren und Hinweise zusammenzuführen, wie bei einem Puzzle. Schlussendlich hat mir das berühmte Bauchgefühl immer geholfen. Zum Beispiel bei Ernst Schrott, der 1993 zwei Prostituierte ermordet hat. Von beiden Frauen wurden bei ihm daheim Spuren gefunden, aber er sagte mir eiskalt ins Gesicht, sie wären eben seine Freundinnen und bei ihm zu Besuch gewesen. Aber das Bauchgefühl sagte mir, dass er der Mörder war und wir konnten das schließlich auch beweisen. <BR /><BR /><b>Sie haben sich beruflich mit Mördern und anderen Kriminellen angelegt. Wurde es manchmal auch gefährlich?</b><BR />Zelger: Einmal schon. Anfang der 1990-er Jahre haben wir auch in Bozen Mitglieder der kalabresischen Mafia verhaftet. In dieser Zeit erhielt der Quästor einen Brief, den ich heute noch habe. Darin steht, dass der Zelger aufpassen müsse, besonders wenn er die Kinder zur Schule bringt. Was tun? Für mich persönlich wollte ich keinen Polizeischutz. Aber Frau und Kinder sollten sicher sein. So wurden die Kinder etwa einen Monat lang im Polizeiauto zur Schule gebracht. Leider ging dann bald darauf das böse Gerücht um, Zelgers Kinder würden auf Staatskosten in einer Limousine zur Schule chauffiert. So was tut dann schon weh.<BR /><BR /><b>Schlussfrage: Sie haben oft gesehen, wozu Leute fähig sind. Glauben Sie noch an das Gute im Menschen?</b><BR />Zelger: Ja, daran habe ich keinen Zweifel.Ich bin immer noch einer, der das Glas halb voll sieht. Zu 95 Prozent, wenn nicht mehr, haben wir ordentliche, gute Leute. Aber man muss eben auch aufpassen, dass man nicht den wenigen begegnet, die nicht dazu gehören.<BR /><BR />DER AUTOR<BR /><BR />Alexander Zelger, 1958 in Bozen geboren, arbeitete zunächst als Buchhalter und Bankkaufmann. Neben Arbeit und Familie begann er das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Modena, wo er 1989 promoviert wurde. Während des Studiums reifte in ihm der Gedanke bei der Kriminalpolizei für die höhere Laufbahn einzusteigen. Nach einer Ausbildung in Rom kam Zelger 1990 als erster deutschsprachiger Kriminalkommissar nach Südtirol zurück. 1992 wurde Zelger zum ersten Südtiroler Kripochef ernannt. <BR /><BR />Von Ende 1997 bis 2015 wurde er als Verbindungsbeamter, Sicherheitsexperte und Botschaftsattachée des Italienischen Innenministeriums nach Deutschland und nach Österreich abkommandiert. Beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden in Hessen und beim Bundeskriminalamt in Wien war Zelger vor allem im Kampf gegen die Italienische Mafia eingesetzt. Inzwischen ist er im Ruhestand.<BR /><BR />DAS BUCH<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="895196_image" /></div> <BR /><BR />Alexander Zelger: Ich habe heute noch Gänsehaut. Meine spektakulärsten Kriminalfälle. True Crime: von Mafiosi, Serienkillern und anderen Gewalttaten. 224 Seiten, 70 Fotos. Verlag Athesia Tappeiner, 2023. Preis: 27,50 Euro. <BR /><BR />Erhältlich bei: <a href="www.athesiabuch.it" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">www.athesiabuch.it</a><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />