Grawü heißt die Kellerei von Leila Grasselli und Dominic Würth in Tscherms. Hinter dem Akronym, gebildet aus den Anfangsbuchstaben der beiden Nachnamen, steht nicht nur ein kleiner Kellereibetrieb mit einer überschaubaren Jahresproduktion von 20.000 Flaschen. Grawü bedeutet auch ein Familien- und Lebensprojekt. <BR /><BR />Wie von diesem Projekt erzählen? Am besten, ich fange mit Chen Lu an. Der groß gewachsene 26-Jährige aus der Stadt Tongcheng in Zentralchina steht im Obergeschoss des umgebauten Stadels am Schreiberhof, wo Grawü seinen Sitz hat. An meterdicken, unregelmäßigen Steinmauern reihen sich Erntekisten und Regale mit Kartons aneinander. Am Tisch daneben klebt Chen gerade Etiketten auf mit Rotwein gefüllte Flaschen. <BR /><BR />Er komme aus einer ländlichen Gegend, wo seine Eltern und Großeltern als Teebauern leben, „Tongcheng, 500.000 Einwohner, ist klein“, sagt der junge Mann in fast fehlerfreiem Italienisch. Er hat einige Zeit in Italien gelebt und am Institut für Önologie in Geisenheim ein Diplom erworben. Zu Weihnachten, lächelt Chen, werde er heimfahren, nach 3 Jahren endlich wieder seine Lieben umarmen. <BR /><BR />„Chen ist seit August ‚unser’ Migrant. Ein Glücksfall, er kennt sich aus, man muss ihm nicht erklären, wie eine Pumpe einzuschalten ist.“ Mit diesen Worten hat mir Dominic Würth vorhin seinen Mitarbeiter vorgestellt. „Migration, das ist unser Thema“, sagt er jetzt, als wir im gepflasterten Hof vor der Stadeleinfahrt unter einer Pergola sitzen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="829874_image" /></div> <BR /> Zur Besonderheit der Kellerei Grawü gehört nämlich auch das soziale Profil. „Nach langen, langen Anläufen“, habe der Verein „La Strada – Der Weg“ die Schirmherrschaft über ein von Leila mitinitiiertes Projekt übernommen, erzählt Dominik. „Es heißt VITE, Viticulture Integration Training Empowerment.“ 15 Migranten konnten dank des Projekts in ausgewählten Weinbaubetrieben der Provinz, darunter auch Grawü, ein Praktikum absolvieren und dabei vom Rebschnitt bis zur Flaschenabfüllung sämtliche Arbeitsschritte kennen lernen. Leila, die momentan zuhause in Riffian im HomeOffice tätig ist und aus Bergamo stammt, hat einen Master in Kommunikation und Interkultureller Mediation gemacht. Sie übernimmt den Papierkram im gemeinsamen Betrieb und fädelt Projekte wie VITE ein. <BR /><BR />„Das ist der Preis, wenn man keinen Hof geerbt hat und mit seiner Kellerei bei null anfängt“, sagt nun Dominic, als er meinen Blick auffängt: neben einer Mauer im Hof ist sein Scooter abgestellt, Würth pendelt damit zwischen dem Arbeitsplatz und der Wohnung am Eingang des Passeiertales hin und her. Den Weinkeller am Schreiberhof hat das Ehepaar gepachtet. <h3> „Deutsch-italienisches Fusionsprojekt“</h3>Dominics Aufgabe, er kommt aus dem Umland von Stuttgart, ist die Weinherstellung. In Betrieben in der Schweiz, in Frankreich und Italien hat er sich das nötige Wissen angeeignet. In Montalcino lernten sich Leila und Dominic kennen. „Für unser deutsch-italienisches Fusionsprojekt erschien uns Südtirol ideal – eine alte Weinregion, die Kinder wachsen zweisprachig auf, wir fühlen uns hier sehr wohl“, sagt Würth. Wenn der Endvierziger mit grau meliertem Bart vom Wein redet, merkt man gleich, dass es um eine Herzensangelegenheit geht. „Wein ist ein lebendiges Produkt, der Boden, das Wetter, da wirken viele Faktoren zusammen, jedes Jahr ist anders – man lernt nie aus“, sagt er etwa.<BR /><BR /> Die Weine von Grawü sind freilich sehr speziell: Die Trauben, Würth spricht von der „materia prima“, werden biologisch angebaut. „Bio – das klingt nach Modetrend, aber Moden kommen und gehen, ich habe mich von Anfang an für diesen Weg entschieden“, sagt Würth. „Außerdem: Bei 6-7% Anteil Bioanbau an der landwirtschaftlichen Gesamtfläche kann man in Südtirol nicht wirklich von einer Bio-Mode sprechen. Wir machen ein Nischenprodukt.“ <BR /><BR />Der Mainstream, erklärt Würth mit einer Wischbewegung, als wolle er ein lästiges Insekt vertreiben, interessiere ihn nicht. „Ich mag keine fetten, alkoholschweren Weine. Mein Ziel ist, den unverfälschten, ursprünglichen Geschmack der Traube in frische, säurebetonte Weine zu verwandeln.“ Dominic Würth spricht von „Trinklichkeit“, sie reife nicht im trendigen Barriquefass heran. Seine Weine vergären spontan, der Kellermeister verwendet weder Reinzuchthefen noch andere önologische Mittel. <BR /><BR /><embed id="dtext86-56850672_quote" /><BR /><BR />Die Trauben, sagt Würth, „die müssen perfekt sein. Das ist wie bei einer faulen Beere, die einen Obstsalat verdirbt.“ Arbeite man ohne önologische Präparate, sei alles ein bisschen komplizierter, man könne Fehler nicht nachträglich korrigieren. „Unsere Weine schmecken vielleicht nicht jedem, sie sind eben „fuori schema“, unfiltriert“, sagt Würth. <BR /><BR />In gängige Schemata scheint das gesamte Grawü-Unternehmen nicht zu passen. „Stimmt, wir sind selbst irgendwie unfiltriert“, grinst Dominic. Er hat mich inzwischen hinunter in den blitzblanken Keller geführt, wo dicke Fässer auf Podesten stehen und ein dezenter Geruch nach verschüttetem Wein in der Luft schwebt. Der Winzer klopft mit der Rechten auf ein großes Fass: „Akazienholz, hier reift zwölf Monate lang ein auf der Schale vergorener Chardonnay.“ Als sonnig und freundlich, und, weil unbehandelt, dynamisch, bezeichnet Würth seinen Weißen.<BR /><BR /> Während ich, an ein Fass gelehnt, in der Hand ein Glas mit strohgelbem Chardonnay, besagter Dynamik nachspüre, erzählt Würth von seinem ersten Praktikanten: Salomon aus Nigeria half ein Jahr in der Kellerei am Schreiberhof mit. „Er war sehr tüchtig, einer von jenen, die wenig reden und viel schaffen.“ Durch seine, Dominics, Kontakte hat Salomon eine fixe Stelle bei einem Bauer in Signat gefunden. „Wir sind immer noch in Kontakt, Salomon spricht immer noch wenig und hat inzwischen eine eigene Wohnung. Demnächst wird er heiraten. Wir sind eingeladen.“ <h3> Eine afrikanische Hochzeit</h3>Kellermeister Dominic Würth scheint nicht der überschwängliche Typ zu sein. Von Salomon erzählt er nüchtern, sachlich, wie er vorhin über seinen Wein redete, dabei verwendet er wiederholt das Wort „präzise“. Ich hingegen, vielleicht weil ich zügig mein Glas leerte, sehe jetzt vor meinem geistigen Auge Salomons bevorstehende Hochzeit: Ein buntes Tableau mit afrikanischer Musik, lachende Gesichter füllen den Saal, die Stimmung ist aufgekratzt, schwitzende Leiber, schwarze und weiße, winden sich zum Säuseln und Hämmern der Afrobeats. Salomon, der am Brauttisch ernst und steif wirkte, hat die Krawatte, die ihm den Hals zuschnürte, längst abgelegt. Er ist wie verwandelt, wie alle Afrikaner hat er die Musik offenbar im Blut. Und da entdecke ich auch Leila und Dominic unter den Tanzenden. <BR /><BR />„Wir wollen den Leuten eine Chance geben“, hat der Winzer vorhin, beim Chardonnay-Test, über sein und Leilas soziales Engagement gesagt. Das imponiert mir: Auch an den anderen denken, nicht nur den eigenen Vorteil im Blick haben, seine Hand ausstrecken – viele machen das ja nicht. Und obwohl es im Grunde gar nicht mein Metier ist, würde ich mich, unter solchen Vorzeichen, ebenfalls ins Tanz-Getümmel stürzen, käme ich zufällig bei Salomons Hochzeit vorbei.<BR /><BR /> Ich habe es oft erlebt, im Süden, und weiß: man würde mich hinzuwinken, mit amüsiertem Lachen, und dann strahlen, die Freude wird größer, wenn man sie teilt. „Schon wieder eine Seele gerettet!“, jubilieren die Engel. An der Art, wie sie die Hüften schwingen, zeigt sich, dass in ihren Adern eindeutig afrikanisches Blut fließt. <BR /><BR /><BR />