Wie die Welt – und Südtirol – trotz steigender Bevölkerungszahl die Klimakrise bewältigen kann, ohne dabei den Wohlstand aufgeben zu müssen, darüber spricht der renommierte deutsche Professor Franz Josef Radermacher anlässlich seines Besuchs für eine Tagung an der Freien Universität Bozen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="712277_image" /></div> <BR /><BR /><b> Übermäßiger Ressourcenverbrauch, Umweltzerstörung, Klimawandel … Wie oft verzweifeln Sie eigentlich und sagen sich: Das haben Kollegen des „Club of Rome“ und ich schon vor Jahrzehnten prophezeit und es wird viel zu wenig dagegen getan?</b><BR /><b>Prof. Franz Josef Radermacher:</b> Tja! Der Ressourcenverbrauch – allen voran die Energie – ist direkt an den Wohlstand gekoppelt. Und der Wohlstand ist ein natürliches Anliegen aller Menschen. Die Weltbevölkerung wächst aber sehr, sehr rasch. Als der „Club of Rome“ 1972 begann, über die Grenzen des Wachstums zu diskutieren, da waren wir in einer Welt von viereinhalb Milliarden Menschen. Jetzt sind wir bei fast acht Milliarden, 2050 sind es dann zehn. Diese Menschen haben alle Wachstums-Erwartungen. Daraus erwächst ein stetig höherer Ressourcenverbrauch bzw. höhere CO2-Emissionen. So bekommen wir eine sich verschärfende Klimasituation. Das ist alles einfach und nichts Kompliziertes. Das wussten wir schon vor 30 Jahren. Wenn wir jetzt damit aufhören wollen, müssen wir mit der Produktion von Wohlstand zurückhaltender sein. Dann stellt sich die Frage, wo und bei wem sparen wir ein? Man kann bei den Reichen nicht einsparen, was die Armen brauchen, weil das eben so viele mehr sind.<BR /><BR /><b>Inwiefern ist die Coronakrise eine Art „Booster“ für das Thema Klima, weil der Welt klar geworden ist, dass es – wie bei Corona – globale Bewältigungsstrategien braucht?</b><BR />Es ist ja gar nicht so, dass wir in der Pandemie etwas Kluges über Globalisierung und Kooperation gelernt hätten. Bei der Pandemie waren wir zum Schluss soweit, dass die Staaten in Europa wieder ihre Grenzen hochgezogen haben. Wir haben in der Krise durch den Rückzug auf das Kleine reagiert – und das passiert genauso beim Klima. Wir haben mittlerweile die Klimafrage wieder renationalisiert. Jedes Land ist bei der Klimafrage mit sich beschäftigt. Manche Aktivisten vertreten jetzt die für die freiheitliche Ordnung gefährliche Position, dass wir jetzt den Klima-Lockdown brauchen. Was aber im Grunde genommen nichts anderes heißt als: Wir lösen Probleme dann dadurch, dass der Staat massiv einschreitet und Verbote ausspricht. Im Zweifelsfall wird dann das Fliegen oder Fleisch verboten. Aber auch diese Vorstellung ist vom Typ „Thema verfehlt“. Denn selbst wenn wir hier in Deutschland, Österreich oder Südtirol jetzt das Fleisch verbieten, hilft das dem Klima weltweit überhaupt nichts. Helfen würde Engagement in Afrika oder Indien.<BR /><BR /><b>Um auf die Klimakrise zu reagieren, wird derzeit viel auf das „Pferd“ Elektromobilität gesetzt. Kommen damit aber nicht eine Reihe neuer Probleme auf uns zu; etwa, was den Abbau bestimmter Rohstoffe betrifft, oder den steigenden Energiehunger insgesamt?</b><BR />Ich bin überhaupt kein Freund von diesem Trend hin zur Elektromobilität. Vor allem muss man sich über folgendes im Klaren sein: Dies ist alles dermaßen ressourcenintensiv und teuer – das ist überhaupt nur in reichen Ländern machbar. Es gibt also keinen Trend zur Elektromobilität in armen Ländern. Wir haben auf diesem Globus 1,3 Milliarden Fahrzeuge mit Verbrennermotor. Diese Fahrzeuge produzieren pro Jahr fünf Milliarden Tonnen CO2, das ist fast die doppelte CO2-Menge der europäischen Union. Diese Verbrennermotoren brauchen dringend synthetische Kraftstoffe, die klimaneutral sind. Dann wird nämlich die Bestandsflotte klimaneutral. Und wenn wir ans Heizen denken, dann ist die Lösung nicht, alle Häuser umzubauen. Das kann weltweit sowieso niemand bezahlen. Die Lösung wäre ein klimaneutraler Energieträger ... also z.B. synthetisches Heizöl oder synthetisches Gas. Solche Lösungen brauchen wir. Das Problem ist: Bei uns werden lokale Lösungen gesucht. Dann fühlt man sich gut, nach dem Motto: Wir sind die Vorreiter, wir fahren Elektroauto. Und weil wir uns so gerne auf die Schulter klopfen, sind wir auch ganz begeistert davon, was wir gerade in Sachen Elektromobilität machen.<BR /><BR /><b>Der „Club of Rome“, dessen langjähriges Mitglied Sie sind, beschäftigt sich seit jeher mit der Frage nach der Zukunftsfähigkeit des Wachstumsparadigmas. Ist die Frage danach, ob wir ständig weiter wachsen müssen, nicht viel zentraler als die Frage, wie wir schnell zur Elektromobilität kommen?</b><BR />Sie haben Recht! Dazu Folgendes: Die Menschheit stand vor 300 Jahren vor einer ähnlichen Problematik wie heute. Damals gab es einen Engpass mit Holz, weil es u.a. für die Kriegsflotten gebraucht wurde. Carl von Carlowitz und andere haben damals vorgeschlagen: Wir dürfen nur so viel Holz schlagen, wie wieder nachwächst. Das war eine ähnliche moralische Diskussion wie heute. Aber wenn es um Kriegsführung geht, können Sie nicht einfach mit dem Gegner vereinbaren, 70 Jahre nicht zu kämpfen, bis die Bäume nachwachsen. Also wurden die Wälder dennoch leergeplündert. Die Lösung war am Schluss rein technisch – die Erfindung der Dampfmaschine. Das war der Beginn der Industrialisierung. In der Folge sind wir heute zehn Mal so viele Menschen und haben hundertmal so viel Wohlstand. Praktisch alle leben viel lieber heute als dass sie gerne früher gelebt hätten. Ich bin persönlich überzeugt davon, dass wir mit den richtigen Innovationen auch das heutige Problem wieder lösen werden. Aber wir müssen es so lösen, dass wir zum Schluss bei einem Energiewohlstand für zehn Milliarden Menschen sind und nicht bei der Verwaltung von Energieknappheit. Die Energie muss dazu klimaneutral bereitgestellt werden, das ist der entscheidende Punkt.<BR /><BR /><b>Sie kennen Südtirol von mehreren Besuchen. Was fällt Ihnen hier in Sachen Ressourcenverbrauch auf?</b><BR />Südtirol ist eine besonders attraktive Region mit sehr viel Landschaft und Natur und vergleichsweise wenig Menschen. Das ist eine besonders gute Ausgangsposition für Nachhaltigkeit. Man bemüht sich in Südtirol an ganz vielen Stellen zusätzlich um weitere Verbesserung. Lokale Versorgung ist ein Anliegen. Für die vielen Touristen vor Ort kann man aber gar nicht alles lokal produzieren. Man muss den Touristen teilweise eine Illusion vermitteln. Ich habe damit kein Problem, denn eine lokale Sicht auf Nachhaltigkeit ist schon konzeptionell nicht ausreichend. Nachhaltigkeit ist nämlich eine globale Frage. Abgesehen davon ist Südtirol aber super. Das liegt daran, dass Sie unendlich viel Glück haben. In den Bergen ist relativ viel Raum in Relation zur Anzahl der Menschen. Sie haben viel saubere Energie durch Wasserkraft ... Sie haben so ziemlich alles, was man sich wünschen kann. Sie sind in einer Gunstlage und machen klug das Beste daraus. Sie schaffen für viele Menschen als Urlaubsdestination beglückende Wochen in einem Umfeld, das den Charakter einer wunderbaren Oase hat.<BR /><BR /><b>Diese „Gunstlage“ entbindet Südtirol freilich nicht von der Pflicht, künftig mit der Umwelt und den Ressourcen schonender umzugehen...</b><BR />Natürlich müssen Sie auch mithelfen, dass die Welt ihre Probleme gelöst bekommt. Denn wenn die Welt ihre Probleme nicht gelöst bekommt, ist Südtirol zum Schluss auch massiv betroffen. Sie sollten sich daher weiter engagieren, was sie ja auch tun. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass bei der Klimakonferenz in Glasgow der Artikel 6 endlich weitgehend ausverhandelt wurde, der es in CO2- Fragen erlaubt, global zu kooperieren. Dass also z.B. von Österreich CO2-Minderungen in Indien finanziert werden, die aber auf die österreichische Bilanz angerechnet werden können. Das ist im Übrigen auch das Programm der „Allianz für Entwicklung und Klima“, die für freiwillige, zusätzliche, internationale Kooperationsprojekte argumentiert. Mit Südtirol ist nun auch erstmalig eine italienische Provinz diesem Aktionsbündnis beigetreten. Das ist der richtige Ansatz, das Problem global zu verstehen und auch global aktiv zu werden, nicht nur lokal – und sich nicht von anderen einreden zu lassen, das sei nur ein Freikauf. Das hat nichts mit einem Freikaufen zu tun, sondern fußt auf dem ökonomischen Prinzip, Geld da einzusetzen, wo es die größten Wirkungen erzeugt und nicht da, wo es nur vergleichsweise wenig bewirkt.<BR /><BR />