<BR />„Ich bin heute ein bisschen spät, oder?“ Es ist 14:01 Uhr – eine Minute zu spät also. Lachend und mit kleinen Schweißperlen auf der Stirn steigt Benny aus seinem silbergrauen Kleinfahrzeug, ein umgebauter Mercedes A-Klasse. Keine leichte Angelegenheit – denn seine Feinmotorik ist seit seiner Geburt eingeschränkt. <BR /><BR />Wenn heute Geschichten über Menschen mit Beeinträchtigungen geschrieben werden, erzählen diese oft von Hürden. Vom mühsamen Alltag. Von Bürokratie. Doch dann sitzt man dem Terlaner Benjamin „Benny“ Rauch gegenüber: Einem Mann mit dunkler Brille, ein T-Shirt seiner Lieblingsband tragend und einem Lächeln, das sofort da ist, wie ein alter Freund. Jemand, der leise spricht, aber mit Worten, die nachhallen. Weil sie tun, was selten geworden ist: Hoffnung machen, ohne die Wirklichkeit zu beschönigen.<h3> Ein Leben, das anders begann</h3>Benjamin Rauch kam <b>1988</b> in Bozen als Frühgeburt zur Welt. Im Brutkasten bekam er zu wenig Sauerstoff – ein ärztlicher Fehler, wie sich später herausstellte. Seit diesem Tag sind seine motorischen Fähigkeiten an Händen und Füßen nicht so, wie sie sein sollten.<BR /><BR /><i>„Glück im Unglück. Es hätte auch viel schlimmer kommen können – ich hätte blind oder taub sein können.“</i><BR /><BR />An seine Kindheit kann er sich noch gut erinnern. Er verbrachte viel Zeit in verschiedensten Therapieeinrichtungen, um das Gehen so gut wie möglich zu verbessern. Probleme mit sozialer Ausgrenzung oder Spott hatte er nie. Die Leute um ihn herum akzeptierten ihn so wie er war. Anstatt selbst in der heimischen Fußballmannschaft zu trainieren, besuchte Benny die Spiele als Zuschauer und Fan – so wie auch heute noch. <BR /><BR />Freundschaften zu schließen, war ebenfalls kein Problem. Aus seinem Mund klingt es, wie das Einfachste der Welt: Man brauche nur etwas „Feingefühl“, um zu wissen ob jemand mit einer körperlichen Einschränkung umgehen kann oder nicht. Wenn nicht, beruht es auf Gegenseitigkeit – zur Last fallen will er niemandem.<BR /><BR /><i>„Es kann halt nicht jeder mit jedem und Punkt.“</i><BR /><BR />Orientiert hat sich Benny immer an jenen Personen, denen es schlechter ging als ihm – Mitleid wollte er nie, auch nicht mit sich selbst. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158312_image" /></div> <h3> Und dann: Der Schmerz</h3>Diese Eigenschaft sollte in Bennys Leben noch große Bedeutung erlangen. <b>2008</b> verlor er seine Mutter – nach über 30 Jahren, in denen sie tapfer gegen Nierenprobleme gekämpft hatte. Krankenhausaufenthalte und Dialyse waren ständiger Begleiter der kleinen Familie. Er erinnert sich kaum an sie als gesunde Frau aber mit umso größerem Respekt an ihre Kraft.<BR /><BR /><i>„Sie war immer krank – aber auch immer stark. Von ihr habe ich gelernt, was kämpfen und nach vorne schauen bedeutet.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158315_image" /></div> <BR />Er und sein Vater – von ihm liebevoll „Papi“ genannt, mussten sich fortan zu zweit zurechtfinden, was anfangs nicht immer leicht war. Nach einer Zeit kamen die Beiden aber gut zurecht und gaben einander Halt. <BR /><BR />Zehn Jahre nach dem Tod von Mama Paula kam der nächste Schicksalsschlag: Bei seinem Vater wurde Krebs diagnostiziert. Drei Monate später starb er nach einem kurzen aber sehr schweren Verlauf. Ein großer Schock, da alles ganz schnell ging und nicht vorherzusehen war.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158318_image" /></div> <BR />Immer wieder lernte der heute 36-jährige Terlaner sein Leben neu auszurichten, sich auf die unaufhaltsamen Gegebenheiten einzulassen. Freunde und soziale Kontakte gaben ihm dabei Halt. <BR /><BR />Umso besser kann er sich an den <b>5. August 2019</b>, einen Montag, erinnern. Er lag Zuhause, an diesem Tag hatte er eine Infektion an den Füßen und war von den starken Medikamenten müde. Sein bester Freund Lukas Hinrichs wollte ihn nach der Arbeit besuchen kommen. Als er aufwachte, war dieser aber immer noch nicht da.<BR /><BR /> <a href="https://www.stol.it/artikel/chronik/terlan-pkw-prallt-gegen-linienbus-1-todesopfer-14-verletzte" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Auf STOL las er damals, dass es in Terlan einen Unfall mit 14 Verletzten und einem Todesopfer gegeben hatte</a>. <BR /><BR /><i>„Da wusste ich schon, das muss Luki gewesen sein.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158321_image" /></div> <BR />Dieser Schlag traf ihn damals mit voller Wucht, keine vorangegangene Krankheit, keine Vorwarnung – es passierte einfach so. Nach jahrzehntelanger Freundschaft und dem schmerzlichen Verlust seines Vaters nur ein Jahr zuvor. Es begann eine schwere Zeit für Benny. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158324_image" /></div> <h3>Punk. Spanien. Freiheit.</h3>Wie macht man weiter, wenn man so viel verliert? Für Benny lag die Antwort in der Musik. Und in seiner Lebenseinstellung. Professionelle Hilfe brauchte er in all den Jahren nie, viel eher Orte an denen er abschalten und für einen Moment vergessen konnte.<BR /><BR /> Wie etwa bei seinen unzähligen Punk-Konzertbesuchen, am liebsten in der Gegend um Valencia oder im Baskenland. Die Punk-Szene ist für ihn dabei mehr als nur ein Zufluchtsort. Es ist eine Form von Zuhause. Punk hat ihn nie verurteilt. Punk hat ihn eingeladen. Und er ist geblieben. <BR /><BR /><i>„Wenn ich auf einem Konzert bin, vergesse ich den Schmerz. Ich spüre: Ich bin Teil von etwas.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158327_image" /></div> <BR /><BR /> Seit 2002 reist er von Konzert zu Konzert durch Europa. In Krücken oder im Rollstuhl und macht dabei immer neue Bekanntschaften, baut Freundschaften fürs Leben auf.<BR /><BR />So wie auch zu Ana. Dank ihr konnte sich Benny ein zweites Leben in dem kleinen Dörfchen L'Alcudia de Crespins aufbauen, in das er regelmäßig eintaucht. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1158330_image" /></div> <BR /> Dort, in der Wärme unweit von Valencia kam auch die Sprache zu ihm. Spanisch. Schnell, klar, wie ein zweiter Herzschlag. Heute spricht er vier Sprachen fließend – Deutsch, Italienisch, Englisch, Spanisch – und nutzt sie, um Brücken zu bauen und mit Menschen unterschiedlichster Nationen zu interagieren. <BR /><h3> Südtirol. Heimat. Und der Wohlstand. </h3>Und doch bleibt da diese eine Landschaft, die ihm viel bedeutet. Südtirol. Die Berge, die Freunde, das Essen, die Nähe. Eine Heimat, die ihn geprägt hat. <BR /><BR />Benjamin Rauch hat viele Menschen verloren – und ist sich doch selbst treu geblieben. Wer ihn trifft, vergisst ihn nicht. Weil er nicht jammert. Weil er nicht klagt. Weil er erzählt – ehrlich, klar, mit einem Hauch Melancholie, aber auch mit einer tiefen, stillen Freude an dem, was trotz allem möglich ist. Auf die Frage, ob es etwas gibt, das Benny gar nicht leiden kann, antwortet er: <i><BR /><BR />„Das kollektive Motzen. Das ist ein Wohlstandsproblem – vor allem hier in Südtirol. Uns geht es einfach zu gut.“</i><BR /><BR />Vielleicht ist das eine Art Geschichte, die man öfter hören sollte. Nicht, weil sie laut ist. Sondern weil sie leise etwas verschiebt. Im Kopf. Im Herz. Und weil sie daran erinnert, dass Stärke manchmal ganz still daherkommt. Und manchmal auf Krücken geht.