In seinem nächsten Forschungsprojekt will der renommierte Molekularbiologe Long Covid auf den Grund gehen. <BR /><BR /><BR /><BR /><b>Wie funktioniert Ihre Methode?</b><BR />Prof. Markus Ralser: Es gibt bei Covid-19 bei schweren Verläufen das Happy-Hypoxia-Phänomen: Ein Patient wird eingeliefert und diesem geht es angeblich relativ schlecht. Aber von dem, wie sich dieser Patient fühlt, kann man nicht abschätzen, wie es ihm wirklich geht. Manche Patienten fühlen sich sehr schlecht, aber in Wirklichkeit ist der molekulare Verlauf bei ihnen gar nicht so schlimm und sie erholen sich bald wieder. In anderen Fällen ist es umgekehrt: Jüngeren Patienten geht es noch relativ gut, aber in Wirklichkeit haben sie einen schweren Krankheitsverlauf, und bei diesen besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass es ihnen ein paar Tage später viel schlechter geht. Dann müssen sie eventuell beatmet werden oder sie kommen auf die Intensivstation. Gerade in einer Pandemie ist es aber für Ärzte wichtig, Kriterien zu haben, nach denen sie die Patienten, wenn sie ins Krankenhaus kommen, einordnen können. Anfangs konnte dies bei Covid niemand so richtig einschätzen, weil es eine neue Krankheit war. Deshalb wollten wir einen Bluttest entwickeln, der uns den Zustand des Patienten akkurat wiedergibt. Diesen Test haben wir 2020 in der ersten Phase der Pandemie entwickelt – um den Schweregrad einschätzen zu können. Dabei nimmt man eine Blutprobe und misst über ein Massenspektrometer die Proteine, und aufgrund der Muster dieser Proteine erhält man eine objektive Einschätzung über die Schwere der Krankheit beim Covid-19-Patienten. Das war der erste Schritt – viel wichtiger ist der zweite Schritt.<BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-50842411_quote" /><BR /><BR /><BR /><b><BR /> Und der wäre?</b><BR />Ralser: Der Blick in die Zukunft: Wie geht es diesem Patienten in 2 Wochen? Es geht dabei um schwere Verläufe. Hat dieser Patient eine Wahrscheinlichkeit, dass er auf die Therapie gut anspricht? Kann ich diesen Patienten vermutlich in 2 Wochen aus dem Krankenhaus entlassen? Oder stirbt dieser Patient vermutlich? Diese Informationen benötigt man bei der Entwicklung neuer Medikamente. Wir haben das große Glück, dass jetzt die ersten neuen antiviralen Medikamente bereits getestet werden. Bei einer klinischen Studie, die bei einer kleinen Anzahl an Individuen vorgenommen wird, unter genau kontrollierten Bedingungen, will man dann wissen, ob so ein Medikament wirkt oder nicht. Dabei kann man das Blutbild dieses Patienten analysieren und vergleichen zwischen dem wahrscheinlichen Krankheitsverlauf und dem Verlauf, den der Patient nach der Einnahme des Medikaments hatte. So sieht man dann, ob es einen signifikanten Unterschied gibt und ob es dem Patienten besser geht als wenn er das Medikament nicht eingenommen hätte. Diese Vorhersage bei den ersten Schritten einer Medikamentenentwicklung ist die wichtigste Anwendung unserer Methode. <BR /><BR /><b>Bei welchen Patienten sollen diese Medikamente zum Einsatz kommen?</b><BR />Ralser: Diese Medikamente sollen bei schwersten Fällen von Covid-19 zum Einsatz kommen, um eine Linderung zu erzielen – bei der intensivmedizinischen Versorgung. Eine zweite Anwendung unserer Methode wäre dann möglich, wenn die Ressourcen zur Bekämpfung der Pandemie in einem Land nicht mehr ausreichen – es also nicht mehr genug Beatmungsgeräte geben würde und man unter den Patienten eine Auswahl treffen müsste. Alter, Übergewicht, usw. sind nämlich nicht ein zwangsläufiges Kriterium. Wir versuchen Intensivmedizinern, die vor so schwierigen und traurigen Entscheidungen stehen, mit unseren Tests so viel wie möglich Informationen zur Verfügung zu stellen, damit diese möglichst optimal die Ressourcen aufteilen: Patienten, die die größte Wahrscheinlichkeit haben, von der Therapie zu profitieren, sollen möglichst schnell die richtige Therapie bekommen. <BR /><BR /><b>Welche Covid-Forschungen werden Sie demnächst noch beginnen?</b><BR />Ralser: Ein sehr wichtiges Thema ist Long Covid. Das größte Problem bei Covid ist inzwischen, dass Menschen mit einem leichten oder mittleren Verlauf, die während der Krankheit zuhause waren, darunter auch junge Menschen, oft monatelang danach noch Schwierigkeiten haben, etwa, weil ihr Lungenvolumen zu klein ist und sie deshalb keine Kondition mehr haben. Dabei ist die Ursache noch nicht klar. Viel dramatischer ist aber, wie lange das so bleibt. Die Befürchtung lautet, dass es sich um Autoimmunerkrankungssymptome handelt, und dass man bei der Covid-Krankheit Antikörper gegen körpereigene Proteine aufbaut. In diesem Fall geht man davon aus, dass die teilweise dramatischen Nachwirkungen bei diesen Patienten nach einer leichten Infektion noch viele Jahre andauern werden. Mein Nachbar in Berlin, Kampfsportlehrer, 39 Jahre alt, ist nach einem mittelschweren Covid-Verlauf im Frühsommer nun vor einigen Wochen wie aus dem Nichts zusammengebrochen und an einem Herzinfarkt gestorben. Ein vermehrtes Auftreten von Infarkten gehört zu den häufig beobachteten Nachwirkungen einer Covid-Infektion und diese Verläufe bereiten uns zurzeit große Sorgen. Die langfristigen Nachwirkungen von Covid schauen wir uns genau an. Im Blut solcher Patienten können noch lange Signaturen nachgewiesen werden. Ein zweites großes Thema sind die Krankheitsverläufe bei Kindern. Diese sind weniger betroffen – warum das so ist, steht auch noch nicht genau fest.<BR /><BR /><b>Optimisten in Italien gehen davon aus, dass wir die Pandemie mit dieser Durchimpfungsrate bald in den Griff bekommen werden. Wovon gehen Sie aus?</b><BR />Ralser: Unsere Experten an der Charité wie Christian Drosten sagen: Wir sind noch nicht durch und müssen in diesem Winter noch sehr aufpassen. Die Impfquoten sind in Deutschland noch nicht hoch genug – und niedriger als in Südtirol. <BR />