Die Reform ist mit Jahresanfang in Kraft getreten. Eine der meistdiskutierten Neuerungen ist jene, die vorsieht, dass einige Straftaten, für die eine Haftstrafe von bis zu 2 Jahren droht, nicht mehr von Amts wegen verfolgt werden. Auch die U-Haft kann damit für den mutmaßlichen Täter nicht auferhalten werden. <BR /><BR />Die Staatsanwaltschaft wird zwar von den Ordnungskräften über alle Vorfälle informiert. Stellt der Geschädigte aber innerhalb von 90 Tagen keinen Strafantrag, kommt der Fall zu den Akten. <BR /><BR />Bei Wohnungseinbrüchen, die als schwere Straftat mit höheren Strafen eingestuft sind, wird weiterhin von Amts wegen ermittelt. Bei Diebstählen hingegen, ebenso wie bei fahrlässiger Körperverletzung im Straßenverkehr, vorsätzlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung, Nötigung, Hausfriedensbruch, Betrug, Informatikbetrug und Unterschlagung braucht es jetzt die Anzeige des Geschädigten. <BR /><BR />„Das ist sicherlich einer der kritischen Aspekte der Reform. Während es bei einem Verkehrsunfall für das Opfer, das ja von der Versicherung entschädigt wird, durchaus Sinn machen kann, auf einen Strafantrag zu verzichten, sehe ich die Sache bei schwereren Straftaten wie beispielsweise Freiheitsberaubung schon problematischer“, sagt Richter Stefan Tappeiner, Präsident der Strafsektion am Bozner Landesgericht. <h3> Neuerung greift rückwirkend</h3>Sein Vorgänger in diesem Amt, Richter Carlo Busato, geht aber davon aus, dass sich für die Bürger nicht so viel ändert. „Die meisten Geschädigten stellen sowieso einen Strafantrag“, weiß er aus Erfahrung. „Was sich ändert, ist, dass der Richter – da der Staatsanwalt den Fall nicht von Amts wegen weiterverfolgt – die Möglichkeit hat, eine Einigung zwischen den Parteien über eine Entschädigung herbeizuführen und den Fall damit abzuschließen.“ Da die Reform rückwirkend greift, informiere das Landesgericht jetzt alle Geschädigten in behängenden Verfahren darüber, dass sie einen Strafantrag stellen müssen. <BR /><BR /> Ziel dieser und anderer Neuerungen ist, die Dauer der Strafverfahren in Italien bis zum Jahr 2025 um 25 Prozent zu senken, jene der Zivilverfahren um 40 Prozent. Dies ist eine der Bedingungen der EU im Rahmen der Ausschüttung der Gelder für den staatlichen Wiederaufbauplan (PNRR). Der Option für den Geschädigten, auf einen Strafantrag zu verzichten, liegt auch die Absicht zugrunde, die Wiedergutmachungsjustiz zu stärken. Dabei treffen Opfer und Täter vor einem Mediator zusammen und suchen nach konkreten Lösungen. Die Region Trentino-Südtirol hat bereits ein Projekt zur wiedergutmachenden Justiz als Alternative zu klassischen Gerichtsverfahren am Laufen. <BR /><BR /><embed id="dtext86-58241012_quote" /><BR /><BR /><BR />Neu ist auch die Regelung, wonach in all jenen Fällen, bei denen der Angeklagte keine Kenntnis vom Verfahren hat, der Richter ein Urteil auf Unverfolgbarkeit erlässt. „Damit soll gewährleistet werden, dass nur einer informierten Person der Prozess gemacht wird, und keinem Geist,“ sagt Richter Busato. <BR /><BR />Nach dem Beschuldigten wird aber weiter gesucht, und zwar bis zum Verstreichen der doppelten Zeit der Verjährungsfrist. „Bei Betrug würde die Suche beispielsweise 12 Jahre lang andauern. Wird der Betroffene gefunden, wird das Verfahren wieder ,aufgetaut’“, sagt Richter Busato. „Derzeit sind am Landesgericht 450 Verfahren ausgesetzt, weil der Angeklagte keine Kenntnis davon hat, etwa 700 weitere behängen in der Ermittlungsphase“, weiß Richter Tappeiner. <BR /><BR />Weiters wird bei Verfahren aufgrund direkter Ladung durch den Staatsanwalt eine neue Figur – der Richter der Erstverhandlung im Hauptverfahren – zwischengeschaltet. „Nur wenn dieser Richter nach Einsicht in die ganze Aktenlage die berechtigte Prognose stellt, dass der Fall mit einer Verurteilung enden wird, folgt ein Hauptverfahren. Der Fall kann aber auch in dieser Vorphase mit einem alternativen – und schnelleren – Verfahrensritus abgeschlossen werden“, sagt Richter Busato. Am Bozner Landesgericht gelangte im Jahr 2022 der Großteil der neuen Akten – es waren 1440 – über direkte Ladung zum Hauptverfahren. Jetzt müssen derartige Fälle den „Filter“ des Erstrichters durchlaufen. <h3> Justiz hat zu wenig Personal</h3>Was all diese Maßnahmen fruchten, werde man wohl in etwa einem Jahr sehen, meint Richter Tappeiner. An einer Tatsache bleibt jedoch nichts zu rütteln: Italiens Justiz hat viel weniger menschliche Ressourcen als andere Länder. In Deutschland beispielsweise gibt es 19.000 Richter, in Italien sind es rund 9000. <BR /><BR />„Die Stadt Köln hat in etwa doppelt so viele Einwohner wie Südtirol. Zwischen Amtsgericht und Landesgericht Köln sind 200 Richter im Amt, heruntergebrochen auf Südtirol müssten wir demnach 100 Richter haben“, rechnet Richter Tappeiner vor. Doch die Realität sieht anders aus: „Zwischen Gerichts- und Sektionspräsidenten, Richtern, ehrenamtlichen Richtern und Friedensrichtern kommen wir nur auf etwa knapp die Hälfte.“<BR />