<BR /><b>Wie hoch ist derzeit die Terrorgefahr in Europa?</b><BR />Prof. Franz Eder: Ich schätze sie nicht höher ein als in den vergangenen Monaten. Immer wieder begehen einsame Wölfe Attentate. Sie sind nicht Teil einer Gruppe. Gegen sie können wir kaum etwas tun, wir sind chancenlos.<BR /><BR /><embed id="dtext86-68619699_quote" /><BR /><BR /><b>Aber nicht jeder Attentäter ist ein Einzelgänger. Warum nimmt das Phänomen gerade jetzt wieder zu?</b><BR />Prof. Eder: Solche Prozesse beginnen sehr oft in einer Lebenskrise. Menschen ziehen sich aus ihrem gewohnten Umfeld zurück, kommen mit islamistischen oder rechtsradikalen Inhalten im Internet in Kontakt. Sie radikalisieren sich, sind bereit, ein Attentat durchzuführen. Warum wir gerade jetzt diesen Anstieg haben, ist schwer zu sagen. Das Angebot im Netz nimmt zu, ebenso die Zahl der Menschen, die in eine persönliche Krise gerät. Das eine führt zum anderen.<BR /><BR /><b>In Südtirol wurde vor Kurzem ein 15-Jähriger wegen Terrorverdachts verhaftet. Er hatte sich im Internet radikalisiert. Warum steigt das Risiko einer solchen Radikalisierung, wenn es soziale Medien bereits seit über 20 Jahren gibt? </b><BR />Prof. Eder: Seit es das Internet gibt, findet auch dort Radikalisierung statt. Das ist nichts Neues. Jugendliche und teilweise Kinder finden in der digitalen Welt einen Rückzugsort. Sie treffen dort auf vermeintlich Gleichgesinnte. Das Problem sind die Echokammern.<BR /><BR /><embed id="dtext86-68621643_quote" /><BR /><BR /><BR /><b> Was sind Echokammern?</b><BR />Prof. Eder: Das sind Räume, wo nur eine einzelne Meinung widergespiegelt wird. Junge Menschen treffen auf vorgefertigte Weltbilder, die total verzerrt sind. Gleichzeitig gibt es kein Korrektiv. In der normalen Welt ist das ganz anders. Man ist permanent gezwungen, sich zu überdenken, zu argumentieren, seine Worte abzuwägen.<BR /><BR /><b>Was kann man gegen Echokammern tun?</b><BR />Prof. Eder: Wir dürfen digitale Räume, wie die sozialen Medien, nicht den terroristischen Akteuren überlassen. Wir müssen Inhalte, die mit liberaldemokratischen Werten nichts zu tun haben, in Frage stellen, sperren und löschen. Wir müssen beginnen, in diesen Räumen Gegenerzählungen zu starten. Wir dürfen nicht nur beobachten, sondern müssen uns als Gesellschaft und Behörden einmischen. Solche Echokammern dürfen überhaupt erst gar nicht entstehen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-68621647_quote" /><BR /><BR /><b>Kann man Radikalisierung überhaupt rechtzeitig erkennen?</b><BR />Prof. Eder: Die Radikalisierung findet zwar im Internet statt, aber der Ausgangspunkt befindet sich immer im normalen Leben. Wenn sich jemand radikalisiert, erkennen wir das mit großer Wahrscheinlichkeit. Solche Menschen schotten sich ab, sie werden anders, haben Persönlichkeitsveränderungen. Es gibt nur wenige Fälle, wo das vom Umfeld unentdeckt bleibt – sei es von Familie, Schule oder am Arbeitsplatz. Radikalisierung hinterlässt Spuren. Wir müssen besser sensibilisieren, um Betroffene besser zu erkennen.<BR /><BR /><b>Was ist noch notwendig für mehr Sicherheit?</b><BR />Prof. Eder: Sicherheitsorgane brauchen Mittel, um gefährdete Menschen im Auge zu behalten und zu überwachen. Keine Frage. Aber man darf nicht eine breite Gesellschaft unter Generalverdacht stellen. Es braucht Langzeitstrategien. Wir hätten damit schon viel früher beginnen müssen. Es braucht eine Sensibilisierung in Schulen, bei der Lehrlingsausbildung, am Arbeitsplatz. Jeder von uns kann etwas dagegen tun, weil die Radikalisierung beginnt im Kleinen, vor Ort.