Fast zwei Jahre nach dem Air-France-Absturz vor der Küste Brasiliens soll in der kommenden Woche die entscheidende Bergungsaktion beginnen. Dabei sollen nach einer Entscheidung der französischen Behörden sowohl Wrackteile als auch Leichen aus einer Tiefe von fast 4000 Metern geborgen werden. Das teilte die brasilianische Flugunfalluntersuchungsbehörde CENIPA nach einer Information durch die französische Partnerbehörde BEA mit.Ein Behördensprecher sagte bei einer Pressekonferenz am Dienstag in Brasília, es gebe Zuversicht, dass auch die Flugdatenschreiber gefunden werden könnten.Streit zwischen AngehörigenDie französische Zeitung „Le Figaro“ hatte kürzlich berichtet, dass es hinsichtlich der Bergung der Toten einen Streit gebe zwischen den Angehörigen, weil einige von ihnen die Leichen auf dem Meeresgrund belassen wollten.Die Operation beginnt nach brasilianischen Angaben am nächsten Freitag, wenn das Schiff „Il de Sein“ von Senegal (Westafrika) aus in See sticht. Das Schiff brauche etwa drei Tage bis zur Ankunft in dem Seegebiet rund 1100 Kilometer von der brasilianischen Stadt Recife entfernt, wo die Wrackteile Anfang April geortet wurden.Die Untersuchungskommission werde zwar von der BEA geleitet. Beteiligt seien aber auch Repräsentanten von Behörden aus Brasilien, den USA, Großbritannien und Deutschland (Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung, BFU). Zudem seien Beobachter von weiteren zwölf Ländern vertreten.Unglück immer mysteriöser: Bauchklatscher aufs WasserWarum stürzt ein voll besetzter Air-France-Airbus auf dem Flug von Rio nach Paris mit 228 Menschen an Bord über dem Atlantik ab? Die Entdeckung des 400 mal 200 Meter großen Trümmerfelds und die von Robotern geschossenen 15.000 Fotos warfen noch mehr Fragen zum Todesflug AF 447 vom 1. Juni 2009 auf. Denn zunehmend verdichtet sich die Vermutung zur Gewissheit, dass die Langstreckenmaschine vom Typ Airbus A330 erst beim Aufprall aufs Meer zerbarst und sank – sonst lägen die Trümmer weit zerstreut. Warum aber knallt ein mit modernen Computern und Sicherungssystemen ausgerüsteter Verkehrsjet mit einer Art Bauchklatscher aufs Wasser, ohne dass es die Piloten verhindern?Der Absturz von Flug AF 447 könnte eine Bedeutung bekommen, die weit über den Einzelfall hinausweist. Denn sollte sich herausstellen, dass auch moderne Verkehrsjets durch aerodynamische Extremsituationen wie schwere Tropengewitter in fatale Notlagen gelangen können, müssten wohl weltweit die Sicherheitssysteme auch vieler anderer Flieger auf den Prüfstand. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch das große Interesse von Hersteller Airbus, der sich die Suche nach dem Wrack mehrere Millionen Euro kosten ließ. Doch auch andere Hersteller haben ein enormes Interesse daran zu erfahren, was bei diesem Flug wirklich passiert ist. Denn er sprengt in vielfacher Hinsicht den Rahmen des Wahrscheinlichen.Lebhafte Diskussion in InternetforenLuftfahrtexperten diskutieren seit Wochen in Internetforen lebhaft über Szenarien, bei denen eine Verbindung aus Extremsituationen und falschen Anzeigen in großer Höhe zu schlagartigem Höhenverlust führen kann. Dabei taucht immer wieder ein Schlagwort auf, dass es eigentlich für moderne Verkehrsflugzeuge so gar nicht geben dürfte: der „Deep stall“. Es beschreibt einen Abriss der zum Fliegen wichtigen Strömung, bei dem auch das für Seiten- und Höhenänderungen wichtige Leitwerk wirkungslos wird. Bei gepfeilten Flügeln – wie sie moderne Verkehrsjets haben – reißt der Auftrieb meist an den Enden zuerst ab.Durch den geänderten Druckpunkt „bäumt“ sich das Flugzeug regelrecht auf und verliert weiter an Auftrieb – ein tödlicher Kreislauf. Es ist ein seltenes Phänomen, das den Jet wie ein welkes Blatt weitgehend in Bauchlage vom Himmel fallen lässt. Der französische Pilot Gerard Arnoux, der nach Angaben der Zeitung „Le Figaro“ die Hinterbliebenen der Opfer berät, hat den Fundort der Trümmer mit der letzten Positionsmeldung der Maschine in 35.000 Fuß (knapp zwölf Kilometer) Höhe in Relation gesetzt. Er errechnete, dass Flug AF 447 nach einem Höhenverlust von 2,1 Kilometern pro Minute fünf Seemeilen weiter ins Meer knallte.Wie ein Stein vom Himmel gefallen Mit anderen Worten: Der Airbus fiel wie ein Stein vom Himmel und mit geringer Neigung wie bei einem Bauchklatscher aufs Wasser, bevor er zerbarst und sank. Ein Szenario ähnlich dem des „Deep Stall“. Doch diese seltene, aber fatale Form des Strömungsabrisses ist eigentlich weitgehend Flugzeugen mit T-Leitwerken vorbehalten, wie sie etwa noch alte sowjetische Maschinen vom Typ Tupolew Tu-154 hatten. Heute sind moderne Verkehrsflugzeuge dagegen so konzipiert, dass sie eigentlich gar nicht in solche Situationen geraten können. Aufklärung erhoffen sich die Flugunfalluntersucher daher nun von den Flugdatenschreibern.Beim Auswerten der Roboterbilder vom Trümmerfeld haben Ermittler das Heckteil lokalisiert – dort ist die „Black Box“ normalerweise angebracht. Fraglich bleibt aber, ob sie noch dort montiert ist – und ob die Daten noch lesbar sind nach so langer Zeit unter Wasser. apa/stol