Impfdurchbrüche sind bekanntlich möglich: Können Geimpfte in diesem Fall sogar zur Verantwortung gezogen werden?<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />Für die Aufforderung, im Fall einer Ansteckung durch Geimpfte, eine Strafanzeige zu stellen, wird eine etwas widersprüchliche Begründung geliefert: Da die Impfung nicht vor Infektionen und Ansteckungen schütze, habe sich der Geimpfte in falscher Sicherheit gewogen und hätte sich testen lassen können.<BR /><BR /> Grundsätzlich gilt: Jede Person kann eine andere wegen gerichtlich strafbarer Handlungen wie etwa fahrlässiger Körperverletzung anzeigen. Mit dem Posting wird aber suggeriert, dass bei so einer Anzeige auch eine Strafbarkeit herauskommt. Aus Sicht der Leiterin des Instituts für Strafrecht und Kriminologie der Universität Wien, Susanne Reindl-Krauskopf, ist das zweifelhaft.<BR /><BR />Das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung würde voraussetzen, dass ein „objektiv sorgfaltswidriges Verhalten“ vorliege. Um Geimpften ein solches Verhalten vorwerfen zu können, müsste es der Norm entsprechen, dass sich Geimpfte auch testen lassen müssten. Diese Norm gibt es aber derzeit nicht.<BR /><BR /><b>Wo ist der sichere Nachweis?</b><BR /><BR />Ein weiterer Punkt ist, dass man bei einem Körperverletzungsdelikt immer nachweisen können muss, dass genau das Handeln, das man der angezeigten Person vorwirft, auch ursächlich für den Eintritt der Körperverletzung war – in dem Fall für eine Erkrankung an Covid-19. Man müsste also einen sicheren Nachweis bringen können, dass die Tatsache, dass der ungetestete Geimpfte auf einen Ungeimpften getroffen ist, schuld daran ist, dass der Ungeimpfte erkrankt ist. „Diese Ursächlichkeit werden Sie wahrscheinlich nicht mit Sicherheit feststellen können, weil sich der Ungeimpfte ja woanders genauso anstecken hätte können“, sagt Reindl-Krauskopf.<BR /><BR />In den oft geteilten Postings wird argumentiert, dass nach heutigem Stand eine Impfung weder vor einer Infektion schütze noch die Weitergabe des Virus unterbrochen werde. Tatsächlich können sich Geimpfte infizieren, aber schwerwiegende Covid-19-Verläufe können durch einen vollständigen Impfschutz weitgehend vermieden werden.<BR /><BR />Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) ist die Wahrscheinlichkeit, schwer an Covid-19 zu erkranken, bei den vollständig Geimpften um etwa 90 Prozent geringer als bei nicht Geimpften. Mehrere Gesundheitsinstitutionen wie das RKI oder die österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) (sowie das Öffentliche Gesundheitsportal Österreich schreiben zudem auf ihren Webseiten, dass Geimpfte das Virus weniger übertragen als Ungeimpfte.<BR /><BR /><b>Viruslast nur für kurze Zeit</b><BR /><BR />Zuletzt erschienen auch mehrere Studien dazu. Einer britischen Studie im renommierten Fachjournal „The Lancet“ (Oktober 2021) zufolge haben auch vollständig Geimpfte noch ein gewisses Risiko, sich mit der Delta-Variante anzustecken und auch andere Menschen in ihrem Haushalt zu infizieren. Ihre Viruslast fiel zeitweise ähnlich aus wie jene von Ungeimpften.<BR /><BR />Eine niederländische Preprint-Studie (August 2021) kam zu dem Ergebnis, dass Geimpfte zwar ähnliche CT-Werte wie Ungeimpfte haben, infektiöse Viren aber weniger oft im Vergleich zu Ungeimpften nachgewiesen wurden. Geimpfte hatten zudem nur 3 Tage eine hohe Viruslast. Dass sich die Viruslast bei Geimpften schneller reduzierte als bei Ungeimpften, wird in einer weiteren Preprint-Studie aus Singapur (Juli 2021) beschrieben. <BR /><BR />Der Beleg der Wirksamkeit der Impfung hat nach Angaben von Reindl-Krauskopf ebenfalls Einfluss auf die Sorgfaltspflicht: „Wenn nicht gesichert wäre, dass die Impfung wirkt, dann würde die Situation natürlich anders ausschauen. Dann darf ich mich als durchschnittlicher Bürger auch nicht darauf verlassen, dass ich eine geringe Gefahr für andere Menschen darstelle“.<BR /><BR /><b>Überdurchschnittliche Gefahrenlage?</b><BR /><BR />Auch der Strafrechtsexperte und Leiter des Instituts für Strafrechtswissenschaften der Johannes-Kepler-Universität Linz, Alois Birklbauer, gibt eine ähnliche Einschätzung ab. Im Regelfall liege bei dem in den Postings beschriebenen Szenario keine fahrlässige Körperverletzung vor. Da Fahrlässigkeit voraussetze, dass ein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten gesetzt werde, müsse der Täter eine überdurchschnittliche Gefahrenlage für andere schaffen.<BR /><BR />„Da nach derzeitigem Stand Impfdurchbrüche möglich sind, wird diese Frage allenfalls dann zu bejahen sein, wenn der Geimpfte eindeutige Symptome verspürt, die auf eine COVID-Erkrankung hinweisen. Wenn er sich in solchen Fällen nicht testen lässt, um Gewissheit zu bekommen, und trotzdem in die Arbeit oder auf eine Party geht, könnte er eine fahrlässige Körperverletzung verwirklichen, wenn er eine andere Person ansteckt“, sagt der Strafrechtsexperte. In anderen Fällen, etwa bei einem stillen Verlauf oder bei typischen Erkältungssymptomen, die nicht unbedingt auf Covid-19 deuten, sei das jedenfalls nicht der Fall.<BR /><BR />Der Faktencheck der Nachrichtenagentur APA kommt damit zu folgendem Ergebnis: Prinzipiell kann jeder eine Strafanzeige wegen gerichtlich strafbarer Handlungen stellen. Aus juristischer Sicht ist es allerdings sehr unwahrscheinlich, dass eine Anzeige wegen fahrlässiger Körperverletzung aufgrund der im Posting beschriebenen Situation von Erfolg gekrönt ist.