Wir Südtiroler haben viele Dinge fest ins Herz geschlossen: Unsere Bräuche, unseren einzigartigen Dialekt und nicht zuletzt unsere markanten Kirchtürme. Damit ist nicht allein das spitze Wahrzeichen aus Stein gemeint, das auf keinem Postkartenmotiv fehlen darf. Gemeint ist vielmehr eine Haltung, die so tief verwurzelt ist, wie der Turm hoch in den Himmel ragt: Das Kirchturmdenken. Es gehört zu unseren markantesten, wenngleich eigensinnigsten Eigenschaften. <BR /><BR />Ein Denken, bei dem die Welt am Ortsrand zu enden scheint oder zumindest seltsam irrelevant wird, sobald sie jenseits der eigenen Talseite liegt. Dieses Kirchturmdenken ist Fluch und Segen zugleich.<BR /><BR />Denn zum einen ist der Kirchturm ein Heimatmagnet, der Identität stiftet und dafür sorgt, dass unsere Ortschaften lebendig bleiben. Ohne ihn gäbe es keine traditionellen Dorffeste mit hausgemachten Krapfen, keine sonntäglichen Marschklänge auf dem Kirchplatz, keine gemütlichen Gasthäuser, in denen noch lebhafte politische Debatten auf Bierdeckeln geführt werden. Der Kirchturm ist ein kraftvolles Symbol für das, was wir besonders gut können: Gemeinschaft im Kleinen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-70094870_quote" /><BR /><BR />Doch wenn es um das Große, das Überregionale oder gar Globale geht, wird Kirchturmdenken schnell zum Sichtschutz, der den Blick auf das Wesentliche verstellt und uns daran hindert, das große Ganze wirklich zu erkennen, zu verstehen und entsprechend zu handeln. <BR /><BR />Gerade wenn es darum geht, Herausforderungen anzupacken, die über Gemeindegrenzen hinausreichen, ist das Kirchturmdenken ein echter Bremsklotz. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht es heute mehr denn je Kooperationen – sei es im gemeinsamen Tourismusmanagement, bei der gemeinsamen Bewältigung der drängenden Wohnraumsituation oder in der koordinierten Abstimmung der Gemeindeentwicklungskonzepte.<BR /><BR />Gerade hier ist es wichtig, über den Tellerrand der eigenen Gemeinde hinauszuschauen – ja, letztlich sogar über Südtirols Landesgrenzen hinweg. Der Kirchturm, so zeigt sich, ist beides zugleich: Heimatmagnet und Hemmschuh. Doch ihn gelegentlich zu besteigen, würde helfen, den Blick von oben zu weiten, die Perspektive zu verändern und die eigene Engstirnigkeit hinter sich zu lassen.<BR /><BR /> <a href="mailto:josef.bertignoll@athesia.it" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">josef.bertignoll@athesia.it </a>