Warum Martin (Name von der Redaktion geändert) anonym bleiben will? „Weil ich möchte, dass andere meine Kompetenzen wahrnehmen und nicht in erster Linie den Albinismus“, antwortet er. Dies könne nämlich dazu führen, dass dieses einzelne Merkmal so dominant wirke, dass andere Merkmale in der Beurteilung seiner Person in den Hintergrund gedrängt bzw. gar nicht mehr berücksichtigt werden.<BR /><BR />Einmal habe Martin in einer Schule über seine Besonderheit erzählt – und sei sofort in eine Schublade gesteckt worden: „Man hat mich als zweiten Heino abgestempelt. Dabei kann ich mit seiner Musik gar nichts anfangen, weil ich Hardrocker bin“, lacht er. Jene Stereotypisierungsversuche führt Martin auf Unwissenheit und Ignoranz zurück: „Die Leute informieren sich einfach zu wenig.“ <h3> Albinismus: Was dahintersteckt</h3>Albinismus ist eine Störung der Hautpigmentierung, die bei Personen jeder Ethnizität auf der ganzen Welt auftreten kann. Global gesehen variiert die Häufigkeit von Albinismus stark. Während weltweit durchschnittlich einer von 20.000 Menschen mit dem seltenen Gendefekt geboren wird, ist das Risiko für Albinismus in Afrika deutlich erhöht – ca. einer von 10.000 Menschen ist dort davon betroffen, wie aktuelle Studien zeigen. <BR /><BR />Dr. Francesco Benedicenti, Direktor des Genetischen Beratungsdienstes des Sanitätsbetriebs sowie Leiter des Koordinationszentrums für Seltene Krankheiten gibt an, dass in Südtirol 4 Fälle von Albinismus ins Register für seltene Krankheiten eingetragen sind. Die Dunkelziffer dürfte jedoch höher sein. Die Eintragung in dieses Register ist nämlich an die Gewährung einer spezifischen Ticketbefreiung für seltene Krankheiten geknüpft. Im Falle von Albinismus sind die Einschränkungen aber oft nicht so schwerwiegend, um den Antrag zu rechtfertigen.<BR /><BR />Albinismus werde durch verschiedene seltene genetische Veränderungen verursacht, die nicht nur zu einer Hypopigmentierung (einer außergewöhnlich geringen Konzentration an Melanin) oder Depigmentierung (vollständiger Farbverlust) der Haut führen, sondern auch die Augen betreffen, was sich in verminderter Sehkraft, Schielen und unwillkürlichen Augenbewegungen (Nystagmus) äußern kann, wie Dr. Benedicenti erklärt. „Treten diese Störungen gemeinsam auf, spricht man in der Fachsprache vom sogenannten okulokutanen Albinismus.“ Beim sogenannten okulären Albinismus hingegen seien Dr. Benedicenti zufolge fast ausschließlich die Augen und die Sehbahnen betroffen, während der Körper normal pigmentiert ist.<h3> Wo Körperteile verkauft werden</h3>Martin ist vom okulokutanen Albinismus betroffen. Neben der hellen Haut- und Haarpartie ist sein Sehvermögen stark eingeschränkt, da seiner Netzhaut die Farbpigmente fehlen. Die Regenbogenhaut (Iris) ist somit nahezu transparent und lichtdurchlässig. Außerdem schielt Martin aufgrund des fehlenden Melanins und der daraus resultierenden Photophobie. „Ich sehe etwa zehn Prozent von dem, was andere mit ihren Augen wahrnehmen können“, betont er. Dennoch habe er eigenen Angaben zufolge Glück gehabt, dass seine Symptome nicht stärker ausgeprägt sind. <BR /><BR />„Albinismus wird rezessiv vererbt“, erklärt Dr. Benedicenti weiter, „das heißt, dass Mutter und Vater des Betroffenen dieses besondere Genmaterial bereits in sich tragen müssen, damit beim Kind die Erkrankung ausbricht.“ Tatsächlich sei es laut Dr. Benedicenti so, dass bei einer Vielzahl der auftretenden Fälle die Eltern blutsverwandt sind. Vor allem in Afrika sei Albinismus häufig darauf zurückzuführen. <BR /><BR />Auf der ganzen Welt kämpfen Menschen mit Albinismus mit denselben Schwierigkeiten: der Sehschwäche und Sonnenempfindlichkeit, der Anfälligkeit für Hautkrebs und – ganz besonders – mit der Stigmatisierung ihres Andersseins. Besonders Afrikanerinnen und Afrikaner mit Albinismus müssten sich dagegen wehren, bestätigt Dr. Benedicenti. <BR /><BR />Der Handel mit abgetrennten Gliedmaßen von Menschen mit Albinismus sei in Afrika ein lukratives Geschäft. Während die Körperteile Glück und Reichtum bringen sollen, gelten lebendige Menschen mit dieser Genmutation als böses Omen oder verflucht. Die Hilfsorganisation „Under The Same Sun“ (Unter derselben Sonne) kämpft seit Jahren gegen die Diskriminierung von Menschen mit Albinismus und hat eine präzise und brutale Statistik erstellt. Seit den 1990er Jahren wurden in 27 afrikanischen Ländern mindestens 190 Betroffene getötet und 300 angegriffen. <h3> „Kein Sonderstatuts“</h3>In Europa hingegen werden Menschen mit Albinismus häufig gehänselt, auf ihr Äußeres „reduziert“ und missverstanden, so Dr. Benedicenti. <BR /><BR />Erst mit 14 realisierte Martin so richtig, dass er mit Albinismus geboren worden war: „Auch meine Eltern wussten bis dahin nichts Genaueres darüber – zu meinem Glück! Denn ich wurde gleich behandelt wie meine anderen Geschwister.“ <BR />In der Schule hatte Martin keinen Stützlehrer, was zur Folge hatte, dass er selbstständig lernen musste, mit seinen Einschränkungen umzugehen. „Wenn man fast 80 Prozent von dem, was einen umgibt, nicht sehen kann, muss man sich Konzepte zurechtlegen. Und das habe ich getan.“ Mit Erfolg. Nach der Oberschule absolvierte Martin ein Universitätsstudium und schloss dieses ab. Keinen Sonderstatus zu haben, das ist Martin heute noch wichtig. Dieser Umstand erwecke in ihm das nötige Vertrauen, sich selbst nicht als „beeinträchtigt“ anzusehen.<BR /><BR />Eine weitreichende Aufklärung über Albinismus sei Martin zufolge auch schon in der Schule notwendig, damit Betroffene dieselben Aufstiegschancen hätten wie alle anderen.<BR />