Sind Befunde anders verfasst, je nachdem, ob es sich bei den Patienten um Männer oder Frauen handelt? Zu dieser Frage forscht die aus Südtirol stammende Sprachwissenschaftlerin Karoline Irschara im Rahmen eines Projektes an der Universität Innsbruck. Analysiert werden dafür nicht weniger als 5 Millionen radiologische Befunde der Uniklinik. <BR /><BR /><BR /><b>Ein Röntgenbild macht keinen Unterschied zwischen Mann und Frau – könnte man meinen. Ihre Forschung zeigt: So einfach ist das nicht. Wo haben Sie Unterschiede festgestellt?</b><BR />Karoline Irschara: Für mein Projekt untersuche ich, ob sich radiologische Befunde sprachlich unterscheiden, je nachdem ob es sich bei den Patienten um Männer oder Frauen handelt. Ich habe Tendenzen gefunden, die Unterschiede belegen: z. B. Verkleinerungsformen, die bei weiblichen Patienten signifikant häufiger vorkommen. Mit der Interpretation dieser Ergebnisse muss man dennoch vorsichtig sein. <BR /><BR /><BR /><b>Sie haben in den Befunden zum Beispiel die Verkleinerungsform „Zystchen“ entdeckt. Was sagt Ihnen das?</b><BR />Irschara: Man kann das nicht ganz eindeutig interpretieren. Es ist aber nicht auszuschließen, dass solche Verkleinerungsformen – also „Zystchen“ statt „Zyste“ – dazu führen, dass die Patientin anders behandelt wird, etwa weil die Zyste als unproblematisch markiert wird. So eindeutig lässt sich das aber nicht sagen: Die Verkleinerung könnte zum Beispiel auch deshalb genutzt werden, weil der behandelnde Arzt oder die Ärztin die Patientin beruhigen will. Wir können nur beschreiben, was wir in den Daten finden und wollen auch keine böse Absicht unterstellen. Wie groß die untersuchten Zysten tatsächlich waren, geht aus unseren Daten nämlich nicht hervor. Aber dennoch ist die Tendenz interessant: Wir hatten nicht erwartet, eine solche Form in den stichwortartigen, nüchternen Befunden überhaupt zu finden.<BR /><BR /><embed id="dtext86-53223216_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Wissen Sie, ob der Arzt, der von „Zystchen“ schreibt, männlich oder weiblich ist?</b><BR />Irschara: Das lässt sich nicht genau sagen, weil der Datensatz anonymisiert ist. Ursprünglich hatten wir 100.000 Datensätze untersucht, jetzt haben wir sie auf 5 Millionen erweitern können. Die ursprüngliche Annahme, dass eventuell im mammographischen Bereich die Zysten tatsächlich kleiner sein könnten oder die Patientinnen beruhigt werden sollten, werden wir jetzt weiterverfolgen: Denn auch im großen Datensatz kommt das „Zystchen“ vor. Unsere Vermutung ist, dass es eine implizite Form von Ungleichbehandlung anzeigt.<BR /><BR /><i>Zum Tag der Frau: Stimmen Sie ab!</i><BR /><BR /> <div class="embed-box"><div data-pinpoll-id="195819" data-mode="poll"></div></div> <BR /><BR /><BR /><b>Mit impliziter Ungleichbehandlung meinen Sie, dass Frauen unbewusst benachteiligt werden?</b><BR />Irschara: Ja, Frauen werden benachteiligt. Aus unserer Untersuchung kommen einzelne Aspekte dazu hervor. Aber es gibt in der Forschung schon viele Belege für das Phänomen. Frauen haben etwa weniger Zweituntersuchungen als Männer. Auch die Wartezeiten – das geht aus den Metadaten hervor – sind bei Frauen länger. Das könnte problematisch sein. Frauen werden eher von klinischen Studien ausgeschlossen, weil sie schwanger werden könnten, Medikamente sind eher auf männliche Körper ausgerichtet: Daraus folgt, dass Frauen nicht die gleiche Behandlung bekommen wie Männer. Selbst wenn bei Nackenschmerzen die gleichen Symptome vorliegen, werden Männer ausführlicher untersucht als Frauen, was natürlich auch zu einer unterschiedlichen Behandlung führt. Oft herrscht die männliche Norm vor. Das läuft unterbewusst. <BR /><BR /><BR /><b>Sie forschen am Institut für Sprachwissenschaft: Ein Vorurteil besagt ja auch, Frauen seien kommunikativer als Männer. Verschafft ihnen das dennoch keinen Vorteil?</b><BR />Irschara: Zumindest nicht zwangsläufig. Forschungsergebnisse zeigen, dass Ärztinnen und Ärzte Frauen häufiger unterbrechen als Männer: Das Geschlecht ist nicht der einzige Faktor. Auch Status ist eine wichtige Variable. <BR /><BR /><BR /><b>Sprechen Frauen anders mit Ärztinnen und Ärzten als Männer?</b><BR />Irschara: Für einige medizinische Fachbereiche wurde bereits festgestellt, dass Frauen und Männer unterschiedlich über ihre Schmerzen sprechen. Es zeigte sich in Bezug auf Brustschmerzen zum Beispiel, dass Frauen dazu neigen, ihre Schmerzempfindungen sprachlich zu relativieren, während Männer ihre Schmerzen hochstufen. Männer gehen sehr konkret auf ihre Schmerzen und ihre Symptome ein. Frauen stellen sie eher in einen Kontext. Über diese Beschreibung kommt der behandelnde Arzt dann erst zur Diagnose. Wenn wir über geschlechtsspezifische Unterschiede Bescheid wissen, wirkt das ganz konkret potenziellen Gefahren entgegen.<BR /><BR /><b>Zur Person:</b><BR /><BR />Karoline Irschara arbeitet am Institut für Sprachwissenschaft der <BR />Universität Innsbruck und ist Mitarbeiterin des Projektes MedCorpInn (www.medizinwort.at); für ihre Masterarbeit „Von Zystchen und gut 3 cm. Eine korpus- und genderlinguistische Analyse radiologischer Befunde“ erhielt sie den GenderFem Preis 2018 sowie einen Förderpreis des Landesbeirates für Chancengleichheit der Autonomen Provinz Bozen.<BR /><BR /><b>Zum Thema:</b><BR /><BR /><BR />Die Gesellschaft für deutsche Sprache, die Sprachstelle im Südtiroler Kulturinstitut und die Landesbibliothek Teßmann haben Karoline Irschara zu einem Vortrag nach Bozen eingeladen. Sie wird dabei bisherige Ergebnisse der Studie vorstellen. Darüber hinaus wird sie allgemein berichten, was die Forschung über die Zusammenhänge zwischen Sprache, Geschlecht und Medizin herausgefunden hat. <BR /><BR />Der Vortrag „Sind Frauen anders krank? Über Sprache, Frauen und Medizin“ findet am Donnerstag, 10. März um 20 Uhr in der Landesbibliothek Dr. F. Teßmann in Bozen statt. Anmeldung erforderlich.<BR />