<b>Herr Bernhard, was ist das bestimmende Merkmal des Männerbildes von heute?</b><BR />Armin Bernhard: Der Mann muss heutzutage mit 2 Spannungsfeldern, die sich immer stärker bemerkbar machen, zurechtkommen: Einerseits ist der Druck nach einem anderen Mannsein groß, andererseits hält sich weiterhin hartnäckig das traditionelle Männerbild. Das zeigt sich im persönlichen privaten Bereich wie auch im größeren gesellschaftlichen Kontext. Diese Spannungsfelder muss der Mann für sich in Einklang bringen. <BR /><BR /><b>Welchen konkreten Erwartungen muss sich denn aber der Mann von heute stellen?</b><BR />Bernhard: Einerseits wird erwartet, dass der Mann einfühlsam und sensibel ist, sich den Kindern und der Familie zuwendet und auch Hausarbeit erledigt, andererseits soll er zugleich im Beruf seinen Mann stehen und sich dort durchsetzen können. Hier wird eben das genannte Spannungsfeld deutlich. <BR /><BR /><b>Die Spannung besteht folglich zwischen der Familie und der Berufswelt?</b><BR />Bernhard: Das bestimmende Identifikationsmerkmal der Männlichkeit ist die Arbeit, nicht umsonst ist die Arbeit auch das dominante Gesprächsthema unter Männern. Folgerichtig geben sie auch von sich aus an, sich nur eine Vollzeit-Beschäftigung vorstellen zu können. Und falls man dann einen Mann mit dem Kinderwagen spazierengehen sieht, dann taucht oft die Frage auf: Arbeitet der nicht, was ist mit dem los? Der Mann hält ziemlich hartnäckig an seiner beruflichen Rolle fest, wobei auch zu erwähnen ist, dass unsere Gesellschaft noch kaum echte Alternativen geschaffen hat. Sonst würden sich beispielsweise Männer viel eher und bewusster Elternzeit nehmen.<BR /><BR /><b>Andererseits ist doch eine Aufweichung der klassischen Geschlechterrollen in den vergangenen Jahren und vor allem in den vergangenen Jahrzehnten augenscheinlich, oder? </b><BR />Bernhard: Augenscheinlich ist, dass Männer sich ein anderes Mannsein wünschen. Es ist durch die Bank so, dass die Männer mehr Zeit mit Kinder und Familie verbringen möchten. Dieser Wunsch tritt deutlich zutage. Aber oft kann diesem Wunsch eben nicht nachgekommen werden. Jedoch hat sich in den vergangenen Jahren herauskristallisiert, dass das Geschlecht immer mehr zu einem Markthema wird.<BR /><BR /><b>Was meinen Sie damit?</b><BR />Bernhard: Das Geschlecht wird vermarktet, folglich kann es käuflich erworben werden. Man kann das an allen möglichen Produkten erkennen, die es mittlerweile in männlicher und weiblicher Ausführung gibt: Legosteine, Parfums, Handtaschen, Autos – die Liste lässt sich beliebig fortführen. Der Soziologe sagt dazu: Das Geschlecht wird modularisiert, also entkoppelt von den Männern. Somit kauft der Mann Produkte, die Ausdruck des Männlichen sind. Er kauft sich mit Accessoires Männlichkeit ein. Diese Art der Männlichkeit lässt sich aushandeln, so entspricht man der Forderung nach Gleichberechtigung – an der Oberfläche. <BR /><BR /><b>Was hingegen passiert unter der Oberfläche?</b><BR />Bernhard: In der tieferen Schicht dagegen lässt sich vielfach klassisches männliches Verhalten beobachten, etwa wenn Konfliktsituationen zutage treten. Will heißen: Die Männer wenden dann doch wieder Gewalt an, sei es in Kriegen, sei es im Einzelnen oder auf gesellschaftlicher Ebene. Wie ist man denn letzthin mit den Krisen umgegangen, etwa beim Management der Coronakrise oder im Ukraine-Konflikt? Eben mit Kriegsrhetorik und nach dem Muster der Eskalation. Der Dialog rückt dann vielfach in den Hintergrund, die verdeckte Männlichkeit taucht wieder auf. An der Oberfläche redet man von Gleichberechtigung, aber wenn die Krise da ist – auch in der Partnerschaft – dann kommt diese verdeckte Männlichkeit zumeist wieder zum Vorschein. Man muss sich nur die Gewalt vergegenwärtigen. Diese Doppelbödigkeit ist ein weiteres Spannungsfeld. <BR /><BR /><b>Sind gewisse althergebrachte männliche Verhaltensweisen – etwa die Härte zu sich selbst und anderen, mangelnde Kommunikationsfähigkeit oder patriarchale Familienbilder – eigentlich typisch für den Alpenraum?</b><BR />Bernhard: Nein, das würde ich nicht so verorten, weil das findet sich in anderen ländlichen Gegenden genauso. Vielmehr lassen sich Verhaltensweisen auf Notwendigkeiten zurückführen. So ist es pure Notwendigkeit, dass sich im städtischen Raum die Familien gleichberechtigt organisieren müssen, folglich werden die Rollen in der Familie gleichberechtigt ausgehandelt. In ländlichen Räumen indessen arbeitet die Frau vielfach in Teilzeit, somit entstehen in der Familie andere Notwendigkeiten. Solche Unterschiede zwischen ländlichen und urbanen Räumen lassen sich in ganz Europa beobachten. Sehr wohl ist der ländliche Raum wiederum viel stärker lokal verankert, wie sich etwa an einem klassischen Beispiel anhand der Schützen aufzeigen lässt. <BR /><BR /><b>An den Schützen, inwiefern?</b><BR />Bernhard: Dort sind 2 besondere Charakterzüge präsent: Der Territorialbezug und eine klassische traditionelle Männlichkeit, also der Körper. Dies ist ein Gegenentwurf zu all den Unsicherheiten im Alltag und in der Welt, denn die Berufswelt wird zunehmend fragil, das Hausbauen immer schwieriger und auch beim Kinderkriegen stellen sich immer mehr Fragen. Was bleibt, was kann man dem Mann nicht nehmen? Das Territorium und den Körper. Das sind sozusagen die Ankerpunkte, in die man sich flüchtet. Sicherheiten, die einen keiner nehmen kann. Nicht zuletzt finden auch deshalb die Schützen viele junge Mitglieder.<BR /><BR /><b>Wenn Männer die Kindererziehung mitgestalten und im Haushalt mithelfen, so prägt das sein Rollenverständnis. Wie stark ist die moderne Vaterrolle in der Gesellschaft verankert?</b><BR />Bernhard: Auf alle Fälle gibt es diese neue Vaterrolle, aber in der Realität wird sie noch sehr bescheiden gelebt. Der Wunsch danach ist viel größer als die tatsächliche Umsetzung. Viele junge Väter nehmen sich nicht die Freiheiten heraus, oftmals fehlen auch schlicht die Möglichkeiten. Wie bereits ausgeführt, orientieren sich die Männer zunächst einmal immer an der Arbeit. Das zeigt sich auch an der Entwicklung der Vaterschafts-Urlaube: Heute beanspruchen zwar mehr Männer Elternzeit, allerdings fällt diese kürzer aus als früher. <BR /><BR /><b>Natürlich beeinflussen auch die Frauen das heutige Männerbild. Was fällt Ihnen hierbei auf? </b><BR />Bernhard: Nun, es gibt mittlerweile den Begriff des Nicht-Mannes. Viele Kinder haben im Alltag und vor allem im pädagogischen Umfeld fast nur Frauen um sich herum. Geht es dann beim Aufwachsen um die Polarität Mann-Frau, so stellt sich dem jungen Bub auch die Frage: Was bedeutet denn Mannsein? Letztlich alles, was nicht Frau ist. Es ist sicherlich begrüßenswert, wenn in der Gesellschaft immer mehr Bereiche von Frauen eingenommen werden, allerdings wäre es für die Entwicklung der Kinder auch wichtig, wenn Männer stärker in deren Umfeld präsent wären. Nur dann können sie aufzeigen, was Mannsein heutzutage bedeutet, wie vielfältig seine Rollen sind. Umgekehrt hat sich auch das Frausein permanent erweitert, indem sich Frauen stärker in der Berufswelt verankert haben. Die Botschaft sollte sein: Beide Geschlechter haben vielfältige Möglichkeiten, beide haben ihre Stärken und Besonderheiten. <BR /><h3> Zur Person</h3><div class="img-embed"><embed id="827786_image" /></div> <BR /><BR />Die Geschlechterforschung gehört zu den Schwerpunkten des Bildungswissenschaftlers Armin Bernhard im Rahmen seiner Lehrtätigkeit an den Universitäten in Brixen und München. Zudem ist er Präsident der Bürgergenossenschaft Obervinschgau und in der Sozialgenossenschaft Sophia aktiv.<BR /><BR />