<b>Mit 1,39 Kinder pro Frau hat Trentino-Südtirol 2024 die höchste Geburtenrate in Italien...</b><BR />Dr. Steinkasserer: Das ist super und freut mich wirklich sehr. Trotzdem sind auch bei uns die Geburten rückläufig, das ist weniger erfreulich. Mit diesem Wert hält man den demografischen Wandel nicht auf. Dafür müsste der Wert auf 2,4 Kinder pro Frau steigen. Ansonsten schrumpft die Bevölkerung weiter.<BR /><BR /><embed id="dtext86-69272609_quote" /><BR /><BR /><b>Wie erklären Sie sich Südtirols Spitzenplatz?</b><BR />Dr. Steinkasserer: Italien war und ist ein kinderfreundliches Land. Auch Südtirol war und ist Kindern gegenüber aufgeschlossen. Die Rahmenbedingungen sind hierzulande trotzdem besser als anderswo. So ist beispielsweise der Wiedereinstieg in den Beruf einfacher als im restlichen Staatsgebiet. Es gibt Vollbeschäftigung und trotz aller Kritik sind auch die öffentlichen Schulen und die Kinderbetreuungsstätten gut ausgebaut. Hier wirken sozialpolitische Entscheidungen, die in Südtirol getroffen wurden, sicherlich positiv aus. Der soziale Zusammenhalt der sich zum Beispiel in einem tief verwurzelten Vereinswesen widerspiegelt ist Ausdruck eines verbindenden Gemeinschaftsgefühls. Faktoren die die Entscheidung für ein Kind sicher positiv beeinflussen. Die hohen Lebenshaltungskosten, vor allem für das Wohnen bei uns, wirken sich dagegen sicher negativ aus. <BR /><BR /><b>Im Vergleich zu 2008 wurden in Italien im vergangenen Jahr um 31,8 Prozent weniger Kinder geboren. Warum?</b><BR />Dr. Martin Steinkasserer: Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Zum einen werden Frauen später Mütter. Viele Frauen sehen nicht ausschließlich die Erfüllung des Kinderwunsches als zentrales Ziel ihres Lebens, sondern haben auch berechtigte Ansprüche an Ausbildung, Studium, Kariere und weitere Themen der Selbstverwirklichung. Das führt dazu, dass sich die Familiengründung zwangsläufig nach hinten verschiebt und die Zahl der Kinder sinkt. Je älter man wird, desto schwieriger wird es, den Kinderwunsch zu erfüllen, die rein biologische Reduktion der Fruchtbarkeit bedingt durch das höhere Alter wirkt sich dabei aus, aber auch eventuelle Erkrankungen wie Infektionen des Genitalbereichs oder zum Beispiel die Endometriose.<BR /><BR /><embed id="dtext86-69272601_quote" /><BR /><BR /><BR /><b> Was sind weitere Gründe?</b><BR />Dr. Steinkasserer: Soziale und wirtschaftliche Faktoren tragen zum Geburtenrückgang bei. Es braucht Ganztagesstätten und Schulen, um die Kinder zu betreuen. Wann müssen Mama und Papa zurück an den Arbeitsplatz? Ist das Gehalt ausreichend groß, um der neuen Familie ein erträgliches Auskommen zu garantieren. Wer widmet sich überwiegend der Betreuung des Kindes? Die Lebenshaltungskosten sind hoch. Eine Familie braucht Platz. Wie groß ist die Wohnung und wie viel kostet sie? Das sind alles Fragen, mit denen sich Paare beschäftigen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-69272605_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Was kommt noch dazu?</b><BR />Dr. Steinkasserer: Globale Krisen haben in den vergangenen Jahren zugenommen. Man denke an den Klimawandel, die Pandemie oder den Ukraine-Krieg. Das kann den Kinderwunsch beeinflussen. Zudem spielen persönliche Faktoren eine nicht zu unterschätzende Rolle. Man braucht einen verlässlichen Partner, man braucht fruchtbare Tage. Es gibt Männer und Frauen, die ungewollt kinderlos sind. Mir ist es wichtig festzuhalten, dass nicht ausschließlich sozio-ökonomische Faktoren Ursachen für den Geburtenrückgang bedeutend sind, sondern viele weiteren Faktoren dazu beitragen.<BR /><BR /><BR /><BR /><embed id="dtext86-69272643_quote" /><BR /><BR /><b>Welche Maßnahmen bräuchte es um den Geburtenrückgang zu bremsen?</b><BR />Dr. Steinkasserer: Dafür hat man noch kein Patentrezept gefunden. Das kann ich an 2 Beispielen verdeutlichen: Schweden wird häufig als Vorbild in Europa genannt. Das Kinderbetreuungssystem ist erschwinglich und gut organisiert, es gibt flexible Arbeitsmodelle für Eltern. Die USA hat diese sozio-ökonomischen Vorteile nicht, trotzdem ist die Fertilitätsrate dort höher. <BR /><BR /><BR /><b>Glauben Sie, dass der Rückgang anhalten wird?</b><BR />Dr. Steinkasserer: In den vergangenen 30 Jahren sank die Geburtenrate in Europa kontinuierlich. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir in keiner absehbaren Zeit einen solchen starken Zuwachs an Geburten haben, dass die Größe der Bevölkerung stabil bleibt.<BR /><BR /><embed id="dtext86-69272647_quote" /><BR /><BR /><BR /><b> Welche Trends beobachten Sie noch?</b><BR />Dr. Steinkasserer: Schwangerschaft und Geburt sind positiv besetzte Ereignisse. Aufgrund von bedeutenden Fortschritten in der Geburtsmedizin sind die Komplikationen deutlich zurückgegangen. Die Geburt wird als Erlebnis gestaltet, der Geburtsraum zu einem Ort, wo Mütter in Sicherheit und Geborgenheit ihr Kind bekommen. Intimität und Sicherheit werden von uns Geburtsmedizinerinnen und Medizinern immer mehr in den Mittelpunkt gestellt.