Die Hebamme Rosa Lorenz, die Muller Rouse, als die sie die älteren St. Martiner noch in Erinnerung haben, war eine außergewöhnliche Frau. Sie kümmerte sich auch um ledige Mütter, ließ die unehelichen Kinder in der Kirche taufen und vermittelte sie auf Bauernhöfe in der Umgebung, wenn sie deren Mütter nicht behalten konnten. Dafür wurde sie nicht, wie man in jener Zeit meinen könnte, verachtet und angefeindet, nein, sie war hoch geachtet. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="721013_image" /></div> <BR />Rosa Lorenz wurde am 2. Juni 1883 geboren und wuchs am Muller-Hof in St. Martin i.P. auf; dort steht heute das Ex-Hoppe-Gebäude. Sie heiratete Josef Spinell und zog ins Straußn-Gietl, einen kleinen Bauernhof im Zentrum von St. Martin. 1919 kam Josef auf die Welt, 1920 Anton, 1921 Anna. Rosa, 1923 geboren, starb als Säugling. Nach nur 6 Jahren Ehe starb auch Josef Spinell im Januar 1924 an einer Lungenentzündung.<BR /><BR />Die junge Witwe mit den 3 kleinen Kindern heiratete Alois Gufler aus dem St. Martiner Ortsteil Flon. Er zog zu ihr ins Straußn-Gietl. Mit 44 Jahren gebar sie noch einmal eine Tochter, wieder eine Rosa, die allerdings bei der Geburt starb.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="721016_image" /></div> Rosa Lorenz hatte den Ruf einer ausgezeichneten Hebamme. Sie ging nicht zu den Frauen, die in den Wehen lagen (wie später die zweite Hebamme in St. Martin, Luise Schenk), die Frauen kamen zum Entbinden zu ihr nach Hause. Bis in die 1950er Jahre soll sie rund 2000 Frauen beim Gebären geholfen haben. In St. Martin erzählt man sich, dass jede Mutter die Geburt überlebt habe, manche sagen, dass ihr nicht einmal ein Kind bei der Geburt gestorben sei. Allein 1948 soll sie 105 Kindern auf die Welt geholfen haben.<BR /><BR /><Fett>„Poppele schauen“</Fett><BR /><BR />Ledige oder in Not geratene Mütter – auch von weit her – wussten, dass ihnen Rosa Lorenz bei der Entbindung und bei allem, was sonst noch nötig war, helfen würde. Sie konnten auch länger im Straußn-Gietl wohnen, wenn der Bedarf bestand.<BR /><BR />Hermann Pirpamer, Altbürgermeister und Diakon in St. Martin, wuchs in der Nachbarschaft von Rosa Lorenz auf. Er erinnert sich, dass ihm das Milchholen bei der Muller Rouse im Straußn-Gietl mit den Worten schmackhaft gemacht wurde: „Da kannst du Poppele schauen.“ Besonders gerne sei er zu Weihnachten zu ihre gegangen, weil sie eine so schöne Krippe gehabt habe. Die Hebamme sei eine kleine, rundliche Frau gewesen, dominant, aber eine stille Persönlichkeit mit besonderer Aura. Dass sie ledigen Frauen geholfen habe, sei im Dorf nie ein Thema gewesen, erinnert sich Pirpamer. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="721019_image" /></div> <BR />Ihre natürliche Autorität zeigt sich auch daran, dass im Jahr 1951 in einer Zeitungsanzeige zur Silberhochzeit von Rosa Lorenz und Alois Gufler der Name ihres Mannes gar nicht erwähnt wird. Rosa Lorenz aber wird als „weitum bekannte, seit 40 Jahren im verantwortungsvollen Dienste stehende Hebamme“ bezeichnet.<BR /><BR />„Sie war eine sehr fromme Frau, die jeden Tag den Rosenkranz gebetet hat“, weiß Enkel Walter Strimmer, Sohn von Rosas Tochter Anna. Sie habe auch Geld für Missionare in Afrika gespendet. Enkelin Monika Spinell fügt hinzu: „Sie selbst hat sehr bescheiden gelebt.“<BR /><BR /><Fett>Mit dem Neugeborenen unterm Arm zur Taufe</Fett><BR /><BR />Eine Anekdote hat Hermann Pirpamer von seiner Tante gehört: Bei ledigen Kindern kümmerte sich die Muller Rouse um die Taufe. Mit dem Gehstock in der einen Hand und dem neugeborenen Kind unter dem anderen Arm soll sie in Richtung Pfarrkirche marschiert sein. Auf dem Weg soll sie Leute angesprochen und gebeten habe, die Taufpatenschaft für das Neugeborene zu übernehmen und gleich mit in die Kirche zu kommen. Habe Rosa Lorenz niemand getroffen, sei sie ins Sägewerk unterhalb der Pfarrkirche (heute Brauhotel „Martinerhof“) gegangen und habe dort einen Arbeiter zum Paten bestimmt – Widerspruch zwecklos. Als sie es nicht mehr schaffte, mit den Neugeborenen zur Taufe in die Kirche zu gehen, sei der Pfarrer ins Straußn-Gietl gekommen.<BR /><BR />Konnten die Frauen ihre unehelichen Kinder nicht behalten, vermittelte sie die Muller Rouse auf Bauernhöfe in der Umgebung. Ein Kind zog sie selbst groß. Lorenz‘ Enkel Karl Spinell wurde gesagt, dass ihn seine Oma einen Tag nach ihrem 79. Geburtstag auf die Welt geholt habe.<BR /><BR />Rosa Lorenz betrieb am Straußn-Gietl auch eine Art Apotheke. Walter Strimmer erzählt, dass sie mit dem Bus Eier und Butter in die Bayerische Hofapotheke nach Meran geschickt habe. Zurückgekommen seien Medikamente, die man formlos bei der Hebamme kaufen konnte.<BR /><BR />Rosa Lorenz starb mit 81 Jahren am 14. September 1964. Das Straußn-Gietl gibt es nicht mehr. An die Wiesen, die früher zum kleinen Bauernhof gehörten, erinnert heute noch der Spinellweg im Außerdorf.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="721022_image" /></div>