Professor Haller hat als gefragter Gerichtsgutachter mehr als 500 Kriminalfälle untersucht. Dass Kinder ihre Eltern ermorden, komme zum Glück selten vor, sagt er. Aber er hat auch solche Fälle unter die Lupe genommen. <BR /><BR /><b>Herr Professor Haller, wie tickt ein Mensch, der seine Eltern tötet?</b><BR />Prof. Reinhard Haller: Ich muss ausdrücklich betonen, dass ich zum konkreten Fall keine Aussagen machen kann und will. Es ist erst einmal Aufgabe der Kriminologen, diesen Fall aufzuklären und die Motive hinter der Tat auszuleuchten. Ich kann nur Allgemeines zu diesem Phänomen sagen.<BR /><BR /><b>Sie haben bestimmt schon solche Fälle untersucht.</b><BR />Prof. Haller: Dass Kinder ihre Eltern töten, kommt nur sehr selten vor. Ich arbeite seit fast 40 Jahren als Gerichtsgutachter und habe mehr als 500 Kriminalfälle untersucht. Die Tötung von beider Eltern kam bisher 3 Mal vor, es ist also zum Glück sehr selten. Umgekehrt – dass also Eltern ein Kind töten – ist viel häufiger. Auch die Ermordung eines Vaters durch sein Kind ist häufiger anzutreffen. Hier handelt es sich sehr oft um eine so genannte „Tyrannen-Situation“: Das Kind fühlt sich unterdrückt und gedemütigt und will sich aus dieser Situation endlich befreien. <BR /><BR /><embed id="dtext86-59311652_quote" /><BR /><BR /><b>Was bringt ein Kind dazu, gleich beide Eltern zu ermorden?</b><BR />Prof. Haller: Nach meinen Erkenntnissen gibt es 3 Gruppen von Motiven. Einmal sozusagen ganz gewöhnliche kriminalistische Motive wie jahrelange Konflikte und Streit, etwa um Geld oder das Erbe. Viel häufiger anzutreffen ist eine zweite Gruppe: Elternmorde wegen psychischer Beeinträchtigung. Die Täter leiden unter Wahnvorstellungen oder krankhaften Depressionen. Sie fühlen sich im Leben schwer beeinträchtigt, geben dafür ihren Eltern die Schuld und wollen dies ein für alle Mal beenden. Schließlich gibt es eine dritte Gruppe von Motiven, die von einem anderen persönlichen Problem des Täters ausgehen. Dazu gehört etwa eine Suchterkrankung des Täters durch Alkohol oder andere Drogen. Das kann zu jahrelangen Konflikten zwischen Eltern und Kind führen, irgendwann eskaliert der Streit und die Auseinandersetzung nimmt ein tragisches Ende. <BR /><BR /><b>3 Motivgruppen: Wo würden Sie in einem konkreten Fall bei der Untersuchung ansetzen?</b><BR />Prof. Haller: Zuerst bei den ganz normalen kriminologischen Motiven, etwa dem Streit um Besitz oder ein Erbe. Wenn das nicht der Fall ist, könnte ein persönliches Problem des Täters wie Alkoholismus oder Drogensucht zum Mordmotiv führen. Wenn auch das nicht zutrifft, könnte ein psychisches Problem vorliegen, etwa wahnhafte Vorstellungen. <BR /><BR /><b>Kann es einem solchen Täter überhaupt gelingen, die Tat so raffiniert durchzuführen, dass ihm die Ermittler erst nach einiger Zeit auf die Spur kommen?</b><BR />Prof. Haller: Wie gesagt: Über den konkreten Fall weiß ich zu wenig, um dazu eine Einschätzung zu machen. Allgemein aber gilt, dass Menschen mit Wahnsymptomen ja nicht behindert oder schwachsinnig sind. Ihr seelischer Apparat ist in Ordnung. Sie können also durchaus eine solche Tat planen, durchführen und geschickt vertuschen. <BR />