Der tödliche Angriff auf einen Fanbus in Umbrien hat einmal mehr ein Schlaglicht auf das Problem gewaltbereiter Fan-Gruppierungen im italienischen Spitzensport geworfen. <BR /><BR />Nach dem Zweitliga-Basketballspiel zwischen Rieti und Pistoia wurden die Insassen eines Busses aus Pistoia auf dem Heimweg von Unbekannten mit Steinen attackiert. Ein Ziegelstein durchschlug die Frontscheibe und tötete einen der beiden Busfahrer auf der Stelle. <a href="https://www.stol.it/artikel/chronik/umbrien-busfahrer-stirbt-nach-stein-attacke-durch-basketball-fans" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">Wir haben berichtet.</a><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1228407_image" /></div> <BR /><BR />Der Vorfall erschüttert nicht nur die italienische Sportwelt, sondern wirft auch grundlegende Fragen auf: Was treibt Menschen dazu, aus Rivalität, Gruppendynamik oder überschäumender Emotion zu Gewalt zu greifen? Wie kann man dem entgegenwirken?<BR /><BR />Wir haben mit Dr. Roger Pycha, Primar der Psychiatrie am Krankenhaus Brixen, über diese Fragen gesprochen.<BR /><BR /><b>STOL: Herr Dr. Pycha, immer wieder kommt es rund um Sportveranstaltungen zu Gewaltausbrüchen unter Fans. Warum scheint die Gewaltbereitschaft dort höher zu sein als in anderen Lebensbereichen? Welche psychologischen Mechanismen oder Gruppendynamiken spielen dabei eine Rolle?</b><BR />Dr. Pycha: Sport ist wie ein Wettkampf – letztlich ein Kampf, aber ein zivilisierter, der nach Regeln stattfindet. Die zentrale Frage ist immer die der Fairness. Fair Play bedeutet, dass man sich an alle Regeln hält – nicht nur an die offiziellen, sondern auch an die zivilen Regeln des Protestes, des Ausdrucks von Verachtung oder des Provozierens von Gegnern. Und da überschreiten Zuschauer oft die Grenzen. Im sogenannten Echo-Phänomen beginnt die Masse, miteinander zu kämpfen, und dieselbe Fairness, die Spieler einhalten, wird oft nicht mehr respektiert.<BR /><BR /><b>STOL: Sie sprechen vom Massenphänomen...</b><BR />Dr. Pycha: Genau. Einzelne halten sich an Regeln, aber wenn die ganze Masse ergriffen wird – sei es durch Sieg oder Niederlage – kann die Situation entgleisen. Das sehen wir bei Hooligan-Gruppen. Man kann versuchen, frühzeitig einzugreifen, aber bei Tausenden Zuschauern gibt es keine Garantie, dass nichts eskaliert.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1228410_image" /></div> <BR /><b><BR />STOL: Welche Rolle spielt Gruppendynamik dabei?</b><BR />Dr. Pycha: In der Gruppe überschreiten Menschen oft Grenzen, die sie alleine nie überschreiten würden. Das ist dasselbe Phänomen wie beim Hate Speech im Netz: Menschen fühlen sich geschützt, können aus einer sicheren Position heraus agieren und andere attackieren. Im Stadion ist es ähnlich. Als Einzelperson wäre man ruhig, zurückhaltend und gesittet. In der Gruppe schließen sich Menschen den anderen an, schreien mit, lassen Frust raus, der oft gar nichts mit dem Spiel zu tun hat – Frust aus Familie, Beruf oder anderen Lebensbereichen. Diese Emotionen werden entgrenzt gezeigt, und Vorbilder in der Gruppe verstärken das Verhalten.<BR /><BR /><b>STOL: Das bedeutet, die Gruppe gibt ein Gefühl der Berechtigung?</b><BR />Dr. Pycha: Genau. Man fühlt sich stärker, bestätigt durch die anderen. Das Ziel, um das es geht, erscheint plötzlich extrem wichtig und wertvoll. Es ist eine Art narzisstische Erhöhung. Besonders bei männlichen Fans spielt das eine Rolle: Testosteron, Konkurrenzdenken und Erziehung fördern Kampfesbereitschaft.<BR /><BR /><b>STOL: Besonders aus dem Fußball kennt man Fangesänge, die nicht dazu dienen, das eigene Team anzufeuern, sondern das gegnerische Team zu verhöhnen. Bereits eine erste Stufe der Eskalation?</b><BR />Dr. Pycha: Psychologisch wirksamer ist es, den Gegner zu verhöhnen, als die eigene Mannschaft anzufeuern. Das wissen auch Hooligan-Gruppen. Viele Fangesänge dienen daher weniger der Unterstützung der eigenen Mannschaft, sondern der Demütigung des Gegners. Das erzeugt stärkere emotionale Reaktionen und eskaliert Konflikte schneller. Im Sinne des Fair Play sollte man eigentlich verbieten, dass verhöhnende Gesänge im Stadion laut werden. Wahrscheinlich ist die Provokation des Gegners in uns als kampfeswillige Wesen veranlagt – bei Männern mehr als bei Frauen aufgrund des höheren Testosteronspiegels. Gepaart mit einer gewissen Gruppendynamik und Impulsivität kommt es dann zum Übergang vom sportlichen Fanatismus zum Einsatz von Gewalt.<BR /><BR /><b>STOL: Gibt es Risikofaktoren, die die Gewaltbereitschaft erhöhen?</b><BR />Dr. Pycha: Ja. Menschen, die bereits Gewalt begangen haben oder durch Kriminalität auffällig geworden sind, emotional labil sind oder hohen Druck aushalten müssen, der nirgendwo abgebaut werden kann, sind anfälliger. Eine geringe Fähigkeit zur emotionalen Selbstregulation spielt eine große Rolle – das sieht man oft erst im Verhalten.<BR /><BR /><b>STOL: Welche Maßnahmen könnten Vereine und Verbände ergreifen, um Gewalt zu verhindern?</b><BR />Dr. Pycha: Positiv sind Rituale, die die eigene Mannschaft bestärken, ohne den Gegner zu erniedrigen – das Prinzip amerikanischer Cheerleader. Hochrufe, Klatschen, Johlen und Begeisterung in Richtung „Wir sind die Besten“ sind völlig in Ordnung und fördern den Teamgeist. Problematisch sind provokative Botschaften wie „Ihr seid die Blöden“ oder „Ihr seid Versager“ – sie fördern Aggression. Ziel sollte es sein, positive Emotionen zu kanalisieren und die Gruppe zu motivieren, ohne Eskalation zu erzeugen. Das reduziert das Risiko, dass Frust und Aggressionen unkontrolliert ausgelebt werden.