„In seinem Einsatz in der Jugendseelsorge gab es auch Schattenseiten: Durch grenzüberschreitendes Verhalten hat er junge Menschen verletzt“: Das hält die Diözese in der offiziellen Aussendung zum Tod des Priesters Johann (Hans) Huber fest. Er war am 25. Jänner im Alter von 96 Jahren gestorben. Viele Gläubige, die Huber als langjährigen Dekan und Propst von Innichen kannten, dürften sich verwundert die Augen gerieben haben. Und die Frage stellen: Musste das sein – statt Blumen gibt es einen Denkzettel aufs Grab?<BR /><BR /><b>In der Aussendung der Diözese ist von „grenzüberschreitendem Verhalten“ die Rede: Was heißt das konkret?</b><BR /> Gottfried Ugolini: Mit der Bezeichnung „grenzüberscheitendes Verhalten“ wird gesagt, dass die Grenzen im Umgang mit Minderjährigen überschritten werden, sodass deren Würde, deren Leben und Freiheit missachtet und verletzt werden. Das kann körperliche, psychologische und sexuelle Grenzen betreffen.<BR /><BR /><b>Wir reden hier also von Gewalt oder sexuellem Missbrauch.</b><BR />Ugolini: Wir benützen eine Umschreibung, die das miteinschließt.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="990178_image" /></div> <BR /><BR /><b>Viele werden sich gefragt haben: Muss es wirklich sein, dass ein Priester nach seinem Tod noch als Täter hingestellt wird. Wäre es zu Lebzeiten nicht viel sinnvoller?</b><BR />Ugolini: Das war in diesem Fall leider nicht möglich. Die diesbezügliche Meldung ging nach Rom, doch es war aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich, den Priester mit den Tatsachen zu konfrontieren.<BR /><BR /><b>Geht die Diözese also davon ab, dass Priester nach ihrem Tod grundsätzlich fast bis zur Seligsprechung gewürdigt werden?</b><BR />Ugolini: Unsere Diözese hat sich für eine Haltung der Offenheit und Transparenz im Umgang mit Missbrauchsfällen entschieden. Wenn bei der Ombudsstelle Meldungen eingegangen sind, wird dies von Seiten der Diözese mitgeteilt. Das erfolgt im Blick auf die Betroffenen, denn ein Verschweigen und Vertuschen würde sie wieder enttäuschen und wieder traumatisieren. <BR /><BR /><b>Wir werden also öfters solche Hinweise zu lesen bekommen?</b><BR />Ugolini: Ja, die Diözese hat sich – wie gesagt – entschieden, offen damit umzugehen. <BR /><BR /><embed id="dtext86-63228733_quote" /><BR /><BR /><b>Das heißt, dass im Hintergrund die Aufarbeitung alter Fälle von Gewalt und sexuellem Missbrauch in Südtirols Kirche bereits läuft?</b><BR />Ugolini: Die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen, die gemeldet wurden, unabhängig wann sie geschehen sind, gibt es schon seit 2010. Jetzt erfolgt eine umfassende und gezielte Aufarbeitung im Rahmen eines Projektes „Mut zum Hinsehen“. Dafür hat sich unsere Diözese entschieden. Ein Team von unabhängigen Rechtsanwälten ist dabei, die Personalakten im diözesanen Archiv auf Hinweise zu Übergriffen und Missbrauch zu durchsuchen. Insofern ist die Aufarbeitung im Gange und wird uns weiter beschäftigen.<BR /><BR /><b>Das alles geschieht im Rahmen des Projektes „Mut zum Hinsehen“, das im Jahr 2023 gestartet wurde. An welchem Punkt ist es angelangt?</b><BR />Ugolini: Das Projekt befindet sich in seiner ersten Umsetzungsphase. Hier geht es um Aufklärung, das heißt um die Erhebung aller Daten. Zurzeit ist die Archivrecherche im Gange . Dieser Vorgang ist sehr zeitaufwendig. In einem weiteren Schritt werden Zeitzeugen und Betroffene miteinbezogen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="990181_image" /></div> <BR /><BR /><b>In anderen Ländern wie Deutschland, Österreich oder Frankreich hat die Kirche wissenschaftliche Missbrauchsstudien ausarbeiten lassen, die meist schockierende Daten ans Tageslicht bringen. Ist so etwas auch für Südtirol geplant?</b><BR />Ugolini: Unser Projekt ist als wissenschaftliche Studie angelegt und versteht sich als Transformationsprozess. Das Projekt will aufklären, aufarbeiten und auf Prävention hin eine Veränderung der Haltung und der Strukturen bewirken. In diesen Prozess werden alle miteinbezogen, damit der Schutz für Minderjährige und schutzbedürftige Personen überall gewährleistet ist. Verdachtsfälle und Vorfälle sollen zeitnah und kompetent geklärt und aufgearbeitet werden.<BR /><BR />