In seiner langen Kripo-Karriere war Zelger auch mit „Großstadtlegenden“ konfrontiert, also mit oft gruselig-grausigen Geschichten, die regelmäßig die Runde machen und sich bei genauem Nachfragen dann in Luft auflösen. Dazu zählt etwa die in Südtirol oft gehörte Erzählung vom VW-Bus, in dem Entführer vor Schulen auf ein ahnungsloses Kind warten. Könnte jetzt auch ein ähnlicher Fall vorliegen?<BR /><BR /><b>Kinder, die mit „Zuckerlen“ geködert werden sollen: In Bozen gibt es mehrere Vorfälle und inzwischen sogar Anzeigen. Es wird ermittelt. Gab es in Ihrer Zeit in Bozen auch solche Meldungen?</b><BR />Alexander Zelger: Es gab immer wieder ähnliche Fälle. Die Situation ist also nicht zu unterschätzen. Vorsicht ist hier auf jeden Fall ein Gebot der Stunde. Mir sind solche Entführungsversuche von Kindern in anderen Regionen gut in Erinnerung. Sie sind allerdings – zum Glück – sehr selten. Wenn wie jetzt in Bozen gleich mehrere solche Fälle gemeldet werden, ist das sicherlich ernst zu nehmen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="945436_image" /></div> <BR /><b>Sie würden das also nicht in den Bereich der „urbanen Legenden“ einordnen, die auf den „Freund eines Bekannten“ zurückgehen und sich dann in Luft auflösen, wenn es um die Fakten geht?</b><BR />Zelger: Wir hatten in der Polizeiarbeit immer wieder mit solchen Großstadtmärchen zu tun. Etwa mit der Geschichte, dass ein Mädchen von 3 Marokkanern missbraucht worden wäre. Irgendwer hat das von irgendeinem guten Bekannten erfahren. Wenn wir dann der Sache auf den Grund gegangen sind und das Opfer und die Täter ausfindig machen wollten, gab es gar nichts. Auch keine Anzeige. <BR /><BR /><b>In Bozen liegen Anzeigen vor.</b><BR />Zelger: Ja, und deshalb ist das – wie gesagt – sehr ernst zu nehmen. Wichtig sind die Details in den Anzeigen. Wenn jetzt in der einen Anzeige von einem Paar die Rede ist, in der anderen von einem älteren Mann und in der dritten wieder von einer anderen Person, dann würde ich eher vorsichtig sein. Wenn aber aus allen Anzeigen eine klare, übereinstimmende Linie herauszulesen ist, muss man der Sache gründlich nachgehen. <BR /><BR /><embed id="dtext86-61475290_quote" /><BR /><BR /><b>In welche Richtung würden Sie in einem solchen Fall ermittelt?</b><BR />Zelger: Grundsätzlich wird in jede Richtung ermittelt. Auch in solchen Fällen. Es gab zum Beispiel Fälle, in denen eine kinderlose, depressive Frau versucht hat, ein Kind zu entführen. Auf nationaler Ebene sind mir 2 oder 3 solche Fälle in Erinnerung. Dann gibt es leider immer wieder die Fälle, in denen Kinder spurlos verschwinden. Die Archive von Interpol listen einer Reihe von solchen tragischen Ereignissen auf. Auch der Missbrauch von Kindern spielt dabei leider eine Rolle. Oft sind es aber auch andere Verbrechen. Wie gesagt: Solche Fälle sind sehr, wirklich sehr selten. Aber wir sollten vorsichtig sein, denn es könnte auch in Südtirol einmal der erste Fall sein. <h3> ZUR PERSON</h3>Alexander Zelger, 1958 in Bozen geboren, arbeitete zunächst als Buchhalter und Bankkaufmann. Neben Arbeit und Familie begann er das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Modena, wo er 1989 promoviert wurde. Während des Studiums reifte in ihm der Gedanke bei der Kriminalpolizei für die höhere Laufbahn einzusteigen. Nach einer Ausbildung in Rom kam Zelger 1990 als erster deutschsprachiger Kriminalkommissar nach Südtirol zurück. 1992 wurde Zelger zum ersten Südtiroler Kripochef ernannt. <BR /><BR /><BR />Von Ende 1997 bis 2015 wurde er als Verbindungsbeamter, Sicherheitsexperte und Botschaftsattachée des Italienischen Innenministeriums nach Deutschland und nach Österreich abkommandiert. Beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden in Hessen und beim Bundeskriminalamt in Wien war Zelger vor allem im Kampf gegen die Italienische Mafia eingesetzt. Inzwischen ist er im Ruhestand.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="945439_image" /></div> <BR /><BR />Im Mai erschien im Verlag Athesia-Tappeiner sein Buch „Ich habe heute noch Gänsehaut. Meine spektakulärsten Kriminalfälle. True Crime: von Mafiosi, Serienkillern und anderen Gewalttaten.“ (224 Seiten, 70 Fotos. Verlag Athesia Tappeiner, 2023. Preis: 27,50 Euro). Ein <a href="https://www.stol.it/artikel/chronik/serienkiller-frauenmoerder-und-ein-raetsel-ex-kommissar-zelger-erzaehlt" target="_blank" class="external-link-new-window" title="">ausführliches Interview zu diesem Buch </a>gibt es hier.