Hat der getötete Bergläufer im Trentino einen Fehler gemacht, wie Tierschützer behaupten? Der Münchner Experte, der seit Jahrzehnten auch das Verhalten von Bären studiert, hat auch auf diese Frage eine klare Antwort. <BR /><BR /><b>Ein Bär, der einen Menschen anfällt und tötet: Ist das ein extremer Einzelfall, wie Tierschützer argumentieren, oder könnte das öfter passieren, wenn die Population weiter anwächst?</b><BR />Wolf Schröder: Mit der Zunahme der Bären im Trentino in den letzten Jahren auf heute knapp 100 Tiere gab es bereits mehrere Angriffe auf Menschen. Dass Bärenangriffe tödlich enden, wie jetzt im Fall des Joggers im Val di Sole, ist extrem selten und ein besonders großes Unglück. Meist attackiert eine Bärin mit Jungen, der ein Mensch zu nahe kommt, gelegentlich sind es auch aggressive männliche Tiere.<BR /><BR /><BR /><b>Radikale Tierschützer behaupten, der getötete Bergläufer hätte sich wohl irgendwie falsch verhalten: Was sagen Sie als Experte dazu?</b><BR />Schröder: Der Bergläufer hat mit Sicherheit nichts falsch gemacht. Er hat den Bären überrascht, ist ihm zu nahe gekommen. Er hat dabei wohl eine kritische Distanz unterschritten und dadurch den Angriff ausgelöst. Eine Bärenattacke erfolgt so plötzlich, da kann man sich kaum vorbereiten. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="885629_image" /></div> <BR /><BR /><b>Ist ein Zusammenleben mit Braunbären in den dicht besiedelten Alpen überhaupt möglich?</b><BR />Schröder: Es ist mit Sicherheit eine Herausforderung. Unerlässlich ist eine professionelle Beobachtung der Bären und die entschlossene Entnahme – also der Abschuss – von Tieren mit problematischem Verhalten, wie im Kanton Graubünden bereits praktiziert. Dazu kann auch die Sperrung von Wanderwegen zählen, in Gebieten von Bärinnen mit Jungen.<BR /><BR /><b>Auch die Wolfspopulation wächst rasant. Da liegt die Vermutung nahe, dass nach den Tier-Rissen irgendwann auch Übergriffe auf Menschen zu befürchten sind. Ist das möglich?</b><BR />Schröder: Von Haustier-Rissen durch Wölfe kann man nicht auf deren Gefährlichkeit für Menschen schließen. Wölfe attackieren Menschen nicht in vergleichbarer Weise wie Bären. Dennoch ist Vorsicht angesagt, denn die Wölfe ändern derzeit ihr Verhalten, sie werden vertrauter.<BR /><BR /><b>Was ist also zu tun, um die Gefahr zu verringern?</b><BR />Schröder: Es ist wichtig, den Wolf scheu zu halten, schon um ihn von Nutztieren möglichst fernzuhalten. Dann besteht auch keine Gefahr für Menschen. Diesen Lernprozess bei Wölfen erreicht man durch den Abschuss von Tieren. Dazu ist in unserer Gesellschaft auch ein Lernprozess auf Seiten wohlmeinender Tierschützer erforderlich.<BR /><BR /><embed id="dtext86-59118154_quote" /><BR /><BR /><BR /><BR /><b>Wie viele Wölfe „verträgt“ der Alpenraum?</b><BR />Schröder: Die Frage kann man nicht mit einer Zahl beantworten. Was wir brauchen, ist ein regionales Wolfsmanagement in den Alpen. Das sieht in den Westalpen mit großen Schafherden und anderen Rechtsgrundlagen anders aus als in den Ostalpen mit den vielen Nebenerwerbslandwirten. Ein professionelles Management gibt es heute in einigen Kantonen der Schweiz. In den EU-Ländern fehlen uns heute noch die Strukturen. Da ist man gefangen zwischen der Anpassung des nicht mehr zeitgemäßen Wolfsschutzes, der Zögerlichkeit von Politikern und dem Widerstand naiver Tierschützer. In der Zwischenzeit schließt sich das schmale Zeitfenster für die betroffenen Landwirte, bevor sie ihre Tierhaltung aufgeben.<BR /><BR /><b>In Italien läuft ein Referendum zur Abschaffung der Jagd: Was denken Sie über diese Idee?</b><BR />Schröder: Diese Idee finde ich nicht gut. Auf den Staat kämen dann hohe Kosten in der Kontrolle von Wildschwein oder Hirsch zu, um große Schäden in der Landwirtschaft zu verhindern.<BR /><BR /><BR />ZUR PERSON<BR /><BR />Wolfgang Schröder, 1941 in Graz (Steiermark) geboren, studiert Wildbiologie und Ökologie in den USA. Nach Abschluss des Studiums an der Forstlichen Fakultät der Universität Göttingen in Hann wechselt er nach Bayern, er wird Leiter des Instituts für Wildforschung und Jagdkunde der Forstlichen Forschungsanstalt München. In Oberammergau richtete er eine Außenstelle des Instituts ein.<BR />Ab 1. September 1980 und bis zur Emeritierung ist Schröder Professor für Wildbiologie und Jagdkunde an der Universität München. Als erfahrener Gebirgsjäger interessiert er sich vor allem für das Hochgebirge und die dort lebende Gämse. Das mit Werner Knaus verfasste Buch „Das Gamswild“ gilt als Standardwerk. Schröder war Vorstand der 1977 gegründeten Wildbiologischen Gesellschaft München e.V. (WGM) und Herausgeber der „Zeitschrift für Jagdwissenschaft“. Außerdem engagiert er sich im internationalen Naturschutz, 1983 wurde er für seine Biotopforschungen mit dem Philip Morris Forschungspreis ausgezeichnet.<BR />Schröder interessiert sich besonders für die Mensch-Wolf-Beziehung, auch in anderen Kulturen, und deren Wandel von der Steinzeit bis in die Gegenwart.<BR /><BR />BUCHTIPP<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="885632_image" /></div> <BR /><BR /><BR />Heinrich Aukenthaler (Herausgeber): Der Wolf im Visier – Konflikte und Lösungen. Im Fokus: Der Wolf im Alpenraum. 352 Seiten, Verlag Athesia Tappeiner, 2022, ca. 25 Euro.