Im Interview plädiert Russegger für einen breiten öffentlichen Diskurs, damit die künstliche Intelligenz (KI) im Sinne der bestehenden Wertegemeinschaft genutzt und weiterentwickelt wird. Sehr wohl warnt er auch vor absehbaren bedenklichen Auswirkungen. <BR /><BR /><b>Die künstliche Intelligenz erfasst alle Bereiche unseres Lebens. Muss sich jetzt schon jeder zwangsläufig damit auseinandersetzen?</b><BR />Harald Russegger: Ich würde dazu raten, es nicht bloß als ein Muss ansehen. Wir erleben nun, dass die generative KI überall dort eingesetzt wird, wo wir es mit digitalen Inhalten zu tun haben. Allerdings stehen wir erst am Anfang, KI wird noch viel stärker Fuß fassen.<BR /><BR /><b>Was für künftige bahnbrechende Entwicklungen lassen sich heute schon festmachen?</b><BR />Russegger: Sehr schwierig zu sagen, denn alle 2 bis 3 Monate haben wir mittlerweile sogenannte Gamechanger (dt.: Spieleveränderer bzw. innovative Dinge, welche die bisherige Ausgangslage radikal verändern). Prognosen empfinde ich deshalb als unseriös. Man kann aber bereits sehen, wie stark sich die Produktion von digitalen Inhalten verändert hat. Mittels KI lassen sich Texte und Bilder generieren, Stimmen klonen und Musik erzeugen – all das hat schon zu gewissen Verwerfungen geführt. Bezug nehmend auf Ihre Frage kann ich mir aber gut vorstellen, dass die KI immer stärker als Gesprächspartner an Bedeutung gewinnt.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1025694_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>Sie meinen, so wie man es bereits von den Sprachassistenten Alexa oder Siri kennt?</b><BR />Russegger: Man unterhält sich eben über alles Mögliche mit der KI. Das hat dann vielfältige Auswirkungen auf unsere sozialen Beziehungen – im Guten wie im Schlechten. Einerseits ist mit dem Verlust an Beziehungskompetenz zu rechnen, weil man verlernt mit Konflikten und Widersprüchen umzugehen, wie es bei beidseitigen Beziehungen der Fall ist. Andererseits kann eine solche KI für Menschen in Isolation zu einer Beziehungsprothese werden und durchaus hilfreich sein. <BR /><BR /><b>Als hilfreiches Instrument wird die KI bereits in Arztpraxen oder in Anwaltskanzleien erachtet – etwa wenn es darum geht, präzise Diagnosen zu erstellen oder Berge an Akten zu durchwühlen ...</b><BR />Russegger: Ja, hierbei braucht es allerdings spezialisierte KI, die speziell darauf trainiert worden ist. KI-generierte Sprachmodelle, bekannt als LLM (Large Language Models), bergen auch stets das Risiko, dass sie uns gute Geschichten auftischen, die sich dann als nicht wahr erweisen. Und wie wir wissen, erwecken Geschichten, wenn sie nur gut erzählt sind, den Anschein wahr zu sein. Es braucht also die Kompetenz, die von der KI generierten Geschichten auf ihren Wahrheitsgehalt nachzuprüfen.<BR /><BR /><b>Bleiben wir bei den bedenklichen Entwicklungen: Man muss davon ausgehen, dass auch Kriminelle die KI für ihre Zwecke nutzen werden. Sind Deepfakes und Cybercrime nur ein Vorgeschmack auf das, was uns noch erwarten wird?</b><BR />Russegger: Ja, definitiv. Kombiniert mit KI wird Cybercrime zum Brandbeschleuniger, denken wir nur an Fake News, Scams oder Enkeltricks. Kriminelle können Armeen von KI-Bots für sich arbeiten lassen. Und auch im militärischen Bereich werden schon jetzt KI-Waffensysteme getestet. <BR /><BR /><embed id="dtext86-64624332_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Umso wichtiger dürfte ein Regelwerk zur Nutzung von KI sein. Wie bewerten Sie hierbei die Bemühungen der EU?</b><BR />Russegger: Der AI-Act bwz. das KI-Gesetz der EU ist ein Meilenstein und das erste Regelwerk für KI weltweit. Hierbei verhält es sich ähnlich wie mit der Datenschutzgrundverordnung. Natürlich gibt es dazu auch viel Kritik, weil befürchtet wird, dass sich die EU selbst ins Bein schießen könnte. Es braucht aber Regeln, man muss die richtige Balance zwischen Innovation und dem Schutz der Bürger finden. <BR /><BR /><b>Wird die künstliche Intelligenz künftig die Gesellschaft noch mehr spalten, im Sinne, dass jene, die nicht auf diesen Zug aufspringen können oder wollen, zurückgelassen werden?</b><BR />Russegger: Auch hierzu gibt es diverse Ansichten. Die so genannte digitale Kluft könnte durchaus vergrößert werden, aber ich kann mir auch vorstellen, dass sich viele Menschen mit KI versöhnen, wenn sie in vielen Geräten implementiert ist. So ist absehbar, dass man künftig mit seinem Auto, seinem Toaster oder seiner Zahnbürste reden wird – unabhängig davon, ob das sinnvoll ist oder nicht. <BR /><BR /><b>Somit sind wir wieder bei der Eingangsfrage: Man wird sich also doch kaum noch der KI entziehen können, oder?</b><BR />Russegger: Es ist sicherlich wichtig zu verstehen, wie KI zu Entscheidungen gelangt, zuweilen mit lebensentscheidenden Folgen. Wer haftet bei Schuldfragen, wer übernimmt die Verantwortung bei KI-generierten Auswahlverfahren? Gerade wegen derartiger moralischer Dilemmata ist ein möglichst breiter Diskurs wichtig. Je mehr Menschen aus unterschiedlichen Bereichen mitdiskutieren, desto besser für die Gesellschaft.<BR />