<b>von Jean Pisani-Ferry, Beatrice Weder di Mauro</b><BR /><BR />Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen uns seit Jahren mit zunehmender Dringlichkeit: Unser Planet steuert auf Kipppunkte im Klimasystem zu. Trotz zahlreicher internationaler Zusagen deutet vieles darauf hin, dass das Ziel, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, kaum noch erreichbar ist. Sollte sich der aktuelle Trend fortsetzen, könnte diese Schwelle bereits im Jahr 2028 überschritten werden.<BR /><BR />Gleichzeitig beschleunigt sich der Verlust der biologischen Vielfalt in beispiellosem Tempo – mit verheerenden Folgen für gefährdete Gemeinschaften und die Menschheit insgesamt. Ein stabiles Klima und gesunde Ökosysteme sind eng miteinander verknüpft. Dadurch droht ein Dominoeffekt von Krisen.<h3> Rückschritte trotz Fortschritt</h3>Zwar wurden in den letzten Jahren Fortschritte erzielt. Das Pariser Klimaabkommen von 2015 war das ambitionierteste und politisch realistischste Abkommen seiner Zeit. Mit einem Ansatz aus freiwilligen Selbstverpflichtungen („Pledge and Review“) setzte es ein gemeinsames Ziel, förderte breite Teilnahme und schuf ein System zur Bewertung nationaler Beiträge.<BR /><BR />Im Jahr 2022 wurde mit dem Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework ein ähnlicher Rahmen für den Schutz der Artenvielfalt verabschiedet. Auch wenn große Länder wie Indien hinterherhinken, keimte Hoffnung, dass sich diese im Zuge eines wachsenden globalen Engagements noch anschließen würden.<BR /><BR />Doch diese Hoffnung wurde schnell zerstört: Am ersten Tag seiner zweiten Amtszeit unterzeichnete US-Präsident Donald Trump ein Dekret mit dem Titel „Unleashing American Energy“ – und erklärte erneut den Ausstieg der USA aus dem Pariser Abkommen. Den Klimawandel bezeichnete er als „Schwindel“.<h3> Neue Strategien ohne die USA</h3>Vor diesem Hintergrund stehen Regierungen und die Zivilgesellschaft nun vor einer zentralen Herausforderung: Strategien zur Erreichung der Klima- und Biodiversitätsziele zu entwickeln – ohne die Beteiligung der USA.<BR /><BR />Ein aktueller Bericht des Brüsseler Thinktanks Bruegel und des Centre for Economic Policy Research (CEPR) analysiert, wie das gelingen kann. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass die Klimapolitik der USA zwar wichtig ist, aber nicht allein über das Schicksal des Planeten entscheidet. Das eigentliche Schlachtfeld liegt in den Schwellen- und Entwicklungsländern (EMDEs), die für zwei Drittel der globalen Emissionen verantwortlich sind und die meisten Biodiversitäts-Hotspots beherbergen.<BR /><BR />Da die Emissionen dieser Länder stark ansteigen, müssen sie dringend auf klimafreundliches, naturpositives Wachstum umstellen. Doch sie stehen vor gewaltigen Hürden: enormer Investitionsbedarf, hohe Kapitalkosten, enge Haushaltsrahmen und dringende Entwicklungsziele.<h3> Vier zentrale Partnerschaften für einen globalen Klimapakt</h3>Die Studie schlägt vier Arten internationaler Partnerschaften vor, um globale Klimaziele mit den Entwicklungsbedürfnissen der EMDEs in Einklang zu bringen:<BR /><BR /><b>Allianz für CO2-Bepreisung</b><BR />Kohlenstoffpreise sind notwendig, um Unternehmen und Haushalte zur Emissionsreduktion zu bewegen. Ohne internationale Absprache entstehen jedoch Wettbewerbsverzerrungen. Deshalb schlagen die Autoren eine Klima-Koalition mit einem gestaffelten Mindestpreis für CO2 je nach Einkommensniveau vor. Mitglieder dieser Koalition wären von gegenseitigen CO2-Grenzausgleichsmechanismen (CBAM) befreit und erhielten Zugang zu Finanzmitteln, Technologien und Märkten.<BR /><BR /><b>Koalition für Klimafinanzierung</b><BR />Viele EMDEs setzen weiterhin auf klimaschädliche Kohlekraftwerke, weil sie günstiger erscheinen als grüne Alternativen. Um das zu ändern, müssten die Investitionen in erneuerbare Energien bis 2030 vervierfacht werden. Die Studie schlägt vor, dass Industrieländer den EMDEs Klimafinanzierung im Austausch für ambitionierte Netto-Null-Ziele zusagen. Die jährlichen Kosten für die Industriestaaten (z.B. EU, China, Japan, Südkorea) würden unter 0,3 Prozent ihres BIP liegen.<BR /><BR /><b>Grüne Industriepartnerschaft</b><BR />Europa hat begrenzte Möglichkeiten zur Erzeugung erneuerbarer Energie und wird weiterhin auf Energieimporte angewiesen sein. Statt Strom über Ozeane zu transportieren, wäre es effizienter, energieintensive Industrien in rohstoffreiche EMDEs zu verlagern. Die Autoren fordern eine Neujustierung der EU-Industriepolitik, weg von Subventionen für wenig wettbewerbsfähige Industrien, hin zur Unterstützung von <b>innovativen, emissionsarmen Branchen.<BR /><BR />Märkte für CO2-Entfernung und Naturschutz</b><BR />Die Erreichung von Netto-Null bedeutet langfristig sogar negative Emissionen – doch CO2-Entfernungstechnologien sind bislang unterentwickelt. Die Autoren schlagen zwei innovative Instrumente vor:<BR /><BR />„Cleanup-Zertifikate“, mit denen Emittenten „Kohlenstoffschulden“ aufnehmen und später durch verifizierte CO2-Entfernung begleichen.<BR /><BR />„Nature Shares“, eine neue Form von Finanzanlagen, die langfristige Investitionen in biodiversitätsreiche Regionen fördern sollen – mit transparenten Preisen und starker öffentlicher Kontrolle.<h3> Europas Schlüsselrolle</h3>Die EU hat eine zentrale Rolle in diesem neuen globalen Rahmen. Mit ihrem etablierten Emissionshandelssystem und regulatorischer Glaubwürdigkeit könnte sie als Rückgrat neuer internationaler Koalitionen dienen. Voraussetzung ist allerdings, dass sie ihre eigenen Emissionen weiter senkt, den CBAM ausweitet und strategische Industriepartnerschaften schmiedet.<BR /><BR />In einer Welt, die sich zunehmend dem Klimakollaps nähert, hat Europa die seltene Gelegenheit, durch Vorbildwirkung zu führen.<BR /><BR /><b>Zu den Autoren</b><BR />Jean Pisani-Ferry ist Senior Fellow bei Bruegel und dem Peterson Institute for International Economics, Professor an Sciences Po und Mitautor von New World New Rules (Columbia University Press, 2025).<BR /><BR />Beatrice Weder di Mauro ist Präsidentin des CEPR und Professorin am Geneva Graduate Institute.<BR /><BR />Jeromin Zettelmeyer ist Direktor des Think Tanks Bruegel.