Die ermittelnde Staatsanwaltschaft von Pavia hat auf Grundlage neuer Gutachten mehrere Personen aufgefordert, DNA-Proben abzugeben: Andrea Sempio, damals der beste Freund von Chiara Poggis Bruder Marco, zwei Cousinen der Ermordeten sowie vier weitere Männer aus dem damaligen Freundeskreis des Opfers. Offiziell wird derzeit nur gegen Andrea Sempio ermittelt, da dessen DNA in den Gewebespuren unter den Fingernägeln des Mordopfers nachgewiesen wurde und zudem sein Handabdruck am Tatort gefunden wurde.<BR /><BR />Inzwischen werden auch wilde Mutmaßungen über einen angeblich gemeinschaftlich verübten Mord angestellt, um das Opfer, das an obskuren Treffen mit seinen Mördern teilgenommen haben soll, zum Schweigen zu bringen. Auch die Beziehung Chiara Poggis zu ihrem Onkel Ermanno Cappa, dem Vater der beiden Zwillingscousinen des Opfers, wurde untersucht. Sogar die Möglichkeit, dass Chiara Poggi über angebliche exorzistische Rituale informiert worden sei, die in Garlasco stattgefunden hatten, wird nicht ausgeschlossen. All diese Spekulationen lösten jetzt die empörte Reaktion der Familie des Opfers aus.<h3> „Sie kann sich nicht mehr verteidigen“</h3>„Wir sind angeekelt von den Aussagen, die in den letzten Tagen in verschiedenen Fernsehsendungen gemacht wurden. Es wird weiterhin der Ruf unserer Tochter beschmutzt. Es ist wirklich abscheulich“, erklärte Rita Poggi, die Mutter von Chiara Poggi. „Unsere Tochter war eine ehrliche, einfache Frau. Sie hatte keine Geheimnisse und keine Liebhaber. Sie hatte kein zweites, geheimes Handy. Das Schlimme ist, dass man Mutmaßungen über eine Frau anstellt, die sich nicht mehr verteidigen kann“, protestierte die Mutter.<BR /><BR />Gleichzeitig veröffentlichten auch die Anwälte der Familie Poggi eine Erklärung mit ähnlichem Tenor. „Die Familie Poggi ist seit Wochen Opfer einer aufdringlichen Verleumdungskampagne durch Medien und soziale Netzwerke, die leider auch nicht einmal vor der geliebten Chiara haltmacht“, schrieben die Anwälte Gian Luigi Tizzoni und Francesco Compagna, die die Familie der jungen Frau vertreten, die am 13. August vor 18 Jahren in ihrem Haus in Garlasco ermordet wurde.<h3> Fall beschäftigt die Politik</h3>Der Fall beschäftigt auch die Politik. „Prozesse zu schließen und dann wieder zu öffnen, sorgt für große Verwirrung in der Öffentlichkeit. Das vermittelt ein Gefühl von Unsicherheit. Vielleicht sollte man, bevor man kommuniziert, dass ein Prozess wieder aufgenommen wird, erst gründlich überlegen und prüfen, ob alle Voraussetzungen dafür gegeben sind. Ansonsten versteht der Bürger nicht mehr, was Rechtssicherheit bedeutet, und das ist ein Problem“, sagte Antonio Tajani, Vizepräsident des Ministerrats und Außenminister. <BR /><BR />Für den Fall Poggi wurde ihr damaliger Freund Alberto Stasi zwei Mal freigesprochen. Er wurde dann 2016 zu 16 Jahren Haft verurteilt.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1175244_image" /></div> <BR /><BR />Laut Tajani ist „die Person, die ermordet wurde, ebenfalls ein Opfer. Wenn Ermittlungen durchgeführt werden, sollten diese - falls sie wieder aufgenommen werden - diskret und still geschehen. Wenn es dann eindeutige Beweise gibt, kann man die Nachricht bekanntgeben. Doch dann wird über das Opfer berichtet, das sich nicht verteidigen kann und auch nichts widerlegen kann. Ich finde, auch die Presse sollte etwas vorsichtiger sein, denn der Respekt gegenüber der Person ist ein grundlegendes Element.“