„Diese aus den Fugen geratene Zeit… Ich bin froh, dass du sie nicht mehr miterleben musst“, schreibt Irina Lino ihrem Vater. <BR /><BR />Was du wohl gesagt hättest, zu dieser Zeit, Papa, die so aus den Fugen geraten ist. Den Zweiten Weltkrieg hast du noch miterlebt. Als er zu Ende gegangen ist, warst du 14. Oft habe ich dich gefragt, wie das damals war, und wie es so weit kommen konnte. <BR /><BR />Deine Antworten waren sicher ehrlich. Doch vieles hast du für dich behalten. Um mich zu schützen, und wohl auch dich… Nur in deine Augen war der Schrecken eingeschrieben, wenn manche Erinnerungen hochgekommen sind mit dem Grauen, das man nicht begreift, selbst wenn es schon real ist… <BR /><BR />Wir begreifen auch noch nicht, dass die Welt niemals wieder so sein wird, wie zuvor. Diese aus den Fugen geratene Zeit… Ich bin froh, dass du sie nicht mehr miterleben musst. Beunruhigungen, die über uns hängen wie ein Damoklesschwert am seidenen Faden – Klimawandel, Pandemie, Ukrainekrieg – und unsere satte Zufriedenheit, aller Wohlstand und der Glaube an die Unverletzlichkeit von Frieden und Demokratie… auf einmal eine Haut aus Glas, die jeden Augenblick zerbrechen kann.<BR /><BR /> „Wir können uns nicht aussuchen, in welcher Zeit wir leben, aber wir haben die Pflicht, das Beste daraus zu machen,“ würdest du sagen, mir lächelnd in die Augen sehen und Kraft geben für die Hoffnung, die es braucht, um zu kämpfen. Ich habe deine himmelhohen Ängste gekannt, Papa, um mich. Es sind dieselben Ängste, die mich nun plagen, als Mutter. <BR /><BR />In welche Zukunft werden wir gehen? Wir kleinen, (selbst)zerstörerischen Menschen, die so erschreckend leicht zurückfallen in die Verrohung. Wie wird das sein, in 50, 60, 70 Jahren? Wird die Erde dann noch dieser herrliche, blaue Planet sein, oder schon halb verfault und fast erstickt in unserem Dreck? <BR /><BR />„Das weiß ich nicht, mein Kind. Aber ich weiß, dass wir nicht aufgeben dürfen, egal, wie aussichtslos es erscheint. Weil da auch so viel Gutes ist. Und ehrliches Bemühen.“ Das hättest du auch gesagt, Papa. Ich hoffe, du hast recht…<BR /><BR /><BR />ZUR PERSON<BR /><BR />In einer wöchentlichen Kolumne schreibt Irina Lino über aktuelle Themen verschiedenster Art. Irina Lino ist 1967 in Klagenfurt geboren und seit 1987 Kulturjournalistin. Zahlreiche Beiträge in Büchern und Katalogen zu Kulturthemen; seit 2009 Kultur-Ressortleiterin der „Kronen Zeitung“ Kärnten sowie Kolumnistin.