Prof. Schröder ist einer der Hauptautoren des Sammelwerkes „Der Wolf im Visier“, das Anfang November in den Buchhandel kommt und in dem Fachleute aus mehreren Ländern rund 90 Fragen rund um die Wolfsproblematik beantworten. <BR /><BR /><b>Sie verfolgen seit Jahrzehnten die Entwicklung der Wolfspopulation in Deutschland und anderen Ländern: Wird der Wolf zum Problem oder haben „nur“ Bauern damit ein Problem?</b><BR />Wolfgang Schröder: Der Wolf erobert seit einigen Jahrzehnten in Europa und Nordamerika seinen schon verlorenen Lebensraum wieder zurück. Das ist im Grunde erfreulich und unproblematisch, solange es sich um Gebiete mit wenig Menschen handelt. Wo immer Wölfe in dichter besiedelte Räume kommen und auf Weidetiere treffen, gibt es Probleme. Das ist in den Alpen der Fall, wo Wölfe in den letzten 150 Jahren ausgerottet waren. Das Raubtier Wolf frisst nicht nur Rotwild und Rehe, sondern auch die einfacher zu fangenden Schafe und Ziegen. In den Ostalpen halten heute viele Leute im Nebenerwerb Ziegen oder Schafe, oft auf hohem züchterischem Niveau. Diese Leute hängen sehr an ihren Tieren. Es sind also nicht nur die Bauern, die von Wolfsrissen betroffen sind.<BR /><BR /><b>Was passiert, wenn wir der Natur bei der Vermehrung der Wölfe weiterhin freien Lauf lassen?</b><BR />Schröder: Das ist ein interessantes Gedankenexperiment. Wölfe haben ein großes Ausbreitungspotenzial, sie erobern Landschaft rascher als Braunbären oder Luchse. Sie würden Rudel gründen, wo immer sie Rückzugsorte zur Jungenaufzucht finden. Wölfe sind auch sehr lernfähig, sie würden versuchen, weitere Nahrungsquellen zu erschließen, und dabei näher an Dörfer und Häuser kommen.<BR /><BR /><embed id="dtext86-56685530_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Nach einem Almsommer mit vielen Wolfsrissen verweist die heimische Politik auf den strengen Artenschutz, außerdem müssten die Bauern endlich großflächig mit Herdenschutz anfangen. Lässt sich das Problem mit Zäunen und Hunden lösen?</b><BR />Schröder: Wo immer es Wölfe gibt, müssen Weidetiere geschützt werden. Das war schon in der Vergangenheit so. Einst waren es die Hirten, ihre Hunde und das Aufstallen der Tiere in der Nacht. Heute gibt es zeitgemäße Herdenschutzmaßnahmen, wie die erwähnten Zäune und spezielle Herdenschutzhunde. Die Erfahrungen zeigen, dass dadurch im Talbereich ein guter Schutz der Tiere erreicht werden kann. Anders ist das bei den gealpten Tieren im Sommer. Hier ist ein vollständiger Herdenschutz oft nicht zu erreichen, auch sind die Kosten im Gebirge exorbitant hoch. <BR /><BR /><b>Südtirols Landespolitik hat angekündigt, dass künftig Problemwölfe mit Gummimunition vergrault werden könnten. Was halten Sie davon?</b><BR />Schröder: Mit Gummimunition Wölfe vergraulen? Man kann es in der Liste der unrealistischen Maßnahmen ganz oben ansetzen.<BR /><BR /><b>In diesem Sommer wurden in Südtirol erstmals auch Rinder gerissen. Ist es eine Frage der Zeit, bis auch Menschen – zum Beispiel Wanderer – in bedrohliche Situationen kommen?</b><BR />Schröder: Man kann von gerissenen Rindern nicht auf die Gefahr für Menschen schließen. Wir haben gelernt, dass von Wölfen für Menschen keine große Gefahr ausgeht. Das war im Hinblick auf die Märchen und Schauergeschichten zunächst überraschend. Es gibt im Trentino mit Südtirol knapp hundert Braunbären. Durch sie gab es schon einige verletzte Menschen. Zwischenfälle mit Wölfen gab es in Mitteleuropa nicht. Dennoch gilt es auf der Hut zu sein: Wölfe ändern ihr Verhalten, sie nähern sich Menschen, wenn ihnen nicht nachgestellt wird. Wölfe haben schon Hunde von Wanderern gefressen.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="825959_image" /></div> <BR /><BR /><b>Sie gehen im neuen Buch auch der Frage nach, wer Wölfe wildert: Wer macht das?</b><BR />Schröder: Wer einen Wolf wildert ist kein Wilddieb, der einen Hasen- oder Rehbraten möchte. Er ist ein Rebell, der mit der bestehenden Gesetzesordnung nicht einverstanden ist. In Radicofani in der Toskana haben Wilderer zwei Wölfe an der Ortstafel aufgehängt, in einem anderen Fall an einer Bushaltestelle.<BR /><BR /><b>In einigen Südtiroler Tälern wird offen darüber gesprochen, dass Wölfe heimlich und kurzerhand abgeschossen werden. Wie sehen Sie das?</b><BR />Schröder: Das ist möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Das geschieht eher in Österreich, wo es kleine Reviere gibt, die verpachtet werden. In Südtirol gibt es viele Jäger in den Revieren, da ist die gegenseitige Kontrolle größer.<BR /><BR /><b>Im Schlusskapitel des Buches beantworten Sie die Frage: Gibt es eine Lösung der Konflikte? Wie könnte sie aussehen?</b><BR />Schröder: Wenn es Wölfe in besiedelter Landschaft mit Weidetieren gibt, wird Konfliktlösung zur Daueraufgabe. Es ist nicht mit der Entfernung von problematischen Wölfen getan. Man wird sich Gedanken über Zahl und Verbreitung machen müssen. Das ist beim Wolf viel komplizierter, als bei Rothirschen. Da haben wir Reviere und Abschusspläne. Für den Wolf fehlen uns heute noch die Strukturen und Abläufe.<BR /><BR />ZUR PERSON<BR /><BR />Wolfgang Schröder, 1941 in Graz (Steiermark) geboren, studiert Wildbiologie und Ökologie in den USA. Nach Abschluss des Studiums an der Forstlichen Fakultät der Universität Göttingen in Hann wechselt er nach Bayern, er wird Leiter des Instituts für Wildforschung und Jagdkunde der Forstlichen Forschungsanstalt München. In Oberammergau richtete er eine Außenstelle des Instituts ein. <BR />Ab 1. September 1980 und bis zur Emeritierung ist Schröder Professor für Wildbiologie und Jagdkunde an der Universität München. Als erfahrener Gebirgsjäger interessiert er sich vor allem für das Hochgebirge und die dort lebende Gämse. Das mit Werner Knaus verfasste Buch „Das Gamswild“ gilt als Standardwerk. Schröder war Vorstand der 1977 gegründeten Wildbiologischen Gesellschaft München e.V. (WGM) und Herausgeber der „Zeitschrift für Jagdwissenschaft“. Außerdem engagiert er sich im internationalen Naturschutz, 1983 wurde er für seine Biotopforschungen mit dem Philip Morris Forschungspreis ausgezeichnet. <BR />Schröder interessiert sich besonders für die Mensch-Wolf-Beziehung, auch in anderen Kulturen, und deren Wandel von der Steinzeit bis in die Gegenwart.<BR /><BR />DAS BUCH<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="825962_image" /></div> <BR />Heinrich Aukenthaler (Herausgeber): <b>Der Wolf im Visier</b> – Konflikte und Lösungen. Im Fokus: Der Wolf im Alpenraum. 352 Seiten, Verlag Athesia Tappeiner, 2022, ca. 25 Euro. <BR /><BR />Dieses Buch widmet sich dem Problemkreis „Wolf“ mit rund 90 Fragen, zu deren Beantwortung Fachleute der Wildbiologie und des Wildtiermanagements gebeten wurden, aus Italien, Österreich, Deutschland, der Schweiz und Norwegen. Zu Wort kommen auch Weidetierhalter, Jäger, Tierärzte und Rechtsexperten. Südtirol ist u.a. mit den Autoren Heinrich Aukenthaler, Matthias Gauly, Alberich Hofer, Markus Moling, Walter Obwexer und Benedikt Terzer vertreten. <BR /><BR /><BR /><BR />