Südtirol Online: In Finnland leben ca. 290.000 Personen, deren Muttersprache Schwedisch ist. 1900 waren es 12,89 Prozent, in den 1950er-Jahren stellte die schwedische Minderheit noch 8,6 Prozent der Gesamtbevölkerung, derzeit sind es nur mehr 5,4 Prozent. Ist die Zukunft der schwedischen Minderheit unsicher?Marit af Björkesten: Ein wenig ja, aber die Situation hat sich stabilisiert. Der Grund für den langsamen Rückgang der Finnen, die Schwedisch als Muttersprache haben, ist aber recht einfach: Viele schwedischsprachige Finnen heiraten Finnen finnischer Muttersprache. Die Kinder tendieren dann häufig zur finnischen Sprache.STOL: Haben die schwedischsprachigen Finnen Identitätsprobleme? Björkesten: Nein. Die schwedische Minderheit lebt schon seit sehr langer Zeit im Land. Die Schweden in Finnland fühlen sich als Finnen. Eine starke eigene Identität haben sie nicht, was auch auf die nicht homogene geographische Verteilung zurückzuführen ist. STOL: Fühlen Sie sich auch als Finnin?Björkesten: Ja. Der Großteil der schwedischen Minderheit dürfte gleich denken. Es gibt einige Zonen in der Nähe zu Schweden, wo es etwas anders sein könnte. Dort ist der Kontakt zu Schweden enger, man sieht dort mehr schwedisches Fernsehen. Aber wenn in einem Eishockeymatch Finnland gegen Schweden spielt oder aber beim European Song Contest, dann ist es für die große Mehrheit ganz klar, zu wem man hält. Heuer tritt beim Song Contest übrigens ein Sänger an, der zur schwedischen Minderheit gehört. STOL: Sie fühlen sich als Finnin. Wird das außerhalb der Zonen, wo die schwedische Minderheit lebt, von Bürgern finnischer Muttersprache in Frage gestellt?Björkesten: Das könnte in einigen Orten möglicherweise geschehen. Aber in Finnland müssen alle Finnen, egal wo sie leben, für einige Jahre in der Schule Schwedisch lernen. Den Jugendlichen wird im Unterricht erklärt, dass es in Finnland eine schwedische Minderheit gibt. STOL: Dieses verpflichtende Schul-Schwedisch ist in Finnland unter dem Begriff "Pakkoruotsi" nicht unumstritten. Wird "Pakkoruotsi" in der Bevölkerung als Problem wahrgenommen, oder ist es nur dann in den Schlagzeilen, wenn Politiker Wahlkampf machen und populistische Themen suchen?Björkesten: Nein, das Thema ist in Finnland seit einem Jahr sehr aktuell und präsent in der öffentlichen Debatte. Zwar gibt es Unterricht in Schwedisch nur für wenige Jahre und dann auch nur wenige Stunden in der Woche, aber es ist eine Grundsatzdebatte, die intensiv geführt wird. Viele sagen, dass es besser wäre, diese Zeit für andere Sprachen zu verwenden. STOL: Hat die Rechtspartei "Wahre Finnen", die bei den Wahlen vor einigen Wochen ihren Stimmenanteil auf 19 Prozent vervierfacht hat, "Pakkoruotsi" zum Wahlkampfthema gemacht?Björkesten: Es war ein Thema, aber ein untergeordnetes. Parteichef Timo Soini hat erklärt, er sei gegen "Pakkoruotsi", aber nicht gegen die schwedische Sprache an und für sich. Er selbst spricht recht gut Schwedisch. STOL: Die Sprache nicht zu unterrichten würde aber langfristig bedeuten, dass sie nicht mehr von allen Finnen verstanden und gesprochen wird und so langsam verschwindet. Björkesten: Ein „Think Tank“ hat diese Frage kürzlich untersucht und ist zum Ergebnis gekommen, dass Schwedisch in Finnland an Einfluss verlieren würde. Andererseits gäbe es dann möglicherweise aber Finnen, die sich bewusst für das Erlernen von Schwedisch entscheiden und die Sprache gut beherrschen würden. Eine solche Elite könnte so durchaus Vorteile bei der Suche nach guten Arbeitsplätzen haben.STOL: Glauben Sie, dass die Zukunft des verpflichtenden Schwedisch-Unterrichts in Finnland gesichert ist? Björkesten: Für die nächsten vier Jahre sehe ich keine Probleme. Über diesen Zeitraum hinaus ist die Zukunft des Sprachunterrichts meiner Meinung nach sehr unsicher. Ich würde nicht darauf wetten, dass Schwedisch langfristig in finnischen Schulen als Pflichtfach bestehen bleiben wird. Derzeit stützen aber alle Führer der großen Parteien "Pakkoruotsi". Man muss bedenken, dass die schwedische Sprache aufgrund der gemeinsamen Geschichte von Finnland und Schweden ein Teil der nationalen finnischen Identität ist. Die Schweden hatten Einfluss auf die finnische Kultur.STOL: Macht die schwedische Regierung Druck auf Finnland, damit der verpflichtende Schwedisch- Unterricht in Finnland bleibt? Björkesten: Nein. STOL: Macht Ihnen der große Wahlerfolg der Partei "Wahre Finnen" Sorgen?Björkesten: Nicht alle in der Partei sind gleich, aber es gibt eine radikale Gruppe, die sich gegen Ausländer, Immigration und Minderheiten wendet. Ihre Reden sind fast schon Hassreden. Der Ton hat sich sehr verändert und das kann andere beeinflussen. Die Aussagen dieser Personen werden selbst von "normalen" Leuten mittlerweile toleriert. Ich persönlich bezweifle aber, dass die "Wahren Finnen" eine große Zukunft haben werden. In der Partei gibt es zu viele verschiedene Interessen und Anliegen. Parteichef Timo Soini wird es schwerfallen, die Partei zusammenzuhalten.STOL: „Hufvudstadsbladet“ schreibt ausschließlich auf Schwedisch. Wie viele Leser hat Ihre Zeitung, wie viele die Website?Björkesten: „Hufvudstadsbladet“ verkauft täglich 50.000 Zeitungen; ein Drittel davon sind Personen finnischer Muttersprache, die meist einen hohen Bildungsgrad haben. Die Website hat etwa 75.000 Besucher täglich.STOL: Gibt es schwedischsprachiges Fernsehen und Radios in Finnland?Björkesten: Es gibt einen öffentlich-rechtlichen Lokalsender, der ausschließlich schwedische Programme zeigt, und zwei öffentlich-rechtliche Radiosender. Der TV-Sender kauft auch Programme aus Schweden ein, er sendet aber kein 24-Stunden-Programm.STOL: Wie sehen Sie die Zukunft der schwedischen Sprache in Finnland?Björkesten: Ich bin eigentlich nicht sehr besorgt. Allerdings wird es Probleme mit "Pakkoruotsi" geben. Das könnte dazu führen, dass mittel- und langfristig in Finnland weniger Schwedisch gesprochen wird und dass die Sprache auch im öffentlichen Dienst zurückgedrängt wird. Dabei sind zwei Kulturen und zwei Sprachen ein großer Reichtum für ein Land. Sollte Schwedisch zurückgedrängt werden, wäre das eine Schande für Finnland.Interview: Rupert BertagnolliHintergrund: Die schwedische Minderheit in FinnlandFinnland gehörte seit dem 12. Jahrhundert und bis 1809 zu Schweden. Im Mittelalter betrug der Anteil der Finnlandschweden unter der Bevölkerung des heutigen Finnlands ca. 25 Prozent, allerdings ist er seit Jahrhunderten rückläufig. Die Finnlandschweden bilden heute 5,4 Prozent der Gesamtbevölkerung Finnlands.