<b>Von Miriam Roschatt</b><BR /><BR />Tarek Hassan Ben Amor wurde in der Küstenstadt Hammam Sousse im Osten Tunesiens geboren. Heute lebt der gläubige Moslem rund 1180 Kilometer Luftlinie von seiner nordafrikanischen Heimat entfernt – und zwar in Bozen, wo er vor über drei Jahrzehnten ein neues Zuhause gefunden hat.<h3> Dunklere Hautfarbe, südländische Gesichtszüge</h3>1988 kam der damals 22-jährige „Wirtschaftsflüchtling“ nach Südtirol, mit dem Ziel, hier mehr Geld zu verdienen und sich ein finanziell bessergestelltes Leben aufzubauen. Die wirtschaftliche Lage in Tunesien sei nämlich frustrierend gewesen: „Die Löhne waren extrem niedrig, und noch heute ist das Durchschnittseinkommen bei uns sehr bescheiden“, erzählt Hassan, der in Tunesien eine Ausbildung zum Automechaniker abgeschlossen hatte.<BR /><BR />In Bozen angekommen, begann der Anfang-Zwanzigjährige auf einer Baustelle zu arbeiten. Der Job sei anstrengend gewesen, habe ihm aber große Freude bereitet, berichtet er rückblickend. Auch sozialen Anschluss habe er problemlos gefunden – dank seines offenen und kommunikativen Wesens. Und doch: Tarek Hassan blieb von Hänseleien nicht verschont. Im ehemaligen Heim für Jungarbeiter, in dem er wohnte, sah er sich aufgrund seiner Herkunft zahlreichen Schikanen ausgesetzt. „Natürlich war das nicht angenehm, aber im Koran steht, dass man anderen verzeihen soll. Der Mensch an sich ist nicht böse – es sind die Umstände, die ihn da<?TrVer> zu bringen, schlechte Dinge zu tun“, ist der gläubige Moslem überzeugt. Auch in vielen Südtiroler Tälern begegneten ihm Bewohner argwöhnisch. Vereinzelt sei er auf Vorurteile gestoßen, etwa wegen seiner dunkleren Hautfarbe und seiner südländischen Gesichtszüge. „Das spielt ehrlich gesagt bis heute eine große Rolle. Wer hier anders aussieht, wird schnell als fremd wahrgenommen. Ich verstehe das – das ist nun mal das Leben. Wenn man irgendwo anders lebt, kann man nicht erwarten, dass einem alle sofort offen begegnen“, blickt er der Realität ehrlich ins Gesicht. <BR /><BR />Von misstrauischen Blicken und Vorurteilen ließ er sich aber nie unterkriegen. Im Gegenteil. „Ich hatte Verständnis dafür“, zeigt sich der tunesische Wahl-Südtiroler aufgeschlossen. „Anstatt mich zurückzuziehen, begann ich, mich für die Menschen und ihre Bräuche hierzulande zu interessieren, besonders für den alpinen Lebensstil“, berichtet der 59-Jährige, der fließend Italienisch spricht, sich aber auch im Südtiroler Dialekt gut ausdrücken kann. <BR /><BR /><h3> As-salamu alaykum auf der Seiser Alm</h3>Heute – mehr als drei Jahrzehnte nach seiner Ankunft in Südtirol – lebt Tarek Hassan mit seiner tunesischen Frau und den drei Kindern in Bozen und arbeitet als Hausmeister an einer Oberschule. Er habe sich hier in all den Jahren ein stabiles Leben aufgebaut, das er nicht mehr missen möchte. „Ich fühle mich zu Hause“, sagt er. Und doch bleibt seine Neugier für das Land, in dem er einst als junger Mann angekommen war, nach wie vor ungebrochen – eine Begeisterung, mit der er immer wieder auch Menschen in seinem Umfeld ansteckt. „Zu Hause kochen wir nicht nur arabische Speisen, sondern auch Südtiroler Spezialitäten“, erzählt der stolze Familienvater. Auf den Esstisch kommen dann neben Couscous und Kichererbsen gerne auch Knödel und „Käsespatzln“ – bis es einmal im Jahr heißt: „Ramadan Mubarak“. Dann steht der Familienalltag ganz im Zeichen des Fastenmonats: Tagsüber wird verzichtet, abends gemeinsam gegessen, gebetet und gefeiert. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1211022_image" /></div> <BR />Der Glaube spielt für Hassan seit jeher eine große Rolle. „Ich bete fünfmal täglich zu Allah, trinke keinen Alkohol, rauche nicht, esse kein Schweinefleisch, lese den Koran und besuche freitags das Gebetshaus“, beschreibt er seinen Alltag als gläubiger Moslem. Dass er seine Religion hier „frei und offen“ ausleben könne, schätze er sehr – das sei auch mitunter ein Grund gewesen, in Südtirol zu bleiben. Diese Freiheit, „zwischen den Welten“ zu leben, erlaube es dem 59-Jährigen auch, sich an den Wochenenden in einen „waschechten Tiroler“ zu verwandeln und in eines seiner Lieblingskleidungsstücke zu schlüpfen: die Lederhose. Dazu trägt er ein kariertes Hemd, lange Strümpfe, feste Haferlschuhe und einen Hut – ganz im traditionellen alpenländischen Stil. Erst vor Kurzem war er so auf der Seiser Alm unterwegs. „Dort habe ich mich mit ei<?TrVer> nem arabischen Touristenpaar unterhalten“, erzählt Hassan la<?TrVer> chend. „Sie waren sichtlich überrascht, als ich sie in Lederhosen mit einem lauten ‚As-salamu alaykum‘ begrüßte.“ <BR /><BR /><h3> Windsurfen am Kalterer See, Snowboarden im Schnee</h3>Tarek Hassan ist hierzulande gut verwurzelt – als Moslem und als Südtiroler. „Ich kann auch ohne Wein und ohne Speck ein Tiroler sein“, muss er über sich selbst schmunzeln, immer bemüht darum, Unterschiede nicht als Mangel, sondern als Bereicherung zu begreifen. Genauso bereichernd waren auch seine zahlreichen „ersten Male“, die er nach seinem Umzug vor über 30 Jahren in Südtirol erleben durfte: Er surfte zum ersten Mal über die Wellen eines Süßwassersees, beobachtete zum ersten Mal, wie weiße Schneeflocken vom Himmel tanzten, rauschte zum ersten Mal auf dem Snowboard die Skipiste hinunter – und entdeckte im Sommer das Mountainbiken in den Bergen für sich. <BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1211025_image" /></div> <BR />Einmal im Jahr zieht es den 59-Jährigen dann aber doch zurück in seine Heimat Tunesien: in ein Land mit rund zwölf Millionen Einwohnern, in dem der Islam die vorherrschende Religion ist, wo nicht Schneeflocken, sondern Sandkörner durch die Luft wirbeln und wo Datteln statt Schüttelbrot auf dem Tisch stehen.<h3> Ein Stück Bozner Fahrradkultur in Tunesien</h3>Dort, in seiner Heimatstadt Hammam Sousse, möchte Tarek Hassan nun etwas verwirklichen, das ihm schon lange am Herzen liegt. Und dabei spielt Bozen eine nicht unwesentliche Rolle. Denn in Tu<?TrVer> nesien existiert bislang kaum so etwas wie eine „Fahrradkultur“. Hassans großer Traum ist es, die mangelhafte Radinfrastruktur in Hammam Sousse nach dem Vorbild Bozens auszubauen und seine Heimatstadt für Radfahrer zugänglich zu machen – besonders auch für Frauen, die in Tunesien bereits in die Pedale treten dürfen, während das Radfahren in vielen Nachbarländern für sie noch immer tabu ist.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1211028_image" /></div> <BR />Und Hassan denkt noch größer. Er träumt von einem Radweg, der ei<?TrVer> nen großen Teil Tunesiens verbindet – von Tabarka bis Ben Gardane. „Das sind genau 700 Kilometer, vom Norden bis in den Süden des Landes. Dieses Vorhaben würde auch den Tourismus in unserem Land erheblich fördern, der für viele Menschen die wichtigste Einnahmequelle ist“, zeigt er sich motiviert, diesen Plan in seinem Heimatland umzusetzen. Die Papiere dafür lägen bereits auf den Tischen hoher tunesischer Minister. Auch mit Josep Borrell, dem ehemaligen Außenbeauftragten <?Uni SchriftWeite="96ru"> der EU, habe Ta<?TrVer> rek Hassan darüber gesprochen. Er soll das Vorhaben als „interessantes sozioökonomisches Projekt“ bezeichnet haben. <?_Uni> <BR /><BR />Tarek Hassans Traum von einem Radweg in Tunesien ist also noch lange nicht ausgeträumt – genauso wenig wie sein Wunsch, in seiner zweiten Heimat Südtirol weiterhin nach dem Unbedrohlichen im Gegensatz zu suchen – mit oder ohne Lederhose.