33 Soldaten und 2 Zivilisten verlieren ihr Leben. Wer waren diese Soldaten? „Sie waren keine harmlosen Soldaten, sondern weigerten sich, an der Repressalie teilzunehmen“, sagt 80 Jahre nach den Ereignissen des Massakers in der Via Rasella in Rom Dino Messina über die Südtiroler, die damals dabei waren.<BR /><BR />Der Autor rekonstruiert in seinem Buch „Controversie per un massacro. Via Rasella e le Fosse Ardeatine“ – auch aufgrund neuer Zeugenaussagen und der Untersuchungen des „Alto Adige“ von 1979 – jene historischen Ereignisse sowie die Prozesse gegen die Verantwortlichen des Vergeltungsschlags Kesselring, Kappler und Priebke. <BR /><BR />Auch weist er auf die immer noch heiß diskutierten politischen Themen hin wie die Rede Norberto Bobbios bis zu den jüngsten Äußerungen von Mitgliedern der Regierungsmehrheit. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1009841_image" /></div> <h3> Blick zurück in das Südtiroler Schicksal</h3><Kursiv><BR /><BR />„Feige Hunde“</Kursiv>, rief Major <b>Hellmuth Dobek,</b> Kommandant des Dritten Bataillons Bozen, als er zum Dachboden des Palazzo del Viminale stieg, wo seine Soldaten einquartiert waren und ihm erklärten: Nein, sie seien nicht bereit, an der Vergeltungsaktion teilzunehmen, um die 33 Kameraden zu rächen, die bei dem Anschlag in der Via Rasella gefallen waren. Man muss von diesem Nein, von dieser nicht selbstverständlichen Weigerung, die auch schwere Strafen nach sich ziehen konnte, ausgehen, um zu verstehen, wer die 156 Soldaten der Elften Kompanie des Dritten Bataillons Bozen wirklich waren. <BR /><BR />Blutdürstige Nazis? Freiwillige der SS in einem Krieg, an den sie blind glaubten? Oder Wehrpflichtige, die nur widerwillig eingezogen worden waren? Der erste kleine militärpolizeiliche Kern des Reiches, der sich aus Südtirolern zusammensetzte, wurde 1939 gebildet, als nach dem Abkommen zwischen Rom und Berlin den deutsch- und ladinischsprachigen Bürgern der Provinzen Bozen, Trient und Belluno die Möglichkeit geboten wurde, für Deutschland zu optieren, was auch die Auswanderung ins Reich bedeutete. Viele Südtiroler entschieden sich dafür. <BR /><BR /><BR />Nach den ersten Aussiedlungen kam es jedoch zu Schwierigkeiten, die den Exodus stoppten: Der Wechsel der Staatsangehörigkeit bedeutete auch den Verkauf von Eigentum – nicht immer zu einem vorteilhaften Preis –, und man erkannte schnell, dass man in der neuen „Heimat“ gar nicht freudig aufgenommen wurde. So wanderten die meisten Optanten nicht aus und blieben in Südtirol zurück. <BR /><BR />Noch schwieriger wurden die Verhältnisse nach dem 8. September 1943, als Nazideutschland in einem Blitzentscheid 2 Operationszonen schuf: das Adriatische Küstenland im Osten mit Udine, Görz, Triest, Laibach (Ljubljana), Istrien und Fiume und das Alpenvorland südlich des Brenners, die Operationszone in den Voralpen mit den Provinzen Bozen, Trient und Belluno, die Gauleiter <b>Franz Hofer</b> anvertraut wurde. <BR /><BR />(...) Im Oktober 1943 wurde ein Regiment unter der Leitung von Oberst <b>Alois Menschick</b> mit 4 Südtiroler Polizeibataillonen aufgestellt – später auf 3 reduziert. Ihre Aufgabe war es, Militärgarnisonen zu versorgen, die innere Sicherheit zu gewährleisten und Partisanenvereinigungen zu bekämpfen. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1009844_image" /></div> <h3> Wer waren die Südtiroler Soldaten?</h3><BR />Der ursprüngliche Name war „Polizeiregiment Südtirol“, später geändert zu „Bozen“, mit etwa 2000 Einheiten. Zudem wurden die Regimenter „Alpenvorland“, „Schlanders“ und „Brixen“ aufgestellt. Insgesamt waren rund 10.000 Südtiroler in den Polizeiregimentern im Einsatz. Das Bozner Regiment wurde am 30. Jänner 1944 in Anwesenheit von General <b>Karl Wolff</b>, Befehlshaber der SS und der deutschen Polizei in Italien, in der Kaserne in Gries (Bozen) vereidigt. <BR /><BR />Das Erste und Zweite Bataillon Bozen wurde auch im Alpenvorland und im Einsatzgebiet an der Adria bei blutigen Aktionen gegen den Widerstand und die Zivilbevölkerung eingesetzt. Das Dritte Bataillon Bozen wurde am 12. Februar 1944 in Bussen der „Società autotrasporti delle Dolomiti“ (Sad) nach Rom verlegt. Es war eine lange und gefährliche Reise, die eine Woche dauerte. Der Konvoi bewegte sich nur nachts, um Luftangriffen auf den oft holprigen Wegen zu entgehen.<BR /><BR /><BR />Das Dritte Bataillon Bozen bestand aus Soldaten, die bereits im Umgang mit leichten Waffen geschult waren und von deutschen Offizieren und Unteroffizieren kommandiert wurden. Die Südtiroler besetzten die untersten Ränge in der militärischen Hierarchie. <BR /><BR />Waren sie Freiwillige? Offiziell nicht, denn Gauleiter Hofer hatte dafür gesorgt, dass die Rekruten aus dem Alpenvorland nicht als solche eingestuft wurden, aber in den Rekrutierungsunterlagen stand oft, dass sie sich freiwillig gemeldet hätten. Dabei muss man bedenken, dass eine Verweigerung Verhaftung und sogar Repressalien gegen Familienangehörige bedeutete.<BR /><BR />Gehörten sie zur SS? Reichsführer <b>Heinrich Himmler</b>, Chef der SS und der Polizei, hatte am 24. Februar 1943 entschieden, alle Polizeiregimenter in SS-Polizeiregiment umzubenennen. Doch für die Südtiroler galt eine Art Autonomie, so dass das Bataillon Bozen zum SS-Polizeiregiment Bozen umbenannt wurde – jedoch erst mit Erlass vom 16. April 1944, also fast einen Monat nach dem Bombenangriff auf die Via Rasella. Von da an wurden den Soldaten ihre alten Soldbücher abgenommen und mit dem SS-Briefkopf zurückgegeben. <BR /><BR />Jedes Polizeiregiment wurde in Bataillone und diese in Kompanien unterteilt, wobei die Nummerierung fortlaufend war. Und jede Kompanie war in Kommandos unterteilt. Die Bombe der Via Rasella traf vor allem das zweite und dritte Kommando, also die mittleren, während das erste und vierte Kommando dem Partisanenangriff fast unversehrt entkam. Die 156 Mitglieder der Elften Kompanie, die am frühen Nachmittag des 23. März 1944 durch die Straßen Roms marschierten, waren bereits 3 Monate lang in Gossensaß ausgebildet worden und hatten an diesem Tag einen Zusatzkurs absolviert, bevor sie die Kameraden der Zehnten Kompanie bei der Überwachung strategischer Punkte in Rom ablösten. Die Ablösung war für den folgenden Tag vorgesehen. Ihr Sold betrug 12,5 Lire pro Tag, zweieinhalb Lire mehr als das, was den Wehrmachtssoldaten zustand. <BR /><BR />Ein Dekret vom 6. Jänner 1944 ließ alle männlichen Einwohner des Alpenvorlandes der Jahrgänge 1894 bis 1926 einrücken, einschließlich jener, die sich für die italienische Staatsbürgerschaft entschieden hatten, die sogenannten Dableiber. Unter den Bozener Soldaten befanden sich über vierzigjährige, verheiratete Männer mit Kindern und Junggesellen in ihren Zwanzigern und Dreißigern. Wenn man die Liste der gefallenen Soldaten analysiert, stellt man fest, dass der jüngste, <b>Franz Niederstätter</b>, am 1. Juni 1917 in Aldein geboren, also 26 Jahre alt war, und der älteste, <b>Jakob Erlacher</b>, im Juli 1901 in Enneberg geboren wurde, also 42 Jahre alt war. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1009847_image" /></div> <h3> Legenden um das Bataillon Bozen</h3><BR />In der umfangreichen Literatur über die Via Rasella und die Fosse Ardeatine sind den Männern des Bataillons Bozen bis auf wenige Ausnahmen nur wenige Zeilen gewidmet. (...) Heute aber kann die Geschichte der Bozner in dem ausgezeichneten Wikipedia-Eintrag, der die Literatur zum Thema zitiert, von jedermann nachgelesen werden. Das hat allerdings nicht verhindert, dass die abstrusesten Legenden über das Dritte Bataillon Bozen weiter kursieren – so etwa, dass es sich dabei um in die Jahre gekommene, harmlose Männer einer Musikkapelle handelte, wie Senatspräsident <b>Ignazio La Russa</b> in einem Interview in „Libero“ (März 2023) unglücklich formulierte. <BR /><BR />In Wirklichkeit war das Dritte Bataillon Bozen mit der Überwachung der Militärgarnisonen innerhalb und außerhalb Roms beauftragt. Die Neunte Kompanie war in Albano Laziale stationiert, die Zehnte wurde zur Überwachung des Zentrums eingesetzt, und die Elfte Kompanie war in Reserve. <BR /><h3> Die Kompanie Bozen in einer Untersuchung von Umberto Gandini</h3><BR />Die Südtiroler Soldaten waren keine Musikkapelle und nicht harmlos, am 23. März marschierten sie mit entsichertem Gewehr, wie ein Überlebender der Elften Kompanie, <b>Franz Bertagnoll,</b> berichtete, bereit, auf jeden Partisanenangriff zu reagieren, den die Nazikommandos einkalkuliert hatten. Am 23. März 1944, dem 25. Jahrestag der Gründung der „Fasci di combattimento“, lag Gefahr in der Luft. Dies erzählten die Überlebenden der dezimierten Südtiroler Kompanie dem Journalisten vom Alto Adige <b>Umberto Gandini,</b> der vom 24. bis 29. September 1977, rund einen Monat nach der sensationellen Flucht von <b>Herbert Kappler</b> aus dem Lazarett von Celio, eine vertiefte Recherche in Südtiroler Tälern bei den Veteranen des Dritten Bataillons Bozen und insbesondere bei den Überlebenden der Elften Kompanie durchführte. Eine aussagekräftige Reportage, die im Jänner 1979 in einer Beilage mit dem Titel „Quelli di via Rasella“ mit einer Einleitung des Chefredakteurs Gianni Faustini veröffentlicht wurde. <BR /><h3> Zeitzeugen erinnern sich</h3><BR />Der Bericht von Gandini eröffnet einen manchmal auch unbequemen, aber lebendigen und originellen Blickwinkel. Kommen wir auf das Nein der Bozner zu Major Dobeks Befehl zurück. Wie begründeten sie ihre Verweigerung, einen Angriff zu rächen, der 33 Tote und 55 Schwerverletzte gekostet und die Elfte Kompanie mehr als halbiert hatte? Die Soldaten der beiden anderen Kompanien, der Neunten und der Zehnten, an die sich der böhmischstämmige Dobek gewandt hatte, sagten, sie seien „getaufte Christen“, „zu katholisch“, d.h. tief gläubig, um wehrlose Geiseln zu töten. Einige Unteroffiziere erklärten dem Major, dass „<i>diese Männer niemals auf andere Männer geschossen hatten, nicht einmal im Kampf. Es ist ausgeschlossen und unmöglich, von ihnen zu erwarten, dass sie jetzt auf unbewaffnete Geiseln schießen.“ „Die Offiziere, allesamt aus Deutschland oder Österreich, trauten uns nicht“</i>, sagte <b>Josef Prader,</b> geboren 1903, ein Zimmermann aus Brixen. „<i>Vielleicht weil wir zu wenig 'braun' waren, also Nazis, aber vor allem S</i>ü<i>dtiroler. Die Deutschen liegen mir heute noch auf dem Magen, wenn ich daran denke, was sie mir alles angetan haben. Ich war mehrere Jahre lang italienischer Soldat, im vierundachtzigsten Infanterieregiment 'Bozen', in Florenz und Tripolis, 1923 und 1924. Und dann weitere 3 Monate im Jahr 1939 in Chieti. Die Italiener stellten mir ein Diplom aus, auf dem stand, dass ich 'mit Ehre und Treue' gedient habe. Von den Deutschen habe ich nur Beleidigungen und Tritte in den Hintern bekommen. Wenn man von mir heute verlangen würde, wieder Soldat zu werden und eine Uniform zu wählen, hätte ich keinen Zweifel: Ich wäre ein italienischer Soldat. Nicht, weil ich mich als Italiener fühle, sondern weil es einige Dinge gibt, die man nicht vergisst.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1009850_image" /></div> <BR /><BR />Aus den Unterlagen geht hervor, dass Prader sich freiwillig gemeldet hatte: <Kursiv>„Sie ließen uns Papiere unterschreiben, auf denen stand, dass wir Freiwillige sind. Ich sagte, wenn sie wollten, könnten sie mich auch einberufen, aber nicht als Freiwilligen. Sie antworteten, dass sie mich so bezeichnen würden, wie sie es wollten, und dass ich in Russland landen würde, wenn ich Unruhe stiften würde. Solche Freiwillige waren wir also<FW05></FW05>...“</Kursiv><BR /><BR /><BR />Der Schreiner aus Brixen war nicht der Einzige, der in der italienischen Armee diente. Es gab auch andere Südtiroler: so etwa <b>Peter Putzer</b> aus Vahrn, der als Gebirgsartillerist in Meran und Rovereto diente, und <b>Josef Praxmarer</b> aus St. Jakob (Bozen), der Infanterist in Turin war. Auch <b>Luis Kaufmann</b> aus Welschnofen, Pionier in Casale Monferrato, dessen Bruder <b>Johann</b> in der Via Rasella gefallen ist, war im italienischen Heer. Viele der von Gandini befragten Männer erinnerten sich – neben dem Trauma der Via Rasella und dem Hunger, den sie hatten (selbst für die Besatzungstruppen waren die Rationen knapp) – auch an die vielen Demütigungen, die sie durch die Offiziere erlitten. <BR /><BR />Einer von ihnen, Oberleutnant <b>Walter Wolgasth</b> aus Hamburg, Kompaniechef mit dem Spitznamen „tuttogas“, nannte sie „Tiroler Holzköpfe“, „Verräter“, „Schweine“, „Bastarde“. Und wenn er „nett“ sein wollte, machte er sich über das schlechte Deutsch der Ladiner lustig und die mangelnde Disziplin dieser Gruppe von Bauern, die sich mit letzter Kraft bemühten, dieses martialische Tempo zu halten. Leutnant Wolgasth geriet im Mai 1945 in einen Hinterhalt. Gerüchten zufolge wurde er von Partisanen getötet, es hieß aber auch, dass er von einem seiner Untergebenen umgebracht wurde.<BR /><BR />Auch Major Dobek, der im Juli 1944 von Partisanen getötet wurde, als er in der Schweiz Unterschlupf suchte, sparte nicht mit Beleidigungen. <b>Franz Bertagnoll,</b> der in der Nähe des Kalterer Sees lebte, erinnerte sich, ihn sagen gehört zu haben: „Ihr seid 60 Prozent schlimmer als die schlimmsten Italiener.“ (Dino Messina)<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1009853_image" /></div> <Fett><BR /><BR />Buchtipp:</Fett> „Controversie per un massacro. Via Rasella e le Fosse Ardeatine. Una tragedia italiana“ von Dino Messina (Solferino), 2024, 240 Seiten<BR /><h3> Vita: Dino Messina</h3><BR />Der Journalist und Autor von Geschichtsbüchern ist 1954 in Viggiano geboren . 1997 veröffentlichte er „C'eravamo tanto odiati“, parallele Interviews mit dem Partisanen Rosario Bentivenga und dem Republikaner Carlo Mazzantini über die Jahre des italienischen Bürgerkriegs. Auch hat er das Enthüllungsbuch „Salviamo la Costituzione italiana“ (2008) geschrieben. Er ist Redakteur des Blogs „La nostra storia“ beim „Corriere della Sera“, wo er seit 30 Jahren und über Kultur und Aktualität berichtet. <Rechte_Copyright></Rechte_Copyright><BR /><BR /><BR />