„Es war auch eine Bekundung einer europäischen Gesinnung“, ist Franz von Walther überzeugt. <BR /><BR /><BR /><i>Noch einmal darf ich, hochbetagt<BR />und wie mir scheint, auch noch bei Trost,<BR />zurück mich wähnen in die frühe Jugendzeit.</i><BR /><BR /><BR />Am 15. April 1955, also heute vor 70 Jahren, haben wir – ein kleiner Kreis von Freunden – im Gasthaus „Sargant“ in der Bozner Bindergasse die Südtiroler Hochschülerschaft gegründet. Es wurden die provisorischen Vereinsorgane verteilt und die Vorgangsweise beschlossen, um einen raschen Beitritt möglichst aller Südtiroler Hochschüler und Hochschülerinnen zu erreichen. Damals waren es kaum mehr als hundert, die an den verschiedenen in- und ausländischen, vorwiegend österreichischen Universitäten studierten.<BR /><BR />Zur ersten Vollversammlung während der Hochschulwochen in Meran kamen dann am 12. September immerhin schon 63 Mitglieder. Das waren weit mehr als die Hälfte der damals erfassten Südtiroler Universitätsstudenten und -studentinnen. Ein erster Erfolg. Nach der Verabschiedung des Statuts wurden die Vereinsorgane gewählt, wobei mir die Präsidentschaft anvertraut wurde.<h3> „Hochpolitischer Einsatz“</h3>Als wir in jenen Tagen erfuhren, dass am 10. Oktober in Rom eine österreichisch-italienische Expertenkommission zur Prüfung der gegenseitigen Anerkennung akademischer Grade und Diplome zusammenkommen sollte, waren wir sogleich zu einem hochpolitischen Einsatz herausgefordert: Zu einem patriotischen Einsatz darf ich nachträglich sagen, um einem heute meist missbräuchlich verwendeten Wort die rechte Bedeutung zurückzugeben.<BR /><BR />Auf keinen Fall wollten wir uns mit einer auf den naturwissenschaftlich-medizinischen und technischen Bereich beschränkten Anerkennung „gewisser akademischer Grade und<BR />Hochschuldiplome“ – wie es im Pariser Vertrag sehr vage steht – abspeisen lassen. Es ging um die unabdingbare Forderung nach vollem Einbezug der geisteswissenschaftlichen Fächer, also um die Überwindung der großen nationalistischen Widerstände Roms gegen die Ausbildung der künftigen Südtiroler Mittelschullehrer an österreichischen Universitäten.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1152909_image" /></div> <BR /><BR />Entgegen jeder populistischen Scharfmacherei waren wir uns jedoch gleich darüber einig, dass für eine erfolgreiche Überzeugungsarbeit vor allem ein Klima des Vertrauens erreicht werden muss. Und zwar durch glaubhafte Bekundung einer europäischen Gesinnung, die bei der Verteidigung des eigenen nationalen Interesses, also des Deutschtums in Südtirol, auch mit der ehrlichen Wertschätzung der italienischen Kultur verbunden sein muss. Es ging ja nie um ein Europa als Einheitsbrei, wie es heute zu Unrecht von nationalistischen Populisten der EU vorgeworfen wird, sondern um eine übergeordnete Einheit mit Wahrung ihres Reichtums an verschiedenen Völkern und Sprachen.<BR /><BR />So gewannen wir Verständnis und Unterstützung bei gebildeten Ministerialbeamten in Rom und – schon damals – auch bei aufgeschlossenen Politikern wie <b>Paolo Rossi,</b> dem späteren Präsidenten der Neunzehner Kommission, die 1969 zum Erfolg des sogenannten Südtirol Pakets und somit auch zum 2. Autonomie-Statut führen sollte.<BR /><BR />Auf diese Weise ist beim zweiten österreichisch-italienischen Expertentreffen im Frühjahr 1956 in Wien mit der Anerkennung der geisteswissenschaftlichen Fächer der große Durchbruch gelungen. Natürlich blieben Probleme wie die Anerkennung von Fachhochschulen noch offen und die vielen Reformen im Hochschulwesen haben immer wieder bei der Studientitelanerkennung neue Anläufe verlangt. Es freut mich sehr, dass hier kürzlich der S.H. ein neuer Erfolg beschert wurde.<BR /><BR />Es bleibt aber Tatsache, dass die für den Aufbau der deutschen Mittelschule so wichtige Anerkennung der geisteswissenschaftlichen Fächer bereits 1956 erreicht werden konnte. Die damals schon hochlaufenden Spannungen, die 1961 in der sogenannten Feuernacht mit ihren Folgen zum Höhepunkt eskalierten und erst durch die Arbeiten der Neunzehner Kommission abgefangen werden konnten, hätten eine Lösung dieses Problems bis zur Zeit nach Abschluss des Pakets 1969, also um mindestens 13 Jahre verzögert.<BR /><BR />Dass wir dazu in unserer Jugend entscheidend beitragen konnten, erfüllt mich auch heute noch mit Genugtuung, ja, und warum nicht auch mit Stolz.<h3> Vertrauen in den Spielraum der Freiheit</h3>Was kann ich aus jenen fernen Jahren herüberholen, das heute, in einer Zeit der bedrohlichen Umwertung anerkannter Werte, als Orientierungshilfe vielleicht noch dienlich sein könnte?<BR /><BR />Heute, wo auch bei uns im Westen Wert und Funktionsfähigkeit der rechtsstaatlich fundierten Demokratie bezweifelt werden?<BR /><BR />Wo in Amerika, das vor 80 Jahren uns die Freiheit brachte, die in Jahrhunderten harten Ringens erkämpfte Gewaltenteilung, die Dreiteilung der Staatsmacht in Gesetzgebung, Regierung und Justiz offen missachtet wird?<BR /><BR />Heute, wo auch bei uns Diktaturen oder sonst wie zum Totalitären neigende Systeme nicht nur mit „realpolitischer“ Nachsicht sondern auch mit Sympathie bedacht werden?<BR /><BR />Heute, wo dem militärisch Angegriffenen, aus „realpolitischer“ Rücksicht für den rücksichtslosen, rechts- und wortbrüchigen Agressor, ein nicht nur ungerechter sondern auch ausbeuterischer Frieden aufgezwungen werden soll?<BR /><BR />Ich kann nur versuchen zu schildern, wie ich persönlich im Frühling vor 80 Jahren das Ende von Krieg und Diktatur und den Einzug der Freiheit erlebt habe.<BR /><BR />Auf einmal gab es Zeitungen mit verschiedenen Meinungen; ebenso Sendungen im Radio, die man frei aussuchen und hören konnte und nicht mehr, wie bisher, nur heimlich und leise auf gestörten Kurzwellen suchen musste. Und dann, in der Schule, musste man sich nicht mehr verstellen, um den „Duce“ und den „Führer“ als unbesiegbare Feldherrn zu preisen.<BR /><BR />Es war ein ganz großes Aufatmen, das eine Familie von Regime-Gegnern durchzog. Die kurz vor Kriegsende von der „Stimme für Österreich“, dem „Feind“-Sender aus London, bestärkte Hoffnung auf Heimkehr zum früheren Vaterland wurde freilich von den Siegermächten bald wieder enttäuscht.<BR /><BR />Die erlebte Radikalität der positiven Wende aus Diktatur in Freiheit und Demokratie und dann, 1946 der Pariser Vertrag, stärkten dennoch das Vertrauen in erfolgreiches Verhandeln: Dies, auch wenn man wusste, dass mit dem Verbleib im italienischen Nationalstaat noch große Schwierigkeiten bevorstanden. Dieses Vertrauen und die Einsicht der kontraproduktiven Wirkung schneidiger Sprüche hat später auch unsere, von den Scharfmachern als zu „gemäßigt“ kritisierte Vorgangsweise bei den Studientitelverhandlungen bestimmt.<BR /><BR />„fortiter in re suaviter in modo“, also hart in der Sache und geschmeidig im Umgang, war die Devise.<BR /><BR />Für viele Südtiroler, die nach der faschistischen Unterdrückung an die Versprechen der Nationalsozialisten geglaubt hatten, war Deutschlands Niederlage gewiss eine schwere Enttäuschung. Aber auch die Regime-Gegner waren betroffen vom unsäglichen Leid, das zurückblieb. Deren Gefühle brachte <b>Thomas Mann</b> am 10. Mai 1945 auf den Punkt:<BR /><BR /><i>„Wie bitter ist es, wenn der Jubel der Welt der Niederlage, der tiefsten Demütigung des eigenen Landes gilt… Es ist trotz allem eine große Stunde, die Rückkehr Deutschlands zur Menschlichkeit“.</i><BR /><BR />Ja, an ein geläutertes Deutschtum – eingebunden in die nationale Vielfalt der europäischen Gemeinschaft – glaubten auch wir<BR /><BR />Persönlich lebensprägend im Gedächtnis ist mir von damals der Schlusssatz des Gründungsaufrufes der Südtiroler Volkspartei vom 8. Mai 1945 geblieben:<BR /><BR /><i>„Faschismus und Nazismus müssen überwunden werden, gründlich, gänzlich, für immer!“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1152912_image" /></div> Der Widerwille gegen jede Form von Diktatur, natürlich auch der kommunistischen, wie sie nach dem Krieg den Ländern im Osten von Stalins Sowjetimperialismus als „Befreiung“ aufgezwungen wurde, ist in mir seither tief eingewurzelt geblieben.<BR /><BR />Aus den damaligen Umwälzungen blieb mir auch die Erkenntnis, dass die Befreiung aus Hitlers und Mussolinis Diktatur nur militärisch erreicht werden konnte.<BR /><BR />Der Sieg der Freiheit war freilich, wie schon erwähnt, auf den Westen beschränkt. Dem sowjetischen Expansionsdrang konnte im Kalten Krieg nur durch glaubhafte Abschreckung begegnet werden. Und dies gilt auch heute für den neuen russischen Imperialismus. Man verkennt die Natur des Totalitären, wenn man glaubt, man könne einen Diktator durch schonungsvolles Entgegenkommen beschwichtigen.<BR /><BR />Und der rein deklamatorische Pazifismus hat nirgends in der Welt den Frieden gebracht. Ein realistischer Pazifismus kann leider, gegenüber totalitären und autokratischen Systemen, von glaubhafter Abschreckung und glaubhafter Bereitschaft zur Gegenwehr nicht absehen.<h3> Anregungen</h3>Mit diesen rückblickenden Überlegungen will ich den heute Studierenden bei Gott nicht Leitlinien vorgeben. Ich möchte nur zur kritischen Prüfung völlig neuer Gegebenheiten anregen: Für hilfreiche Aufklärungsarbeit im Meer gezielter Falschmeldungen und verwirrender Umdeutungen von Werten und Begriffen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1152915_image" /></div> <BR />Auch will ich nicht den Eindruck der einseitigen Darstellung einer rein tugendhaften Jugendzeit hinterlassen. Bei allem Ernst gönnten wir uns genug Zeit um richtig lustig zu sein. Die Aufbruchsstimmung der Nachkriegsjahre war auch erfüllt vom Wunsch nach unbeschwerter Unterhaltung. Im Fasching haben wir einen Ball nach dem anderen besucht und die Törggelezeit rief uns von den Studienstädten zurück ins heimatliche Weinland. Wir haben getanzt, gesungen und viel gelacht, bis spät nach Mitternacht. Ja, wir haben gern gefeiert. Oft wohl auch zu viel.<BR /><BR /><BR />Franz von Walther