Am 6. Oktober 1973, Samstag, Yom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, griffen ägyptische und syrische Truppen in einer koordinierten Aktion gegen 14 Uhr israelische Stellungen an 2 Fronten gleichzeitig an: am Suezkanal und auf den Golanhöhen. Im Gefühl des Sieges von 1967 wurde Israel von dem Angriff vollkommen überrascht. Der Direktor des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, Zvi Zamir, hatte dafür später folgende Erklärung: „Wir haben einfach nicht geglaubt, dass die Araber das konnten. Wir haben sie verachtet.“ Weder der Mossad noch AMAN, der wichtigere militärische Geheimdienst, hatten die Gefahr kommen sehen. <BR /><BR />Vor 4 Monaten schienen sich diese historischen Ereignisse punktgenau zu wiederholen, und Antisemitismus wird weltweit geschürt. Wir sprachen mit Federico Steinhaus, der 40 Jahre lang der Jüdischen Gemeinde in Südtirol vorstand, wie er derzeit die Lage einschätzt. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="994975_image" /></div> <BR /><BR /><b>Am 7. Oktober 2023 überfiel die Hamas aus dem Gaza-Streifen heraus Israel – am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur und fast auf den Tag genau 50 Jahre nach dem Überraschungsangriff Ägyptens und Syriens auf das Land. Was hat sich seitdem verändert. Palästina und Israel scheinen so weit voneinander entfernt zu sein wie nie zuvor….</b><BR />Federico Steinhaus: Man muss zwischen 2 Phänomenen unterscheiden: Erstens macht sich wieder in der ganzen westlichen Welt ein sehr heftiger Antisemitismus breit. Zweitens haben die Medien und auch die Menschen mittlerweile die Ereignisse vom 7. Oktober beinahe vergessen. Nach 4 Monaten denken wir nicht mehr an das, was an jenem Tag geschehen ist. Die Bombenangriffe im Gazastreifen stehen im Vordergrund, die den Hass gegen Israel schüren. Für Israel und gerade für die Jugend dort ist der 7. Oktober 2023 aber ein Wendepunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft, genauso wie die Shoah. Es war und ist ein enormer Schock. Das darf man nicht vergessen. Heute spricht man hauptsächlich von den unschuldigen palästinensischen Opfern in Gaza, und die Ursache dieses Krieges ist in den Hintergrund gerückt. <BR /><BR /><b>Weltweit teilen sich die Meinungen zum Konflikt in 2 Lager: Keiner der beiden Staaten scheint im Recht oder Unrecht zu sein. Wie erleben Sie die Lage derzeit?</b><BR />Steinhaus: Auf der einen Seite haben wir einen Staat, eine Regierung, die einem gefallen kann oder auch nicht, auf der anderen Seite haben wir eine Terroristenbande.Das darf man auch nicht vergessen. Dass es durch diesen Konflikt in Gaza leider auch so viele Zivilopfer gibt, ist zum Teil auch Schuld dieser Terroristenbande, die die Bevölkerung als Schutzschild benützt. Das ist ein asymmetrischer Krieg. Es ist kein Krieg zwischen 2 Staaten. Man kann Israel zwar wie viel man will kritisieren, letzten Endes gibt es aber einen Partner in diesem Konflikt, sprich Hamas, der absolut im Unrecht ist. Der beste Beweis dafür, dass Hamas eine Terroristenbande ist, von der man die Welt befreien muss, ist dass kein einziger arabischer Staat – mit Ausnahme von Katar und der Türkei – sich an der Verteidigung von Gaza beteiligt. Alle schauen zu und rühren sich nicht.<BR /><BR /><b>Und der Iran?</b><BR />Steinhaus: Der Iran ist eine islamische Theokratie und damit ein Kapitel für sich. Seit rund 40 Jahren erklärt der Staat, dass Israel nicht existieren darf. Noch hat Iran Israel nie direkt angegriffen, indirekt aber über Hisbollah oder Syrien. Die Zerstörung Israels wurde öffentlich deklariert, ohne dass die Vereinten Nationen sich je dazu geäußert hätten. Der Chef der Menschenrechtskommission und der Abrüstungskommission ist ein Iraner...<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="994978_image" /></div> <BR /><BR /><b>Bedrohlich ist derzeit auch das Aufkeimen des Antisemitismus', Vorzeichen waren allerdings schon vor dem 7. Oktober 2023 zu spüren. Wie schätzen Sie weltweit, bzw. in Europa dieses neue Aufflackern des Judenhasses ein?</b><BR />Steinhaus: Der Antisemitismus ist seit 2000 Jahren ein Phänomen, der zum Teil im Hintergrund schwelt und bei der ersten Gelegenheit aufflackert. Bekämpfen kann man diesen nur durch Bildung und durch Gespräche mit Jugendlichen etwa. Wenn wir aber Italien hernehmen, so gibt es hier 4000 Professoren, die ein antisemitisches Dokument gegen Israel unterzeichnet haben. Wie viele Schüler haben diese 4000 Professoren gelehrt? Und was? Auch bemerke ich leider immer mehr, dass die größte Bedrohung von einer jahrzehntelangen Propaganda der Linksextremisten kommt und nicht von rechter Seite. Das ist ein Phänomen, das man mit der Existenz von Israel selbst in Zusammenhang bringen muss. Wenn es Israel nicht gäbe, würde es vielleicht auch weniger Antisemitismus geben. Aber die Juden hätten dann auch keinen Schutz. <BR /><BR />Man kann dem jüdischen Volk nicht das Recht auf ein Vaterland verleugnen. Wenn es Israel 1938 gegeben hätte, dann wäre es nicht zur Shoah gekommen. Und auch das darf man nicht vergessen. Auch haben die Alliierten Mächte damals nichts gegen die Vernichtungslager unternommen. Spätestens nach 1942 wussten alle Bescheid, was dort vor sich ging. Zusätzlich darf man nicht ignorieren, wie viele Länder in Europa und in Amerika den Juden die Zuflucht verweigert haben. Palästina etwa war damals von den Engländern besetzt. Sie haben eine Schiffsblockade eingerichtet, die verhindert, dass Juden aus Europa dorthin flüchteten. Und die Schweiz hat jüdische Fluchtlinge zurückgewiesen. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="994981_image" /></div> <BR /><b>Auch in Südtirol wurden in den vergangenen Wochen antisemitische Parolen öffentlich hörbar. Was sagen Sie dazu? Wie erleben Sie die Situation in unserem Land?</b><BR />Steinhaus: Außer dem Einzelfall in Bozen vor ein paar Tagen sehe ich in Südtirol kein Aufkeimen von Antisemitismus. Es gab auch Demonstrationen mit dem Schlagwort „Vom Fluss bis zum Meer“, die von islamischen Minderheiten organisiert wurden. In den Schulen habe ich danach darüber gesprochen, doch kaum jemand wusste von welchem Fluss da die Rede ist. Nur ein Junge nannte mir den Jordan. Der Spruch hat aber eine genaue Bedeutung: nämlich die Vernichtung Israels. Das alles hat mit Palästina nichts zu tun. In Südtirol jedenfalls empfinde ich kaum, dass es antisemitische Bewegungen gibt, sondern eher Sympathie für Israel.<BR /><BR /><b>Und wie können wir als vernünftige Bürger gegen Antisemitismus steuern?</b><BR />Steinhaus: Jeder kann in seinem Umfeld über die Geschichte und die Bedeutung Israels sprechen. Auch darüber wie sich die politischen Verhältnisse zwischen Israel und der arabischen Welt seit 1917 entwickelt haben (Anm. d. Red: In der Balfour-Deklaration vom 2. November 1917 erklärte sich Großbritannien einverstanden mit dem 1897 festgelegten Ziel des Zionismus, in Palästina eine „nationale Heimstätte“ des jüdischen Volkes zu errichten.) Man muss erklären, dass die israelische Regierung 2 Mal – 1937 und 1947 – den Palästinensern einen eigenen Staat angeboten haben, beide Male haben diese mit Terrorismus geantwortet. Sie wollen keinen eigenen Staat neben Israel, sondern an dessen Platz. Hamas hat das sehr deutlich in den vergangenen Wochen erklärt: Wir wollen einen einzigen Staat im Nahen Osten. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="994984_image" /></div> <BR /><b>Grundsätzlich muss man aber zwischen Antisemitismus, Antizionismus und Antijudaismus unterscheiden...</b><BR />Steinhaus: Der heutige Antisemitismus ist politisch zu sehen. Heute kann man sagen, dass man die Juden hasst, aber in Wirklichkeit tarnt man den Antisemitismus unter Antizionismus. Das heißt, dem jüdischen Volk das Anrecht auf einen Staat, auf ein Vaterland abzuerkennen. Das ist objektiv Antisemitismus. Das geschieht bei keinem anderen Staat und bei keinem anderen Volk. Nur die Juden haben kein Anrecht auf einen eigenen Staat auf der ganzen Welt. Als historischen Ursprung muss man auf 2000 Jahre zurückgreifen, und dann wird das zum Antijudaismus: Hass auf das jüdische Volk als Gottesmörder. <BR /><BR />Der Antijudaismus/Antisemitismus herrschte 2000 Jahre lang, bis zur Gründung Israels, nur im christlichen Europa, sonst nirgends. Heute gestaltet sich das anders. Aber die historischen Wurzeln des heutigen Antisemitismus' in Europa sind dieselben geblieben. Der Beweis dafür ist, dass die Araber oft das antijudaistische, katholische, christliche Klischee benützen, so etwa, dass Juden Kinder ermorden, um das Blut mit dem Mazzoth zu vermischen, dem ungesäuerten Brot, das wir zu Ostern essen. Oder dass Juden, die ganze Welt beherrschen wollen. Alles Vorurteile, die wir vom Mittelalter geerbt haben. Diese werden heute noch von der arabischen Welt geschürt. Das ist der Beweis, dass die historischen Grundlagen des heutigen Antisemitismus' zum Teil 2000 Jahre zurückgreifen müssen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="994987_image" /></div> <h3> Antijudaismus</h3>Als „Antijudaismus“ oder auch „christlichen Antijudaismus“ bezeichnet man die judenfeindlichen Tendenzen seit dem Mittelalter. Grundlage des Antijudaismus ist der Vorwurf des „Christus-“ bzw. „Gottesmordes“: Den Juden wird die Schuld am Tod Christi gegeben. Der christliche Antijudaismus zeichnet sich zudem durch die deutliche Infragestellung bzw. Ablehnung des Rangs der Juden als auserwähltes Volk Gottes aus. Diese religiös fundierte Ablehnung des Judentums führte in der mittelalterlichen Kirchenpolitik zu gezielten Verfolgungen wie etwa in Spanien, wo die Juden 1492 zwangsgetauft wurden oder aber das Land verlassen mussten. In Zeiten von sozialen Missständen, während Epidemien wie etwa der Pest und zur Zeit der Kreuzzüge kam es immer wieder zu Pogromen an Juden. Der Antijudaismus war vor allem bis zur Aufklärung dominant – aber auch darüber hinaus lässt er sich finden und prägt zum Teil bis heute Vorbehalte gegen Juden. <h3> Antizionismus</h3>Das bedeutete ursprünglich die Gegnerschaft zum Zionismus als der historischen Bewegung mit dem Ziel der Errichtung eines jüdischen Staates im Nahen Osten. Nach der Gründung des Staates Israel 1948 ist Antizionismus die Bezeichnung für eine ideologische und politische Position, die vorgibt, nicht die Juden zu bekämpfen, sondern den Staat Israel und die Israelis. Quelle: Dt. Bundesregierung<h3> Antisemitismus</h3>Der Begriff wurde nach der rechtlichen Gleichstellung der Juden im deutschen Kaiserreich von dem Journalisten <Fett>Wilhelm Marr</Fett> und gleichgesinnten Judenfeinden ab1879 geprägt. Er war als positive Selbstdarstellung gemeint und sollte den zeitgenössischen judenfeindlichen Bewegungen in Mitteleuropa einen programmatischen, ideologischen und „wissenschaftlichen“ Anstrich geben. Der Begriff ist irreführend, da er sich auf die semitische Sprachfamilie bezieht, zu der neben dem Hebräischen etwa auch das Arabische gehört. Der Begriff „Antisemitismus“ sollte jedoch alle Formen der Judenfeindschaft kennzeichnen. Trotz dieser Unkorrektheiten hat er sich im Sprachgebrauch bis heute durchgesetzt.<h3> Stereotype</h3>Im Zuge der Französischen Revolution bringt das 19. Jahrhundert 2 Entwicklungen mit sich: Auf der einen Seite die beginnende Emanzipation der Juden in Europa, auf der anderen Seite auch eine Form des Judenhasses, die sich nicht mehr länger allein auf die Religion stützt, sondern nach pseudowissenschaftlichen Argumenten sucht, um die Ausgrenzung der Juden zu begründen: Die Juden werden nun als „Rasse“ definiert. Durch die Verwendung einer Kategorie aus der Biologie wird die Grenze zwischen jüdischer Minderheit und der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft als unüberwindbar dargestellt: Weder ein Übertritt zum Christentum noch die Anpassung der Juden an die Kultur der jeweiligen Gesellschaft (Sprache, Kleidung usw.) kann innerhalb dieser Ideologie etwas an ihrem Status ändern. Seit Ende der 1870er Jahre formiert sich ein politischer Antisemitismus: Rechtsgerichtete Gruppen machen die Bekämpfung, Isolierung, Vertreibung und die Vernichtung alles „Semitischen“ zu ihrem Programm. Auf diese Weise<BR />können die Nationalsozialisten auf bestehende Argumente und Zielsetzungen zurückgreifen, als sie den organisierten Massenmord an den Juden (Holocaust), dem etwa 6 Millionen Menschen zum Opfer fielen, begehen. <BR /><BR />In Form des Stereotyps der oder des „Fremden“ reicht Judenfeindschaft als der wohl älteste bekannte Hass der Geschichte bis in die Antike zurück. In dem Grundmechanismus, dass eine Gruppe zum Stellvertreter für unverstandene Übel wird, liegt die virtuelle Qualität von Antisemitismus begründet. Dass er als Weltdeutungsmuster auch in Gegenden ohne jüdische Bevölkerung existiert, liegt an diesem imaginären Charakter, der vor mit den Vorstellungen der nichtjüdischen Mehrheit über die Minderheit zu tun hat. Einen Grund für Antisemitismus im Sinne der Vernunft oder einer Kausalität gibt es nicht, er bleibt eine irrationale und falsche Scheinerklärung.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />