Der „Angriff auf Amerika“ war für die Amerikaner wie ein Schock. Am Tag danach war die Wirklichkeit in den USA noch niederschmetternder: Schulen, Flughäfen und Finanzmärkte waren geschlossen, von Disney World bis zu den Casinos von Las Vegas wurden selbst die harmlosesten Vergnügungen unterbrochen. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="679199_image" /></div> <BR /><BR />Zum ersten Mal seit dem D-Day im Juni 1944 wurden die Baseballspiele abgesagt. New York wurde zum Katastrophengebiet erklärt, in Washington der Notstand ausgerufen, im Fernsehen wurden immer wieder die Bilder von den einstürzenden Zwillingstürmen gezeigt. Dieser Anschlag veränderte die Welt, auch weil die USA so reagierten, wie sie reagierten.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="679202_image" /></div> <BR /><BR />Nach den Anschlägen erklärte US-Präsident <b>George W. Bush</b> den „Krieg gegen den Terror“, um die Welt vom Bösen zu befreien. Am 15. September wurde bei einem Treffen in Camp David das Ziel für amerikanische Vergeltungsschläge festgelegt: Afghanistan, wo das Taliban-Regime nach der Vorstellung Washingtons den Terroristen einen „sicheren Hafen“ zur Verfügung gestellt hatten. <BR /><BR /><BR /><b>Afghanistan: Die Operation Enduring Freedom</b><BR /><BR /><BR />Am Mittag des 7. Oktober verkündete Bush im Fernsehen den Beginn der Operation Enduring Freedom, den Angriff gegen Afghanistan. Einige Stunden vorher waren Langstreckenbomber von der Whiteman Luftwaffenbasis in Missouri gestartet, hatten amerikanische und britische U-Boote, die im Persischen Golf operierten, ihre Tomahawk cruise missile abgefeuert, und von den Flugzeugträgern USS Carl Vinson und USS Enterprise waren die Jets gestartet. <i>„Auf meinen Befehl hin,“</i> so Bush, „haben die Streitkräfte der Vereinigten Staaten mit Angriffen gegen A<i>usbildungslager der al-Qaida-Terrororganisation und Militäreinrichtungen des Taliban-Regimes in Afghanistan begonnen.“</i> Seit 9/11 habe man 26 Tage geplant und alles vorbereitet; das Warten habe ein Ende, Amerika schlage zurück. Und noch in seinen 2010 erschienen „Erinnerungen“ folgt an dieser Stelle der Satz: <i>„Die Befreiung Afghanistans hatte begonnen.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="679205_image" /></div> <BR /><BR />Als Rechtsgrundlage galt die Resolution 1368 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen vom 12. September 2001, in der die Terrorangriffe vom 11. September 2001 verurteilt worden waren, das Recht zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung zugestanden und die Notwendigkeit bestätigt wurde, alle erforderlichen Schritte gegen zukünftige Bedrohungen zu unternehmen.<BR /><BR /><BR />Die NATO hatte erstmals in ihrer Geschichte den Artikel 5 des NATO-Vertrages aktiviert, der festlegte, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere ihrer Partner als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird. Am 20. Dezember 2001 erteilte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen das Mandat zur Entsendung einer multilateralen Schutztruppe nach Afghanistan, der International Security Assistance Force (ISAF). Von nun an war die NATO in Afghanistan militärisch engagiert.<BR /><BR />Der als Drahtzieher des Terrors gesuchte <b>Osama bin Laden</b> antwortete mit neuen Drohungen und rief die Moslems in aller Welt zum Heiligen Krieg (Dschihad) gegen die USA auf. Die setzten für seine Ergreifung ein Kopfgeld von 50 Millionen US-Dollar aus. (Es sollte bis zum 1. Mai 2011 dauern, bis man ihn in Pakistan aufspürte und er auf Anordnung von US-Präsident <b>Barack Obama</b> von Spezialeinheiten der Navy Seals getötet wurde.) Schon nach wenigen Wochen brach damals das Taliban-Regime zusammen. Damals ahnte wohl niemand, dass dieser Einsatz für alle beteiligten Länder zum längsten Krieg in ihrer Geschichte werden würde.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="679208_image" /></div> <b>Irak: Die Operation Iraqi Freedom</b><BR /><BR /><BR />Regime-Wechsel und Demokratie waren das Stichwort für den eigentlichen Gegner der USA: <b>Saddam Hussein</b>. Schon am 12. September 2001, nur einen Tag (!) nach den Terroranschlägen, wurde im Weißen Haus bereits über die Erweiterung der Ziele für eine Vergeltungsaktion der USA gesprochen. Für Verteidigungsminister <b>Donald Rumsfeld</b> ging es darum, es <Kursiv>„dem Irak zu zeigen“. </Kursiv>Außenminister <b>Colin Powell</b> hielt dagegen und rückte al-Qaida in den Mittelpunkt. <b>Richard Clarke</b>, der „nationale Koordinator für Sicherheit, Infrastruktur und Antiterrorpolitik“, war über Powells Einwand erleichtert und machte gleichzeitig seinem Ärger Luft: „<i>Ich dachte schon, mir sei etwas entgangen. Nach einem Angriff von al-Qaida als Vergeltung den Irak zu bombardieren, das ist so, als wären wir nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor in Mexiko einmarschiert.“</i> Powell schüttelte nur den Kopf: <i>„Es ist noch nicht vorbei.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="679211_image" /></div> <BR />Am 20. März 2003 eröffneten die Vereinigten Staaten das Feuer: Der Startschuss für 40 Marschflugkörper war zugleich der Beginn des Irakkrieges. Das in der Öffentlichkeit <i>„gut zu verkaufende Argument“,</i> so der stellvertretende US-Verteidigungsminister <b>Paul Wolfowitz,</b> wurde die konstruierte Verknüpfung zwischen den Terroranschlägen und dem Irak. Die Kriegstreiber in Washington stellten Iraks Diktator Saddam Hussein in den Mittelpunkt des Weltterrorismus und behaupteten, er würde bald über Massenvernichtungswaffen verfügen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="679214_image" /></div> <BR />In Washington wurde die „Achse des Bösen“ und die „Bush-Doktrin“ erfunden, womit der Weltöffentlichkeit eine plakative Begründung für Präventivschläge vorgesetzt wurde. Unvergesslich sind die Bilder vom 10. Mai 2003, als Bush auf dem Flugzeugträger USS Abraham Lincoln in der Bucht von San Diego in Pilotenuniform landete und unter dem Banner Mission Accomplished den Sieg im Irak verkündete. <BR />Es gab Kritik, allen voran von <b>Richard Clarke.</b> Der Irak hatte aus seiner Sicht keine Bedrohung für die USA dargestellt und hatte auch nichts mit den Anschlägen in New York und Washington zu tun! <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="679217_image" /></div> <BR />Seiner Meinung nach bestand nach dem 11. September die Chance für Washington, Menschen auf der ganzen Welt zu einen, gemeinsame Werte zu vertreten und den globalen Konsens zu kultivieren sowie die ideologischen Wurzeln des Terrorismus zu vernichten und al-Qaida zu zerschlagen. Clark: <i>„Wir haben diese Chance vertan.“</i><BR /><BR /><BR />Die Amerikaner hatten keinen Plan B für den Irak, der im Chaos versank. Der völkerrechtswidrige Krieg verursachte unendliches Leid und ungeheure Kosten. Hunderttausende wurden getötet oder verließen das Land. Die Genfer Konvention wurde außer Kraft gesetzt, es wurde gefoltert, amerikanische Soldaten misshandelten irakische Gefangene; Bilder aus dem Gefängnis Abu Ghraid schockierten. <BR /><BR /><BR />Dem „Krieg gegen den Terror“ wurde in den USA im Innern und nach außen fast alles untergeordnet. Mit dem Irakkrieg gerieten die USA gleichzeitig in die Falle des imperialen overstretch. Insofern markierte dieser Krieg definitiv einen Wendepunkt. Die USA wurden nicht mehr wie bisher als Führungsmacht akzeptiert. Zum ersten Mal verweigerten einstmals treue Partner die Teilnahme an diesem Krieg, allen voran Deutschland und Frankreich.<BR /><BR /> Die Vorstellung der Amerikaner, mit einem „regime change“ im Irak beispielhaft den gesamten Nahen Osten zu demokratisieren, war anmaßend und naiv. Die USA stürzten sich in ein militärisches Abenteuer gegen ein muslimisches Land und öffneten damit die Büchse der Pandora. <b>Richard Clark</b> meinte dazu: <i>„Wir werden noch lange den Preis dafür zahlen.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="679220_image" /></div> <BR /><BR />Das begann schon sehr früh. Von Widerstandskämpfern gegen die US-Besatzung im Irak wurde schon 2003 der terroristische Islamische Staat (IS) gegründet, angeführt von ehemaligen Offizieren der irakischen Armee. Dieser IS kontrollierte zeitweise große Teile des Irak und Syriens und rief dort ein Kalifat (Gottesstaat) aus, das durch seine grausame Behandlung von „Ungläubigen“ berüchtigt wurde und islamistische Kämpfer aus aller Welt anzog. Mit dem Kampf gegen den IS wurde eine ganz neue Front im Nahen Osten eröffnet. <BR /><BR /><BR />Offiziell beendete Präsident Obama den Irakkrieg im Jahre 2011, tatsächlich werden die letzten Kampftruppen das Land erst 2021 verlassen.<BR /><BR /><BR /><b>Das Scheitern des Westens</b><BR /><BR /><BR />Während des Irakkrieges war Afghanistan völlig vernachlässigt worden – mit der Konsequenz, dass dort nach wie vor Krieg herrschte und die Taliban sich reorganisiert hatten. Als Obama 2009 sein Amt antrat, gab er dem Drängen der Militärs nach und verstärkte die US-Truppen um weitere 40.000 auf 130.000 Soldaten, gegen den Rat seines Vizepräsidenten <b>Joe Biden</b>, für den Afghanistan ein „gefährlicher Sumpf“ war. Obama wollte die US-Truppen innerhalb eines festen Zeitrahmens aber wieder abziehen. <BR /><BR />Der Rückzug begann tatsächlich im September 2012, kurz vor der Präsidentenwahl. Trotz der sich verschlechternden Sicherheitslage blieb Obama auch nach seiner Wiederwahl 2012 bei seiner Ausstiegsstrategie. Ende 2014 verkündete er: „<i>Der Kampfeinsatz Amerikas wird beendet und der längste Krieg in der Geschichte Amerikas zu einem vernünftigen Ende gebracht.“</i> Das nannte die Washington Post im August 2021 eine „ungeheuere Täuschung und Lüge“. Der Krieg war nicht zu Ende gebracht worden.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="679223_image" /></div> <BR /><BR /><b>Präsident Trump</b> wollte ihn zu Ende bringen und machte einen deal mit den Taliban: Abzug der US-Truppen bis zum 1. Mai 2021. Damit war der Rückzug eine beschlossene Sache.<BR /><BR /><BR />Als Präsident widerrief Joe Biden fast alle Entscheidungen Trumps, diese nicht. Im April 2021 verkündete er das Ende des Krieges. Im Juli wurden die Truppen ohne Ankündigung von einem Tag zum andern abgezogen und die Afghanen ihrem Schicksal überlassen – was zu einem vom Westen nicht für möglich gehaltenen Desaster führte: In nur 11 Tagen eroberten die Taliban ganz Afghanistan.<BR /><BR /><BR />Das Chaos, das folgte, konnten wir im Fernsehen verfolgen. Am 31. August 2021 verließ der letzte US-Soldat Afghanistan. Der längste Krieg in der Geschichte der USA war damit zu Ende. Mit dem finalen Scheitern in Afghanistan endete auch eine Ära amerikanischer Selbstüberschätzung. Man konnte Regime im Nahen Osten zwar stürzen, aber nicht so einfach nach westlichen Vorstellungen wieder auf- und umbauen. 20 Jahre Aufbauarbeit, Ansätze einer Zivilgesellschaft, Tausende Tote, Billionen verpulverter US-Dollar: alles umsonst. Neben der faktischen war auch die moralische Niederlage des Westens perfekt. <BR /><BR />Wenige Tage vor dem 20. Jahrestag der Terroranschläge hat US-Präsident Joe Biden eine Freigabe geheimer FBI-Ermittlungsdokumente angeordnet. Möglicherweise liefern diese Dokumente neue Erkenntnisse, wie es zu 9/11 kommen konnte.