Am 5. Juni 1967, einem Montag, starteten 183 israelische Kampfflugzeuge zu einem Präventivschlag gegen Ägypten. Der Zeitpunkt für den Angriff war in der Erwartung gewählt worden, dass sich die ägyptischen Piloten und Kommandeure in ihren Autos befinden würden – am Rückweg vom morgendlichen Frühstück.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="776000_image" /></div> Die Rechnung ging auf, die Überraschung gelang: Innerhalb von 70 Minuten wurden 197 ägyptische Flugzeuge und 16 Radarstationen vernichtet. Die zweite Angriffs- welle begann um 9.34 Uhr. Weitere 107 ägyptische Flugzeuge und 14 Luftstützpunkte wurden zerstört. Damit hatte Ägypten drei Viertel seiner Luftstreitkräfte verloren. Der dritte Nahostkrieg – nach 1948/49 und 1956 – war nicht einmal drei Stunden alt, als der Sieger bereits feststand: Israel.<BR /><BR />Begonnen hatte alles schon Monate vorher, als Fortsetzung der beiden vorangegangenen Kriege. Das Ziel der arabischen Nachbarn Israels war gleich geblieben: die Vernichtung des jüdischen Staates. Seit dem Suezkrieg hatte es – so wie schon vor 1956 – immer wieder Zwischenfälle an den Grenzen gegeben. Zur bis dahin schwersten Auseinandersetzung kam es dann am 7. April 1967, als israelische Mirage-Flugzeuge sechs syrische MIGs abschossen.<BR /><BR /><BR /><b>Ägyptens Vorstoß</b><BR /><BR />Am 13. Mai warnte der Kreml die Regierungen in Kairo und Damaskus vor einem israelischen Angriff auf Syrien. Das Prestige von Ägyptens <b>Präsident Nasser</b> in der arabischen Welt stand auf dem Spiel. Am 16. Mai forderte er UN-Generalsekretär U Thant auf, die seit 1957 auf der Sinai-Halbinsel und im Gaza-Streifen stationierten UN-Truppen abzuziehen. Als U Thant bereitwillig auf diese Forderung einging und den Befehl zum Abzug gab, ging Nasser noch einen Schritt weiter und verkündete am 22. Mai die Blockade der Meerenge von Tiran für alle Schiffe mit dem Ziel Eilat. Öffentlich machte er klar, worum es gehen würde:„<i>Die Juden haben mit Krieg gedroht; ich antworte: herzlich willkommen. Gut, wir sind zum Krieg bereit. Das Hauptziel, das wir in dem bevorstehenden umfassenden Krieg verfolgen, ist die Zerstörung Israels.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="776003_image" /></div> <BR />Für Israel war das der Casus Belli. Wie immer war auch diesmal die Haltung der USA entscheidend. Präsident <b>Lyndon B. Johnson</b> machte gegenüber Israels <b>Außenminister Abba Eban</b> seine Position klar: Israel werde „nicht allein sein, es sei denn, es handelt allein“. Daraufhin kam es am 29. Mai im israelischen Kabinett zu einem Patt: Neun Minister waren für, neun gegen einen Präventivschlag. Also kein Krieg.<BR />Das erregte damals den Zorn der israelischen Generäle, der Ruf nach dem „starken Mann“ ertönte immer lauter. <BR />Schließlich wurde am 1. Juni eine „Regierung der nationalen Einheit“ gebildet, in der <b>Moshe Dajan</b>, der Held des Suezkrieges 1956, Verteidigungsminister wurde.<BR />Am 4. Juni beschloss die Regierung einstimmig, nicht länger zu warten. Ausschlag- gebend dafür war die Meldung des Chefs des israelischen Geheimdienstes Mossad, Meir Amit, der sich inkognito in Washington aufgehalten hatte und mit dem Eindruck zurückkehrte, dass dort niemand Nein zum Krieg gesagt hatte.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="776006_image" /></div> <BR />Am Morgen des 5. Juni wurde der Erstschlag geführt, dann stieß die israelische Armee in Richtung Suezkanal vor. Wir wissen erst seit kurzem, welch dramatische Szenen sich damals im Kreml abspielten. Am 6. Juni erklärte der ägyptische <b>Verteidigungsminister Amr</b> im Auftrag Nassers dem sowjetischen Botschafter, die Lage sei so ernst, dass es „notwendig ist, die Feuereinstellung bis 5.00 Uhr früh zu erreichen“.<BR /><BR /> Der sowjetische Parteichef Leonid Breschnew erklärte später in einer Geheimrede vor dem Zentralkomitee der KPdSU, dass damit der „kritischste Augenblick für die VAR [Vereinigte Arabische Republik = Ägypten] im Verlauf der Kampfhandlungen“ erreicht war. Breschnews Bericht machte die verheerende Lage deutlich:<BR /><BR /><i>„Als wir diese alarmierende, die Dramatik der Situation an der ägyptisch-israelischen Front widerspiegelnde Meldung aus Kairo erhielten, hielten wir, die Mitglieder des Politbüros, um ein Uhr nachts eine Sitzung ab. Wir überlegten mögliche Varianten, wie den eine Niederlage erleidenden Streitkräften der VAR geholfen werden könnte. Es konnte gar keine Rede davon sein, in den verbleibenden wenigen Stunden irgendwie nennenswerte Mengen technischer Kampfmittel, Panzer, Flugzeuge, dorthin zu befördern, um die im Grunde zusammenbrechende ägyptische Front zu stärken, den Vormarsch der israelischen Truppen auf den Suezkanal aufzuhalten und so die Hauptstadt und andere Städte der VAR aus der Luft zu decken. Dabei musste in Rechnung gestellt werden, dass der ägyptischen Militärführung die Leitung der Truppen faktisch aus den Händen geglitten war. Diese befanden sich in einem Zustand des Chaos und der Fassungslosigkeit, viele Flugplätze, auf denen unsere Flugzeuge hätten landen können, waren zerstört. In dieser Situation war es das einzig Richtige, alle politischen und diplomatischen Mittel einzusetzen, um zu versuchen, die VAR dem Schlag zu entziehen.“</i><BR /><BR /><BR /><b>Kampf um Jerusalem</b><BR /><BR />Ähnlich katastrophal war auch die Lage der jordanischen Armee, obwohl die Kämpfe in Jordanien und besonders um Jerusalem die verlustreichsten der israelischen Armee waren. Am 6. Juni teilte König Hussein dem sowjetischen Botschafter mit: <i>„Das ist der schwerste Tag in meinem Leben. Nur die unverzügliche Feuereinstellung kann Jordanien retten.“</i> In der Nacht zum 7. Juni wiederholte Nasser die dringende Bitte, den Vormarsch der israelischen Truppen aufzuhalten und bis 5.00 Uhr morgens eine Feuereinstellung zu erreichen.<BR /><BR />In Ost-Jerusalem wurde zu dem Zeitpunkt noch gekämpft. Am Morgen des 7. Juni war der Kampf um Jerusalem aber vorbei. Unmittelbar nach Eroberung der Altstadt wurden die Bewohner in den Häusern vor der Klagemauer evakuiert – sie hatten eine halbe Stunde Zeit, ihre Wohnungen zu verlassen. Dann wurde das Gelände von Bulldozern eingeebnet und ein weiträumiger Platz geschaffen.<BR /><BR />Am 9. Juni zog Israel seine Streitkräfte im Norden zusammen und eroberte den Golan. Am Abend kündigte Nasser seinen Rücktritt an, was die Sowjetunion unbedingt verhindern wollte. Das Politbüro der KPdSU sicherte Nasser politische und moralische Unterstützung zu: „Die arabische Welt und alle fortschrittlichen Kräfte in der Welt we<i>rden Ihren Rücktritt von der Führung des Landes in diesem verantwortungsvollen Augenblick nicht verstehen und nicht billigen.“</i><BR /><BR />Nasser blieb im Amt. In Moskau atmete man auf. Ein wichtiges Ziel war erreicht. <b>Breschnew</b> sagte später vor dem ZK:<BR /><i>„Unser Handeln in der für die VAR kritischen Situation war darauf gerichtet, den Aggressor aufzuhalten, solange die arabischen Staaten noch einen bedeutenden Teil ihrer Streitkräfte bewahrt hatten, die Eroberung von Kairo und Damaskus durch die israelischen Truppen nicht zuzulassen und vor allem den Sturz des fortschrittlichen Regimes in der VAR zu verhindern, was – davon sind wir überzeugt – eine Kettenreaktion auch in anderen arabischen Staaten zur Folge gehabt hätte.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="776009_image" /></div> <BR />Inzwischen setzte die israelische Armee ihren Siegeszug im Norden fort. Die syrischen Absperrungen wurden durchbrochen. Gegen Mittag des 10. Juni fiel Kuneitra, der Hauptstützpunkt der Syrer auf dem Golan. Der Weg nach Damaskus war frei. In dieser dramatischen Situation bat die Regierung Syriens die Sowjetunion geradezu verzweifelt, <i>„beliebige Schritte zu unternehmen, und zwar in den nächsten zwei bis drei Stunden, da es sonst zu spät sein würde“.</i><b>Breschnew</b> vor dem ZK: <i>„Das war der zweite kritische Punkt in der Nahostkrise.“</i><BR /><BR /><BR /><b>Konflikt der Großmächte</b><BR /><BR />Moskau brach die diplomatischen Beziehungen zu Israel ab und nutzte erstmals die 1963 nach der Kubakrise eingerichtete Fernschreibverbindung zwischen dem Kreml und dem Weißen Haus – der viel zitierte „heiße Draht“. <b>US-Präsident Lyndon B. Johnson</b> erhielt am 10. Juni eine folgenschwere Botschaft: Sollte Israel die Kriegshandlungen nicht in den allernächsten Stunden beenden, sähe sich die Sowjetunion „zu selbstständigen Handlungen“ gezwungen. <BR /><BR />Das war die klare Drohung, dass der Kreml auf Seiten der geschlagenen arabischen Staaten eingreifen werde – auch auf das Risiko eines militärischen Konflikts mit den USA hin, denn, so hieß es weiter. <i>„Diese Handlungen können einen Zusammenstoß zwischen uns bewirken und zu einer großen Katastrophe führen. [...] Wir schlagen vor, Israel zu warnen, dass im Falle der Nichterfüllung dieser Forderung die notwendigen Aktionen, einschließlich militärischer Aktionen, eingeleitet werden.“</i><BR /><BR />Gleichzeitig erhielten die sowjetischen Kriegsschiffe im Mittelmeer und die sie begleitenden U-Boote den Befehl, Kurs auf die Küste Syriens zu nehmen.<BR /><BR />Im Weißen Haus herrschte eine äußerst angespannte Atmosphäre. Für Verteidigungsminister <b>Robert McNamara</b> war der Inhalt der sowjetischen Botschaft unmissverständlich:„Mr. President, wenn Sie Krieg wollen, können Sie Krieg haben.“ Johnson: „Nein danke, ich habe schon einen.“ Das war Vietnam.<BR /><BR />Wenige Stunden später stoppten die Israelis in dem von den Syrern verlassenen Kuneitra ihren Vormarsch.<BR /><BR /><BR /><b>Fazit</b><BR /><BR /><BR />Der Krieg hatte von 5. bis 10. Juni gedauert, 6 Tage, die das Leben der Menschen in den beteiligten Staaten vollkommen veränderten. Israel hatte mit der Sinai-Halbinsel, Gaza, der Westbank und Ost-Jerusalem sowie den Golanhöhen das Dreifache seines ursprünglichen Territoriums erobert. Es hatte einen überwältigenden militärischen Sieg über seine arabischen Nachbarn errungen und war zur Militärmacht Nummer 1 im Nahen Osten geworden. <BR /><BR />Viele sprechen als Konsequenz des Krieges von einer „zweiten Geburt“ Israels, das jetzt auch noch Besatzungsmacht geworden war. Und im besetzten Gebiet, das viele Juden als „befreit“ bezeichneten, wurden von nun an jüdische Siedlungen errichtet.<BR /><BR />Auf ihrer Konferenz in Khartum vom 29. August bis 1. September gaben die arabischen Staatschefs ihre Antwort auf die Niederlage: ein dreifaches Nein: Nein zum Frieden mit Israel, nein zur Anerkennung Israels und nein zu Verhandlungen mit Israel.<BR /><b>Kurt Waldheim</b>, damals Österreichs Vertreter bei den Vereinten Nationen und später zehn Jahre Generalsekretär der UNO, machte sich damals Gedanken über den israelischen Sieg. Am Schluss seiner Analyse meinte er: „Israel hat sich durch seinen Sieg über die arabischen Staaten mil<i>itärische Sicherheit auf lange Sicht geschaffen. Von einer politischen Lösung seiner Existenzfrage dürfte es jedoch weiter entfernt sein denn je.“</i> Das war. keine schlechte Voraussage. Sechs Jahre später stand Israel im Yom Kippur-Krieg am Rande des Abgrunds.<BR /><BR /><BR /><b>Zum Autor:</b><BR />Rolf Steininger war langjähriger Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck; www.rolfsteininger.at// auf YouTube unter Rolf Steininger<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="776012_image" /></div> <BR /><BR /><b>Buchtipp</b><BR />Rolf Steininger, Die USA, Israel und der Nahe Osten. Von 1945 bis zur Gegenwart, Olzog Edition, Lau-Verlag 2022, 445 Seiten, 43 Fotos, 1 Karte, € 37,50.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />