Der Inhalt seiner Rede war lange Zeit öffentlich nicht bekannt. Es gab keinen Redetext, was eher ungewöhnlich war, Aufzeichnungen und Notizen sollten offiziell nicht gemacht werden. Sie wurden dennoch gemacht: Es gibt 3 Überlieferungen der Hitler-Rede. <h3> Die Vorgeschichte</h3>In den ersten Tagen nach seiner Ernennung zum Reichskanzler ließ <b>Adolf Hitler</b> keine Gelegenheit aus, um sich der Welt als <i>„Friedensfürst“</i> darzustellen. In der Regierungserklärung am 1. Februar unterstrich er seine Friedensliebe mit den Worten, dass sich die Regierung der Pflicht bewusst sei, mit <i>„einem freien und gleichberechtigten Volk für die Erhaltung und Festigung des Friedens einzutreten dessen die Welt heute mehr Bedarf, als je zuvor.“</i> Die Aufrüstungsfrage wurde nur negativ angeführt, die Regierung <i>„wäre beglückt, wenn die Welt durch eine Beschränkung ihrer Rüstungen eine Vermehrung unserer eigenen Waffen niemals mehr erforderlich machen würde“.</i><BR /><BR />Am 17. Mai setzt er noch einen drauf. In seiner berühmten <i>„Friedensrede“</i> im Reichstag betonte er: <BR /><i><BR />„Indem wir in grenzenloser Liebe und Treue an unserem eigenen Volkstum hängen, respektieren wir die nationalen Rechte auch der anderen Völker aus dieser selben Gesinnung heraus und möchten aus tiefinnerstem Herzen mit ihnen in Frieden und Freundschaft leben. Wir kennen daher auch nicht den Begriff des Germanisierens. Die geistige Mentalität des vergangenen Jahrhunderts, aus der heraus man glaubte, vielleicht aus Polen und Franzosen Deutsche machen zu können, ist uns genau so fremd, wie wir uns leidenschaftlich gegen jeden umgekehrten Versuch wenden. Wir sehen die europäischen Nationen um uns als gegebene Tatsache. Franzosen, Polen, usw. sind unsere Nachbarvölker, und wir wissen, dass kein geschichtlich denkbarer Vorgang diese Wirklichkeit ändern könnte.“</i><BR /><BR />Diese Reden verfehlten ihre Wirkung nicht. Die Friedensphrasen wurden von breiten Schichten der deutschen Bevölkerung und großen Teilen des politischen Auslandes geglaubt. Dabei war alles eine große Lüge. Als ein Beweis gilt die Rede, die Hitler am Abend des 3. Februar 1933 vor den Spitzen der Reichswehr hielt, in der er in seltener Offenheit seine wirklichen Ziele darlegte. Auch die <i>„Germanisierung“</i> kam vor – allerdings anders als am 17. Mai. Die Rede ist ein historisches Schlüsseldokument, das eine Kontinuität in Hitlers Denken offenbart und alle Elemente enthält, die zum Krieg zwecks <i>„Eroberung neuen Lebensraumes im Osten“</i> führen. Sie zeigt gleichzeitig die Bereitschaft der Generalität, diesen Weg von Anfang an mitzugehen.<BR /><BR /><b>General Kurt von Hammerstein-Equord</b> (im Bild unten), der Chef der Heeresleitung, hatte Hitler zu einem Abendessen in seiner Privatwohnung eingeladen, das anlässlich des 60. Geburtstags von Reichsaußenminister <b>Konstantin von Neurath</b> stattfand.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="860405_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />Neben den Befehlshabern des Heeres und der Marine, waren <b>Reichswehrminister Werner von Blomberg</b> und <b>Walter von Reichenau</b>, Chef des Ministeramts, sowie zahlreiche andere Generäle eingeladen, die sich anlässlich einer Befehlshaberbesprechung am selben Tag in Berlin befanden. Am Ende nahmen etwa 25-30 Personen an dieser Veranstaltung teil. Nach dem Essen hielt Hitler eine etwa zweieinhalbstündige Rede, die sich in 3 Begriffen zusammenfassen lässt: Beseitigung der Demokratie, Aufrüstung und Krieg. Erstmals verkündete er sein Expansionsprogramm zur Gewinnung von sogenanntem Lebensraum im Osten.<h3>Die Überlieferung</h3>Das Treffen Hitlers mit der Reichswehrführung war kein Geheimnis, war es doch sogar im „Völkischen Beobachter“, der NSDAP-Parteizeitung, erwähnt worden. Der Inhalt seiner Rede war dagegen lange Zeit öffentlich nicht bekannt. Es gab keinen Redetext, was eher ungewöhnlich war, Aufzeichnungen und Notizen sollten offiziell nicht gemacht werden. Sie wurden dennoch gemacht: Es gibt 3 Überlieferungen der Hitler-Rede. <BR /><BR />Zu nennen ist zuerst Generalleutnant <b>Kurt Liebmann</b>, Kommandeur des Wehrkreises V (Stuttgart), der entweder schon während der Besprechung selbst oder unmittelbar danach 2 Seiten umfassende Notizen anfertigte. Diese sogenannte „Liebmann-Aufzeichnung“ wurde 1954 veröffentlicht und galt lange Zeit als einzige Quelle. <BR /><BR />Daneben hatte Hammersteins Adjutant <b>Horst von Mellenthin</b> Notizen gemacht, aus denen eine zweite Überlieferung entstand, die 1999 veröffentlicht wurde. Im Jahr 2000 wurde im Archiv der Kommunistischen Internationale in Moskau eine dritte Quelle entdeckt, die als zeitnächste und zugleich präziseste Überlieferung gilt. Die Entstehungsgeschichte dieses Dokuments ist zwar spekulativ, aber dennoch sehr interessant. <BR /><BR />Noch ein Dritter hatte nämlich Notizen von der Rede gemacht: der Adjutant von Admiral Raeder, <b>Martin Baltzer.</b> Von diesen Notizen hatte höchstwahrscheinlich Hammersteins Tochter <b>Helga</b> eine Abschrift gemacht, die sie als Mitglied der KPD an den kommunistischen Nachrichtendienst weiterleitete und die dann nach Moskau geschickt wurde. Diese <i>„inoffiziell angefertigte Protokollnachschrift“ </i> wurde 2001 veröffentlicht, bestätigte im wesentlichen die ersten beiden Überlieferungen, war aber doppelt so umfangreich wie die Liebmann-Aufzeichnung – etwa 4 Seiten.<h3>Inhalt der Rede</h3>Laut dieser letzten Quelle sprach Hitler die ersten Worte <i>„gesetzt dann in immer größerer Ekstase über den Tisch gelegt, gestikulierend“.</i> Die markantesten Stellen habe er <i>„nach Art seiner Agitationsreden bis zu 10 mal wiederholt“.</i><BR /><BR />Er begann mit der Feststellung, das Ziel der Gesamtpolitik sei „allein die Wiedergewinnung der politischen Macht“. Im Inneren heiße das <i>„völlige Umkehrung der gegenwärtigen innenpolitischen Zustände in Deutschland. Keine Duldung der Betätigung irgendeiner Gesinnung, die dem Ziel entgegensteht (Pazifismus!). Wer sich nicht bekehren lässt, muss gebeugt werden. Ausrottung des Marxismus mit Stumpf und Stiel. […] Ertüchtigung der Jugend und Stärkung des Wehrwillens mit allen Mitteln... Straffst autoritäre Staatsführung. Beseitigung des Krebsschadens der Demokratie!“</i><BR /><BR />Den Aufbau der Wehrmacht bezeichnete er als wichtigste Voraussetzung für die Erreichung des Ziels: Wiedererrichtung der politischen Macht: <i>„Allgemeine Wehrpflicht muss wieder kommen.“</i> Eine Verquickung von Heer und SA, wie etwa in Italien, sei nicht vorgesehen: <i>„Die Entwicklung in Deutschland wird anders sein als die des italienischen Faschismus. Wir werden genauso den Marxismus niederschlagen wie er. Aber unser Verhältnis zur Armee wird ein anderes sein. Wir werden der Armee zur Seite stehen und mit der Armee und für die Armee arbeiten.“</i><BR /><BR />Die Reichswehr müsse allerdings überparteilich und unpolitisch sein: <i>„Der Kampf im Innern ist nicht Ihre Sache, sondern die der Nazi-Organisation.“ </i> Für den inneren Kampf habe er sich seine eigene Waffe geschaffen, die Armee sei nur da für außenpolitische Auseinandersetzungen. Die gefährlichste Zeit sei die des Aufbaus der Wehrmacht; Übergangszeit <i>„sehr gefährlich. Da wird sich zeigen, ob Fr[ankreich] Staatsmänner hat, wenn ja, wird es uns Zeit nicht lassen, sondern über uns herfallen (vermutlich mit Osttrabanten).“ </i> Darum sei <i>„größte Beschleunigung am Platze“.</i> Er erstrebe <i>„die gesamte politische Macht. Ich setze mir die Frist von 6–8 Jahren, um den Marxismus vollständig zu vernichten.“</i> Was werde dann geschehen?<BR /><i><BR />„Dann wird das Heer fähig sein, eine aktive Außenpolitik zu führen, und das Ziel der Ausbreitung des Lebensraumes des deutschen Volkes wird auch mit bewaffneter Hand erreicht werden. Das Ziel würde wahrscheinlich der Osten sein. Doch eine Germanisierung der Bevölkerung des annektierten bzw. eroberten Landes ist nicht möglich. Man kann nur Boden germanisieren. Man muss […] rücksichtslos einige Millionen Menschen ausweisen.“</i> Und an anderer Stelle: <i>„Eroberung neuen Lebensraums im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung.“</i><h3>Bewertung</h3>Hitler wusste, dass er seine außenpolitischen Ziele ohne die Reichswehr niemals hätte verwirklichen können. Nur die Reichswehr hätte sich ihm auch im Innern in den Weg stellen können. Sein Ziel war von Anfang an, sie für sich zu gewinnen. Aufrüstung empfanden die Militärs als nationales und notwendiges Werk, an dem sie auch beruflich interessiert waren: mehr Planstellen und bessere Aufstiegsmöglichkeiten. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="860408_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />Die Ernennung von <b>Blomberg</b> (im Bild oben) zum Reichswehrminister, der mit den Nationalsozialisten sympathisierte, war ein glücklicher Zufall für Hitler. Das Angebot Hitlers, Aufrüstung, allgemeine Wehrpflicht, keine Verquickung von Heer und SA und die Forderung nach einer überparteilichen und unpolitischen Reichswehr, die die inneren Angelegenheiten der SA überlassen sollte, hatten Blomberg und <b>Reichenau</b> (im Bild unten), der neue Chef des Ministeramts, schon vor dieser Rede Hitlers angenommen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="860411_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />Die Generäle waren teilweise über diesen Kursschwenk informiert worden. Als sie Hitler nach dessen Rede einfach gehen ließen und keinerlei Opposition erkennbar war, sahen Blomberg und Reichenau ihre neuen Kurs als gebilligt an – und offensichtlich auch die in diesem Zusammenhang von Hitler in dieser Rede genannten außenpolitischen Ziele: Angriffskrieg zwecks Eroberung und Germanisierung von Lebensraum im Osten. <BR /><BR />Diese Rede zeigt auch, dass Hitler nicht erst in späteren Jahren den Entschluss zum Krieg fasste, sondern schon von Beginn seiner Regierungstätigkeit auf dieses Ziel hin arbeitete. Warum er seine Zukunftspläne in so brutaler Offenheit dargelegt hatte, lässt sich nicht genau beantworten, möglicherweise <i>„nur aus dem Gefühl des Triumphes unmittelbar in der Stunde des endlich errungenen Machtbesitzes“,</i> wie der <b>Historiker Paul Kluke</b> vermutet hat. Hitler hat später einmal geäußert, dass dies eine seiner schwierigsten Reden gewesen sei, da er die ganze Zeit wie gegen eine Wand gesprochen habe.<BR /><BR />In der Abschrift des kommunistischen Nachrichtendienstes heißt es, nach Meinung der Generale sei Hitlers Rede sehr logisch und theoretisch gut, überzeugend betreffend der innenpolitischen Probleme, außenpolitisch wenig klar gewesen. Klarer hätte die außenpolitische Botschaft der Rede allerdings gar nicht sein können: Krieg zwecks Eroberung von Lebensraum. Im Grunde war diese Rede eine Zusammenfassung von Hitlers <i>„Mein Kampf“</i> und seinem zweiten Buch von 1928. Erstaunlich war eigentlich nur, dass Hitler die NS-Judenpolitik nicht erwähnte. <BR /><BR />Nach 1945 spielten die Generäle die Bedeutung des außenpolitischen Teils der Hitler-Rede herunter, um von der Eigenverantwortung abzulenken. Immer wieder wurde ein General zitiert, der nach der Rede das Schillerwort <i>„Stets war die Rede kecker als die Tat“</i> zitiert haben soll. Tatsache bleibt: am Abend dieses 3. Februar 1933 wurde das Bündnis zwischen Hitler und dem Militär besiegelt.<h3> Zum Autor</h3>Rolf Steininger war langjähriger Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck; www.rolfsteininger.at<BR /><BR /><BR /><BR />