Gruber wollte die internationale Absicherung der Autonomie. Dafür musste er einen Preis zahlen, nämlich:<BR /><BR /><b>a)</b> auf die Forderung nach Selbstbestimmung und Rückkehr Südtirols nach Österreich verzichten, was natürlich nicht öffentlich geschehen konnte, obwohl das Abkommen genau dieses bedeutete und was manche in Nordtirol, aber auch in Südtirol und Wien nicht akzeptierten. Für sie war das Abkommen nur eine Übergangslösung.<BR /><b>b)</b> das akzeptieren, was De Gasperi bereit war zu geben, wollte er nicht mit leeren Händen aus Paris zurückkehren. Wäre er unter Protest aus Paris abgereist – was wohl möglich gewesen wäre –, dann wären die Südtiroler völlig schutzlos geblieben. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677144_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>Die territoriale Abgrenzung</b><BR /><BR /><BR />Um sein Ziel zu erreichen, spielte Gruber zeitweise ein gewagtes Spiel. Das wird nirgends so deutlich wie bei der Frage der territorialen Abgrenzung des Autonomiegebietes. Die Ausgangspositionen der Italiener, Österreicher und Südtiroler in Paris waren in diesem Punkt völlig klar. <BR /><BR />In dem vom Bozner Präfekten <b>Silvio Innocenti</b> ausgearbeiteten Plan sollten Südtirol und Trentino ein miteinander verbundenes Autonomiegebiet bilden. Damit aber wären die Südtiroler von vornherein in eine Minderheit geraten, und zwar in einem solchen Maße, dass es nicht länger möglich gewesen wäre, von einer echten Autonomie für Südtirol zu sprechen (200.000 Südtiroler gegenüber 500.000 Italienern).<BR /><BR /><BR />De Gasperi, selbst Trentiner, hatte, und das war bekannt, seinen Landsleuten – die separatistische Tendenzen hegten – eine Autonomie versprochen und wünschte daher aus innenpolitischen Gründen ein Zusammengehen oder gar eine Vereinigung der Provinzen Bozen und Trient.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677147_image" /></div> <BR />Laut <b>Botschafter Nicolò Carandini</b> hat Gruber Carandinis Vorschlag akzeptiert, der dann auch so ins spätere Abkommen übernommen wurde und folgendermaßen lautete: „<i>Der Rahmen [„frame“] für die Anwendung dieser Autonomiemaßnahmen wird in Beratung auch [„also“] mit einheimischen deutschsprachigen Repräsentanten festgelegt werden.“</i> Gruber wollte lediglich das Wort „auch“ („also“) gestrichen haben. Carandini verwies auf die Verfassunggebende Versammlung, die logischerweise als erste zu beraten habe, und dann würden zusammen mit den italienischsprachigen Gruppen „auch“ deutschsprachige Vertreter konsultiert. Dem habe Gruber zugestimmt.<BR /><BR /><BR /><b>Frühstück in Paris</b><BR /><BR /><BR />Gruber gab am 24. September in Paris in einem privaten Saal des Restaurants „Drouant“ ein Frühstück für Carandini, an dem auch die Botschafter <b>Schmid, Bischoff</b> und <b>Wimmer</b> – <b>Carandini</b>: <i>„Zeugen aller unserer Vereinbarungen“</i> – teilnahmen. Carandini berichtete Generalsekretär Prunas am nächsten Tag, was geschah:<BR /><BR /><i>„Ich hatte Gelegenheit, in völliger und absoluter Offenheit noch einmal den Sinn unserer Vereinbarung und den Willen, mit dem diese geschlossen wurde, klarzustellen. Ich sagte zu Gruber und den anderen:</i><BR /><BR /><b>1.</b> Wir haben ein Abkommen unilateralen Charakters unterzeichnet, mit dem wir uns verpflichten, die Autonomie zu gewähren, ohne dafür eine ausdrückliche Verzichtserklärung eurer territorialen Ansprüche zu verlangen. Dies geschah, um Euch gegenüber Eurer nationalistischen öffentlichen Meinung nicht in eine schwierige Lage zu bringen. Es stimmt, dass Euer Verzicht aus der Tatsache hervorgeht, dass Ihr auf der Konferenz jeden vorhergehenden Anspruch fallengelassen habt. Es stimmt, dass der Einschluss unseres Abkommens in den Friedensvertrag die italienisch-österreichische Frage, die sich auf der Konferenz aufgrund eines territorialen Anspruchs ergeben hat und sich eben dort durch die Gewährung einer Autonomie für die betreffende Minderheit gelöst worden ist, zu einer internationalen Angelegenheit macht. Aber was ist Eure Überlegung?<BR />Gruber erklärte mir: „An dem Tag, an dem die Autonomiefrage geregelt ist und damit die Wünsche der deutschsprachigen Minderheit befriedigt sind, wird der Fall Südtirol für Österreich abgeschlossen sein.“<BR /><BR /><BR /><b>2.</b> Was die territoriale Ausdehnung betrifft, wies ich (ich muss mich schon zwingen, zum x-tenmal auf dieses Thema zurückzukommen) auf die Notwendigkeit hin – zumal es sich um eine Frage handelt, bei der ich selbst mitverantwortlich bin –, noch einmal von ihm zu hören, dass es keine Missverständnisse darüber gibt, dass diese Frage offengelassen wurde. Ich wollte eine letzte Erklärung, um sie Ministerpräsident De Gasperi mitzuteilen. Gruber gab mir eine ausführliche und klare Zusicherung und wiederholte, dass die Entscheidung von uns abhänge und dass er sich dafür einsetzen wolle, dass die Dinge möglichst ohne Probleme und in gutem Einvernehmen entschieden würden. Er bat mich, ihn aus taktischen Gründen eine Zeitlang gegenüber seiner eigenen, nationalistisch eingestellten Öffentlichkeit nicht in Verlegenheit zu bringen, indem er offen eine Verpflichtung anerkennen müsste, die er, obwohl sie sich deutlich aus der angewandten Formel 'im Rahmen...' ergibt, akzeptiert hatte, weil er auf unsere Diskretion vertraute. Und dies alles sagte er in sehr kategorischem Ton. Wenn ich ihm nun unter diesen Bedingungen einen Brief schreiben würde, er möge in der einen oder anderen Weise öffentlich seine Erklärung bekräftigen, würde ich ihn nicht nur in die Verlegenheit, sondern vielleicht auch in die Zwangslage bringen, mir eine vage Antwort geben zu müssen, die über den Inhalt des Unterzeichneten Vertrages nicht hinausgehen würde, die ihn darüber hinaus nicht verpflichten und ihn nicht direkten internen Angriffen aussetzen würde, was es aber im gemeinsamen Interesse zu vermeiden gilt.“ <BR /><BR /><BR />Gruber antwortet den Südtirolern<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="676871_image" /></div> <BR /><b><BR /><BR />Otto von Guggenberg</b>, einer der 3 Südtiroler Vertreter in Paris, hatte ähnliche Probleme wie <b>Prunas</b> – allerdings aus anderen Gründen. Auch er wollte es genau wissen und hatte Gruber am <TextHBlau>23. September</TextHBlau> gebeten, seine Zusicherungen schriftlich zu formulieren, „da ein mündliches Weitergeben unsererseits leicht zu Irrtümern und vor allem zu Anzweiflungen führen könnte“. Und so schrieb Gruber am <TextHBlau>24. September,</TextHBlau> nach dem Frühstück mit Carandini, einen inzwischen berühmten Brief an von Guggenberg. Die entscheidenden Sätze darin lauteten, er, Gruber, habe De Gasperi erklärt:<BR /><i>„Jede Lösung, die die freie und von Druckmitteln unbeeinflusste Zustimmung der Südtiroler fände, werde auch in Österreich gutgeheißen werden.Wir müssten aber trotzdem verlangen, dass der Wortlaut so gefasst werde, dass eben die Ausdehnung dieser Autonomiegrenzen einer Zustimmung der Südtiroler bedürfe. Wir einigten uns schriftlich auf das Wort 'frame', dessen Sinn durch die Unterredung klargestellt ist, wenn man es mit dem im selben Satz vorkommenden Wort 'consultation' in Zusammenhang bringt.“</i><BR /><BR /><BR /><b>Grubers Gründe für das Abkommen</b><BR /><BR /><BR />In Innsbruck nannte Gruber 2 Tage später in einer Aussprache mit Vertretern Nord- und Südtirols 3 Gründe für direkte Verhandlungen und den Abschluss mit Italien, und zwar:<BR /><b>1.</b> Im Falle eines Bruches mit Italien hätte STirol seitens Österreich durch mindestens 2 Jahre nicht auf eine Hilfe oder Unterstützung rechnen können, da ja Österreich selbst um seine Existenz kämpfen muss. Dazu braucht es aber die Großmächte, die im Falle eines Bruches gegen Österreich eingestellt gewesen wären. In STirol, das dann auf Gnade und Ungnade den Italienern ausgeliefert gewesen wäre, hätte es in der Folge sicherlich eine Spaltung in der Partei gegeben, da ein Flügel derselben bestimmt die Mitarbeit mit den Italienern gesucht hätte.<BR /><BR /><b>2.</b> Es ist richtig, dass man mit einem flammenden Protest nach Hause fahren und diesen Protest nach 2 – 3 Jahren vielleicht hätte erneuern können, doch inzwischen wären in Südtirol Dinge geschehen, die die Lage für die Zukunft nicht erleichtert hätten. Durch den Vertrag ist den Südtirolern ein gewisser Lebens- und Freiheitsstandard gesichert worden – freilich weiß er, dass jeder Vertrag, wenn der gute Wille fehlt, nur ein Fetzen Papier ist. Wir haben für uns aber den Druck der öffentlichen Meinung auf Italien.<BR /><BR /><b>3.</b> Jedenfalls bietet der Vertrag:<BR /><b>a)</b> wird ein Lebensmodus gefunden; die weitere Existenz der Südtiroler wird gesichert und für später alle Entwicklungsmöglichkeiten;<BR /><b>b)</b> kommt eine gegenseitige Verständigung in STirol nicht zustande, so kann später eingegriffen werden, dann kann man an ein internationales Forum appellieren – jedenfalls bietet der Vertrag ein Ausgangspodium.<BR /><BR />Er glaube übrigens, wenn dieser Geist, in dem das Abkommen geschlossen wurde, die weiteren Verhandlungen beherrschen wird, es möglich sein wird, eine Beruhigung zu erzielen. Der Weg Italiens zur Wiedergewinnung seiner Großmachtstellung führt über Österreich, daher muss es ein gutes Verhältnis zu Österreich suchen. Er habe immer erklärt, dass Österreich zur Mitarbeit bereit sei, falls die Südtiroler sich in Italien zufrieden fühlen. Dies wurde oft vor Carandini wiederholt.<BR /><BR />Die Südtiroler Frage hat jetzt eine Basis. Wenn dieselbe auch schwach sein mag, so hat man sie doch international verankert, sie ist jedenfalls jetzt juristisch entstanden, was bisher nicht der Fall war.“ <BR /><BR /><BR /><b>Der Geist des Abkommens</b><BR /><BR /><BR />De Gasperis Unterschrift offenbarte ein Stück europäischer Gesinnung – zumindest schien es damals so. Die Realität sah dann allerdings anders aus: Die Italiener entzogen sich in der Folgezeit zur Enttäuschung der Südtiroler und Österreicher der damit übernommenen Verpflichtung. Sie legten das Abkommen äußerst restriktiv aus. Das begann mit der Bildung der Autonomie. SVP-Vertreter wurden nur mehr zu Diskussionen über die Ausgestaltung des Autonomiestatuts nach Rom geladen, nicht aber zu Beratungen zur Autonomie selbst. Dabei waren sie in dem entsprechenden Gremium der Verfassunggebenden Versammlung nicht einmal vertreten (die Provinz Bozen war zur Wahl der Costituente am 6. Juli 1946 nicht zugelassen worden; im 18-köpfigen Verfassungsausschuss für die Region mit Sonderstatut hatte sie ebenfalls weder Sitz noch Stimme).<BR /><BR /><BR />In einem Brief Grubers an De Gasperi vom 10. Januar 1948 teilte dieser dem italienischen Regierungschef mit, dass er der SVP geraten habe, die Region Trentino-Alto Adige unter der Voraussetzung der Annahme der Mindestforderung zu akzeptieren, verhehlte aber nicht seine Enttäuschung darüber, dass nach Wiener Sicht die getroffene Entscheidung nicht dem Geist des Pariser Abkommens entspreche.<BR /><BR /><BR /><b>In der nächsten und letzten Folge: Südtirols Magna Charta</b><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677150_image" /></div> <BR /><Fett><BR />Buchtipp:</Fett><BR />Rolf Steininger, Autonomie oder Selbstbestimmung? Die Südtirol- frage 1945/46 und das Gruber- De Gasperi-Abkommen, Studienverlag Innsbruck 2006, 405 Seiten<BR /><Fett>Bestellen:</Fett> www.athesiabuch.it