Anfang 1959 waren die Südtirolgespräche zwischen Italien und Österreich in eine Sackgasse geraten. Die Bundesregierung in Wien betrachtete die Entwicklung mit größter Sorge. Man hatte den Eindruck, als ob Italien nicht bereit sei, die anstehenden Probleme bilateral lösen zu wollen und hoffte auf die USA als Vermittler in diesem Streit. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="791135_image" /></div> <BR /><BR />Am 27. April plädierte der italienische Botschafter in Wien, <b>Guidotti,</b> bei Außenminister <b>Pella</b> mit Nachdruck dafür, <i>„jetzt, in der dreizehnten Stunde“,</i> noch etwas zu tun, um mit einigen <i>„gewagten“</i> Maßnahmen zu einem Abkommen mit Österreich zu kommen. Und er warnte vor dem, was kommen könnte: Hinter der Forderung nach Autonomie, <i>„und in der Hoffnung, dass wir sie zurückweisen werden, steht die Forderung – jetzt noch in verdeckter Form – nach der Selbstbestimmung.“</i> Möglicherweise wusste er, was Staatssekretär <b>Gschnitzer</b> als <i>„Endziel“</i> genannt hatte: die <i>„komplette Rückgliederung“</i> Südtirols.<BR /><BR /><BR />Die Regierung Segni/Pella hatte allerdings bereits eine andere <i>„gewagte“</i> Entscheidung getroffen, um genau das zu verhindern: Mit Washington hatte sie ein <i>„Abkommen über die Errichtung von Abschussbasen für weitreichende Raketen“</i> geschlossen. <BR /><BR /><BR />Damit würde Italien das erste NATO-Land Kontinentaleuropas sein, in dem entsprechende Basen errichtet werden konnten. Mit diesem raffiniertem Schachzug hatten sie die Südtirolfrage in eine völlig neue Richtung gelenkt. Österreichs Botschafter in Moskau, <b>Norbert Bischoff</b>, wusste, wo diese Basen errichtet werden sollten, in Südtirol. Und mehr noch: <i>„Die Aufstellung von NATO-Raketenbasen in Südtirol ist aus dem Stadium der Planung in das der Verwirklichung getreten“</i>, wie er am 19. April nach Wien berichtete.<BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="791138_image" /></div> <BR />Die USA waren hocherfreut über die italienische Entscheidung. Der stellvertretende Direktor für westeuropäische Angelegenheiten im State Department, <b>Turner C. Cameron</b>, äußerte sich am 23. April gegenüber Botschafter <Fett>Platzer,</Fett><i>„spontan, wie sehr die amerikanische Regierung den Beschluss Italiens über die Errichtung von Abschussrampen für weitreichende Raketen begrüße“;</i> die Regierung Segni habe diese <i>„erfreuliche Entscheidung trotz der lebhaften Opposition der Parteien der Linken getroffen“.</i><BR /><BR />Im Senat sprach der republikanische Senator von Massachusetts, <Fett>L. Saltonstall</Fett>, von einer <i>„weisen und mutigen“</i> Entscheidung der Regierung und bezeichnete sie als einen <i>„Akt der westlichen Solidarität“</i>, mit dem die Bedeutung Italiens in internationalen Fragen zunehme.<BR /><BR /><b>Südtirol erhält strategische Bedeutung</b><BR /><BR />Botschafter <b>Bischoff</b> interpretierte die Aufstellung der Raketen in Südtirol in erster Linie als Absicht der NATO-Führung, im Ernstfall auch die österreichische militärische Neutralität als <i>„einen Fetzen Papier“</i> zu betrachten und zu verletzen. Im gesamten Gebiet der Warschauer Pakt-Mächte sah er kein einziges Ziel, das nicht von anderen, bestehenden oder in den Ländern der süd-östlichen NATO-Partner zu errichtenden Basen aus auf kurze Distanz ohne Verletzung der Neutralität Österreichs und <i>„ohne virtuelle Todesbedrohung“</i> des Großteils der österreichischen Bevölkerung beschossen werden konnte.<BR /><BR />Den alles entscheidenden Zusammenhang mit der Südtirolfrage sah Bischoff nicht. Denn mit Italiens Entscheidung für Atomraketen in Südtirol erhielt dieses Gebiet für die USA strategische Bedeutung im Kalten Krieg. Dessen Rückkehr zum neutralen Österreich war damit ausgeschlossen, zumal politische Neutralität im Kalten Krieg im Verständnis Washingtons sowieso asozial („anti social“) war. Wer damals in Tirol dennoch glaubte, eine solche Rückkehr mit Bomben erreichen zu können, litt unter Realitätsverlust.<BR /><BR />Washington stand von nun an hundertprozentig an der Seite Italiens, wenn es um Südtirol ging. Genau das war der Sinn der italienischen Entscheidung.<BR /><BR />Mitte April wurde aus Rom gemeldet, dass die NATO-Basen im vorderen Pustertal, auf der Plose und in Margreid errichtet werden sollten, wobei es im italienischen Generalstab angeblich einen Streit darüber gegeben hatte, dass der Raum Südtirol aus politischen Gründen gewählt worden sei, aber in militärischer Hinsicht ungünstig sei, da Apulien (Kontrolle von Albanien usw.) und Friaul viel Zweck entsprechender wären.<BR /><BR /><b>Innsbruck erkennt das Problem</b><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="791141_image" /></div> <BR /><BR />Botschafter Bischoff hatte von Wien zwar einen Protest im Hinblick auf die Auswirkungen auf Österreich gefordert, nicht aber im Hinblick auf die Südtirolfrage. Eine solche Forderung kam jetzt allerdings aus Innsbruck. Dort hatte die Leiterin des Referats S der Tiroler Landesregierung, <b>Viktoria Stadlmayer</b>, die Intentionen der italienischen Regierung nämlich richtig erkannt. Sie hielt es für <i>„wirklich dringend notwendig“,</i> den USA klarzumachen, dass es sich in Südtirol um ein umstrittenes und von Unruhen bedrohtes Gebiet handle und dass die Amerikaner selbst es bisher peinlich vermieden hätten, in solchen Gebieten Raketenbasen zu errichten (Marokko usw.). In einem Schreiben an Staatssekretär Gschnitzer vom <TextHBlau>16. April</TextHBlau> meinte sie weiter: <i>„Wenn die Italiener wollen, dass Raketenbasen nach Südtirol verlegt werden, so tun sie das ganz bestimmt aus politischen Gründen, d. h. sie glauben, dass damit dann dieses Gebiet für sie endgültig auf absehbare Zeit gesichert ist, und sie werden dann keinerlei Veranlassung mehr haben, in der Südtiroler Frage entgegenzukommen, d. h. die Lage wird sich wegen der Intransigenz der italienischen Regierung verschärfen. Diese Verschärfung wird indirekt veranlasst durch eine Maßnahme, die von den Amerikanern gebilligt wurde und mit der NATO und Amerika aufs engste verknüpft ist.“</i><BR /><BR /><b>Kein Wiener Protest</b><BR /><BR />Wien protestierte nicht – trotz einer entsprechenden Aufforderung Moskaus. In einer Information des Außenamtes für Außenminister <b>Figl</b> hieß es am Ende einer längeren Erörterung dieser Frage Mitte Mai:<i>„Eine Verquickung der äußerst heiklen und die Grundlage der westlichen Verteidigung berührenden Frage der Errichtung von Abschussbasen in Europa mit dem Südtirolproblem könnte uns leicht die Sympathie von Staaten kosten, deren Unterstützung wir für unser Südtirol-Anliegen dringend bedürfen werden.“</i><BR /><BR />Das Thema wurde dann noch einmal auf der berühmten Geheimsitzung am 1. August 1959 in Innsbruck behandelt. Als der neue Außenminister <b>Kreisky</b> meinte, die Basen würden ja nicht in Südtirol, sondern in anderen Teilen Italiens aufgestellt, widersprach SVP-Generalsekretär <b>Stanek</b> und wies darauf hin, dass in Südtirol bereits entsprechende Planungen vorhanden seien. Er schilderte dann im Detail die Arbeiten auf der Plose: <i>„Dort werden große militärische Vorbereitungen gemacht. So muss von der Gemeinde Brixen eine 300 kW-Stromleitung gebaut werden, eine große Militär-Seilbahn ist zum Bau ausgeschrieben, und Kasernen werden auf der Plose gebaut. Die Italiener hatten in der ersten Zeit erklärt, es handle sich um einen Landeplatz für Artillerie-Beobachtungsflugzeuge, später hieß es, um eine Radarstation; das scheinen aber nur Vorwände zu sein.“</i><BR /><BR />Österreich Botschafter in Rom, <b>Löwenthal,</b> berichtete in dieser Sitzung, er habe sich, als die ersten Meldungen laut geworden seien, die Sache auf der Plose selbst angesehen: „<i>Es handelt sich wirklich um imponierende Anlagen größten Ausmaßes. Sie wurden eventuell vorher für andere Zwecke angelegt, können aber jedenfalls in kürzester Frist in Raketenbasen umgewandelt werden. Die Italiener haben natürlich eine Interessennahme an dieser Sache sofort scharf abgelehnt.“</i> (Wenig später war das gesamte Gelände zum Sperrgebiet erklärt worden.)<BR /><BR />Stanek wies darauf hin, dass diese Anlagen militärische und vor allem verheerende soziale Folgen hätten, <i>„weil sie eine große italienische Zuwanderung mitbrächten und Brixen in kürzester Frist in eine italienische Stadt verwandeln würden.</i>“ Kreisky: <i>„Ich sehe keinen Weg, da etwas zu tun, ohne die Lage zu verschlechtern. Die Russen haben uns ja nahegelegt, etwas dagegen zu tun.“</i> Stanek: <i>„Wegen der Grenznähe der Anlagen wäre ein Protest Österreichs möglich.“</i> Toni Ebner: <i>„Die Grenznähe spielt hier keine Rolle; an der ganzen deutsch-französischen Grenze sind militärische Anlagen.“</i> Kreisky: <i>„Das ist eine sehr schwere Frage, wir haben da kein Argument.“</i><BR /><BR /><b>Die USA an der Seite Italiens</b><BR /><BR />Auch Kreisky protestierte nicht, weder in Washington noch in Rom. Österreich verhielt sich <Kursiv>„brav“</Kursiv>, wie es an anderer Stelle einmal hieß. Es erhielt dafür allerdings weder Dank noch Sympathie – im Gegenteil. Ende des Jahres scheiterten sämtliche Bemühungen, die USA als Vermittler in der Südtirolfrage zu gewinnen. Symptomatisch war die Haltung von Botschafter <b>H. Freeman Mathews</b> in Wien: Die amerikanische Regierung habe so viele ernste Verpflichtungen auf sich genommen, dass sie sich nicht noch mit einer weiteren belasten könne. Das Schicksal der 250.000 Südtiroler sei, so traurig es auch vielleicht sein möge, nicht zu vergleichen mit dem Schicksal der Millionen, die unter kommunistischer Herrschaft lebten. Die Südtirolfrage werde jedenfalls zu keinem Krieg führen, während bei so vielen anderen Problemen eine wirkliche Kriegsgefahr bestünde. Eine Vermittlung käme doch immer nur dann in Betracht, wenn von beiden Seiten darum gebeten werde. Im Falle Südtirol sei die Bitte jedoch nur von einer Seite erfolgt. Der andere Vertragspartner, mit dem die amerikanische Regierung obendrein militärisch verbunden sei, habe darum nicht gebeten. In der Südtirolfrage war Österreich in eine Sackgasse geraten.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="791144_image" /></div> <BR />In der Debatte in der UNO im Oktober 1960 stellte sich dann die US-Vertreterin in solch massiver Weise an die Seite Italiens, dass sich die „kleinen“ Staaten gegen die „großen“ verbündeten und die berühmte Resolution 1497 ermöglichten. Und in Wien notierte Generalsekretär <b>Bielka</b> mit Blick auf die Amerikaner enttäuscht: <i>„Sie haben uns mit dem Hammer auf den Kopf geschlagen.“</i><Rechte_Copyright></Rechte_Copyright><BR /><BR />