Lesen Sie hier die spannende Geschichte der Impfungen und auch Impfgegner im 19. Jahrhundert.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR />Andreas Hofer ist noch immer spannend, auch weil er von verschiedensten Gruppierungen für sich beansprucht wird. Alle jubelten Hofer zu ihrem Helden hoch und vereinnahmten ihn schamlos: die Braunen hängten ihm ein nationales Mäntelchen um, die Roten machten ihn zum Proletarier. Und nun haben auch die Impfgegner ihn als großes Vorbild entdeckt.<BR /><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="635009_image" /></div> <BR /><BR />In Tirol setzte Andreas Hofer zu Beginn des 19. Jahrhunderts in seiner kurzen Herrschaft über das Heilige Land die von der bayerischen Herrschaft eingeführte Pockenimpfungen aus – offenbar auf Anregung seines Mitkämpfers <b>Joachim Haspinger.</b> Der Kapuzinerpater hatte die Vakzinen schon länger bekämpft, wäre doch der reinen und naturwüchsigen Tiroler Seele damit „bayerisches Denken“ eingeimpft worden. <BR /><BR /><BR />Hofers Engagement richtete sich auch gegen Fluch und Segen der napoleonischen Moderne. Seine Tiroler Volkserhebung war eine Revolte dagegen und dazu gehört eben auch die Ablehnung moderner Impfpraktiken. Und so polarisiert der Ander noch immer, spaltet die öffentliche Meinung. Bei allem Verehren und Kritisieren wird bisweilen vergessen, dass Hofer eigentlich eines war: ein Opfer der Geschichte.<BR /><BR /><BR /><b>Widerstand gegen die Vakzination: Ein Politikum</b><BR /><BR /><BR />Von Andreas Hofer zu Boko Haram, von Kant zu Gandhi und von dort in die Innenstädte Europas und Südtirols zu Aufmärschen von Querdenkern, die sich allesamt zu Opfern einer vermeintlichen Impf-Diktatur hochstilisieren. Beim Impfen ging es nie nur um den Pieks, sondern immer auch um Weltbilder. Impfen als Politikum – weil es mit dem eigenen Körper, dem sozialen Umfeld und dem Staat zu tun hat. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="635012_image" /></div> <BR /><BR />Als im Jahre 1874 in Deutschland das sogenannte Reichsimpfgesetz erlassen wurde, weil in ganz Europa immer mehr Menschen an den Pocken erkrankten und allein in Preußen Zehntausende starben, kamen in dieser Zeit die sogenannte Lebensreform-Bewegung in Mode. Impfungen sind für die Bewegung „Teufelszeug“ gewesen, etwas Künstliches, Chemisches, was dem Körper eingespritzt wird. Und schon zu Beginn der ersten Anti-Impfkampagnen spielten antisemitische Klischees und Verschwörungstheorien eine Rolle. Zum Beispiel wurde früh die Vorstellung verbreitet, das Impfen Teil einer jüdischen Weltverschwörung sei; dass man bewusst den deutschen Volkskörper schädigen möchte. Klischees, die abgewandelt immer wieder in rassistischen und antisemitischen Anti-Impf-Tweets und Social-Media-Postings auftauchen.<BR /><BR /><BR /><b>Was eint diese Leute?</b><BR /><BR />Eine Opposition gegen die Werte der Aufklärung, ein Widerwille gegen solidarisches Handeln sowie die Lust am vermeintlichen Entlarven linker Sündenböcke. Die gegenwärtigen Impfgegner schieben unter anderem das Argument einer zu kurzen Entwicklungsdauer des Impfstoffes vor. Dem kann man zwar inhaltlich treffsicher begegnen – und trotzdem das Ziel verfehlen. Ideologen lassen sich nicht von Argumenten beeinflussen, die sie selbst nur zum Schein vorschieben. <BR /><BR /><BR /><b>Erste Impfkampagnen in Deutschland</b><BR /><BR />Schon im 19. Jahrhundert wurde in Deutschland über eine Impfpflicht und über Nebenwirkungen des Impfens diskutiert. Nach dem Sieg der Deutschen im „Deutsch-Französichsen Krieg (1870/71) wurden vorübergehend fast 400.000 französische Gefangene in Deutschland festgehalten. Bis zu 19.000 davon waren in Köln stationiert.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="635084_image" /></div> <BR /><BR />Die Kölner Bürger unternahmen Ausflüge in die Gefangenenlager und bezahlten Eintritt, um die fremden Truppen sehen zu können. Über diesen intensiven Austausch wurde aber auch das Pockenvirus übertragen, das sich in den Gefangenenlagern und dann in der Stadt Köln ausbreitete. Die Behörden appellierten daraufhin an die Bevölkerung, sich „auf der hiesigen Impfanstalt“ impfen zu lassen oder ihre früheren Impfungen aufzufrischen. Der Stadtrat musste jedoch feststellen, dass die Kölner trotz der Epidemie eine „unverantwortliche Gleichgültigkeit“ an den Tag legten. Ein Stadtverordneter erkundigte sich, ob man keine Impfpflicht einführen könne. Der Bürgermeister antwortete jedoch, dafür gebe es keine rechtliche Grundlage. Befürworter einer Impfpflicht wurden als „Impffreunde“ oder „Impffanatiker“ bezeichnet.<BR /><BR /><BR />Obwohl die Wirkung der Pockenimpfung längst bewiesen war, gab es viele Impfgegner – selbst in den Reihen der Ärzte. Der Kölner Arzt Dr. Waegener konnte das nicht begreifen: Natürlich gebe es Nebenwirkungen und „zuweilen tödtliche Zufälle“, schrieb er, aber der Nutzen der Impfung sei doch ungleich größer. „Zwischen zwei Uebeln“ sei stets das kleinere zu wählen, so der Arzt. Insgesamt fielen der Pockenepidemie 1871 in Köln knapp 500 Menschen zum Opfer.<BR /><BR /><BR /><b>Rassismus als Vorwand</b><BR /><BR />Als besondere Attraktion wurden damals übrigens die schwarzen Soldaten aus den französischen Kolonien in Afrika wahrgenommen. Ihnen begegnete man mit einer Mischung aus Faszination und Rassismus. Einige Kölner äußerten offen, dass diese „Bestien“ doch besser im Zoo aufgehoben wären. Andere Kölner und vor allem Kölnerinnen versorgten die Afrikaner dagegen mit Erfrischungen, Kaffee oder Speiseeis, womit sie nationalistisch gesinnte Presseorgane gegen sich aufbrachten.<BR />Bemerkung am Rande: Begehrt waren die Uniformen der Franzosen, die viel farbenprächtiger waren als die der Preußen. Viele Besucher kauften den gefangenen Soldaten Uniformteile ab. Diese wurden später unter anderem als Karnevalskostüme benutzt.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="635018_image" /></div> <BR />Impfungen seien für die Bewegung „Teufelszeug“ gewesen, „etwas Künstliches, Chemisches, was dem Körper eingespritzt wird“, sagt Malte Thießen. „Und das ist auch eine Erklärung dafür, dass sich die massive Impfkritik sogar ins alternative Milieu der Bundesrepublik bis heute fortsetzt“.<BR /><BR /><BR /><b>Die erste Impfung gegen Pocken</b><BR /><BR />Die ersten Impfungen der allgemeinen Bevölkerung in vielen Ländern richteten sich Anfang des 19. Jahrhunderts gegen Pocken und stießen bald mit unterschiedlicher Begründung auf Ablehnung. Die von Impfgegnern vorgebrachten Gründe für eine Ablehnung ähneln denen von heute: Eine angeblich fehlende Wirksamkeit der Impfung (Erkrankung trotz Impfung), die beobachteten Nebenwirkungen, die Auslösung weiterer Erkrankungen, religiöse Beweggründe und die Einschränkung von Persönlichkeitsrechten durch Zwangsimpfungen.<BR /><BR /><BR /><b>Immanuel Kant</b><BR /><BR /><BR />Der Philosoph Immanuel Kant ist gelegentlich als Beispiel einer ethisch begründeten Ablehnung von Pockenimpfungen genannt worden. Kant war allerdings vor allem in seinen späten Jahren kein genereller Impfgegner, sondern lediglich Skeptiker und Kritiker der damals verfügbaren Pockenimpfungen. Dabei waren seine Argumente ausgesprochen differenziert, enthielten auch weltanschauliche Begründungen, die heute schwerlich noch vertretbar sind, und beruhten zudem auf der geringen Sicherheit der damals eingesetzten Pockenimpfstoffe. Außerdem änderte Kant im Laufe seines Lebens seine Meinung zur Pockenimpfung. So bezog er zwar in seiner 1797 veröffentlichten „Metaphysik der Sitten“ noch eher kritisch Stellung zur Pockenimpfung: Wer sich gegen Pocken impfen lasse, der „wagt sein Leben aufs Ungewisse“. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="635021_image" /></div> <BR />Später, in seinem erst postum veröffentlichten Alterswerk, mahnte Kant zwar, man solle „der Vorsehung“, welche übermäßiges Bevölkerungswachstum auch durch Pockenepidemien begrenze, nicht durch Impfungen in den Arm fallen. Pocken und Kriege seien dazu „gelegt“ (bestimmt), das Bevölkerungswachstum zu begrenzen: „Damit Staaten nicht mit Menschen überfüllt werden und man sie in ihrem Keim ersticke: zwey Übel als Gegenmittel in sie Gelegt — die Pocken und den Krieg“. Schutzimpfungen seien zwar „heroische Mittel der Ärzte“. Aber man müsse sich darauf verlassen, dass „die Vorsehung“ in ihrer Weisheit durch Krieg und Pocken eine Überbevölkerung verhindere: „Heroische Mittel der Ärzte sind die, welche auf Tod und Leben oder, was eben so viel ist, auf die Gefahr des Patienten lebenslang krank zu werden dabey gewagt würden (auch nur eine Ansteckung beständig fürchten zu müssen). — Der Weise Gebrauch solcher Mittel kann nicht von einzelnen Menschen, sondern muss von der Vorsehung erwartet werden, welche Krieg und Kinderpocken (und zwar absichtlich) gewollt zu haben scheint, um die große Vermehrung hiedurch einzuschränken.“ <BR /><BR /><BR />Später dagegen hielt Kant sowohl durch die Obrigkeit angeordnete Impfkampagnen gegen Pocken als auch die Hinnahme solcher Impfungen durch die Untertanen für ethisch erlaubt: „ist doch das zweyte mittel, nämlich das der kinderpocken, durch andere Menschen erlaubt: dass namlich die Regierung die Pockeninoculirung durchgängig anbefehle, da sie dann für jeden Einzelnen unvermeidlich: mithin erlaubt ist.“<BR /><BR /><BR /><b>Spirituellen Immunisierung: Ghandi</b><BR /><BR /><BR />Der Sprung zum nächsten Impfgegner ist scheinbar weit: Die indische Unabhängigkeitsikone Mahatma Gandhi schrieb im Jahr 1924: „Der Impfstoff ist eine schmutzige Substanz und es wäre närrisch zu erwarten, dass eine Art Schmutz eine andere entfernen kann.“ Die Krankheit Pocken verklärte der Inder zu einer Art Stahlbad. Sie seien als „eines der besten Hilfsmittel der Natur dafür anzusehen, das im Körper angesammelte Gift loszuwerden und eine normale Gesundheit wiederherzustellen.“ <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="635024_image" /></div> <BR /><BR />Doch Ghandis Weltanschauung kann man nicht auf diesen Satz reduzieren. Auch was die Gesundheit anbelangt hatte er einen ganzheitlichen Zugang: Er war immer bedacht, Körper und Geist als ein vollkommenes Ganzes zu sehen. Sicher war er gegen die Misshandlung von Tieren bei der Herstellung von Impfstoffen. <BR /><BR /><BR /><b>Taliban und Boko Haram: Islamistische Impfgegner</b><BR /><BR /><BR />Auch die islamistischen Taliban hissen die Fahne des Impfverweigertums. Sie vermuten hinter Impfungen eine westlich-jüdische Verschwörung, die Impfstoffe würden die biologische Reproduktion der Rechtgläubigen gezielt stören. Und im Norden Nigerias hatten islamische Würdenträger Impfkampagnen kritisiert. Demnach würden „die Amerikaner“ damit versuchen, junge Frauen unfruchtbar zu machen. Die Impfkampagnen der Regierung mussten in den letzten Jahrzehnten nach Übergriffen der Islamisten von Boko Haram auf Impfteams immer wieder unterbrochen werden. Nigeria, Pakistan und Afghanistan sind die einzigen Länder, in denen die Kinderlähmung nach wie vor endemisch ist. <BR /><BR />