Die Brunecker Direktorin hat auch Vorschläge, wie die Maturaprüfung reformiert werden könnte. Vor allem bei der Deutsch-Arbeit könnte einiges verbessert werden. <BR /><BR /><b>Sind die Oberschüler heute immer größerem Stress und Leistungsdruck ausgesetzt im Vergleich zu früher, als Sie die Matura abgelegt haben?</b><BR />Marlene Kranebitter: Geändert hat sich im Vergleich zu früher der Erfolgsdruck. Heute denken sich die Schüler: Ich muss gut sein, ich muss hervorstechen aus der Menge. Ihnen geht es um das Individuelle, die Einzigartigkeit. Das ist schwieriger geworden und das macht Druck.<BR /><BR /><b>Legen manche Eltern zu viel Wert darauf, dass ihr Sohn/ihre Tochter die Reifeprüfung schafft, weil diese heute als Ausbildungsminimum angesehen wird?</b><BR />Kranebitter: Wir denken noch immer sehr in dieser Hierarchie: Wer Medizin, Rechtswissenschaften oder Wirtschaft an der Universität Bocconi in Mailand studiert, ist nach wie vor in der Gesellschaft besser angesehen als jemand, der eine Lehre absolviert. Die Lehrlinge sind in unseren Köpfen noch immer ganz unten angesiedelt. Maturanten, die das 5. Jahr in der Berufsbildung absolvieren, werden skeptisch betrachtet. Bei den Oberschulen sind das Humanistische Gymnasium, das Realgymnasium und das Sprachengymnasium hoch angesehen, die berufsbildenden Schulen werden hingegen weiter unten eingestuft. Wir urteilen da aber an der Realität vorbei. Denn unsere Gesellschaft braucht gut ausgebildete Fachkräfte mit und ohne Matura. Die Türen öffnen sich auch ohne Matura – mit Matura geht es aber leichter.<BR /><BR /><b>Können Sie da ein Beispiel nennen?</b><BR />Kranebitter: Wir haben in Südtirol eine Fachschule für Handel und Verwaltung in der Berufsbildung. Wenn man die Stellenausschreibungen des Landes im Verwaltungsbereich liest, so ist Matura aber fast immer Voraussetzung.<BR /><BR /><b>Oberschüler, die jetzt die Reifeprüfung ablegen, haben die Pandemie miterlebt und mussten lange Zeit in den Fernunterricht. Wirkt sich die Corona-Zeit auf irgend eine Weise auf die Maturaprüfung aus?</b><BR />Kranebitter: Wir haben an der Hotelfachschule in Bruneck heuer 5 Matura-Klassen, bei denen hat man die Auswirkungen der Corona-Pandemie nicht gespürt. Die Oberschulen hatten die Herausforderungen der Coronazeit relativ gut im Griff. Das liegt in der Natur der Sache. Die Schüler sind älter, selbstständiger.<BR /><BR /><embed id="dtext86-60240670_quote" /><BR /><BR /><BR /><b>Kritiker sagen, die Matura-Prüfung sei in dieser Form veraltet und sollte reformiert werden. Wenn Sie die Matura-Prüfung reformieren müssten, was würden Sie ändern?</b><BR />Kranebitter: Ich glaube, dass es am Ende der Oberschul-Jahre ein Abschluss-Ritual braucht. Das Kolloquium bei der Matura gefällt mir gut. Es wird fächerübergreifend geprüft. Wir sind auf einem guten Weg, dass die Kommissionsmitglieder nicht mehr nur aufs eigene Fach schauen, sondern vernetzt abfragen und prüfen, ob ein Schüler Zusammenhänge herstellen kann. Im Unterricht in den Jahren davor gelingt uns dies noch nicht so gut. Die schriftliche Italienisch-Prüfung bei der Matura erachte ich als angemessen. Ändern würde ich etwas bei der schriftlichen Deutsch-Prüfung.<BR /><BR /><b>Inwiefern?</b><BR />Kranebitter: Diese hat mit 15 Punkten einiges an Gewicht, aber es handelt sich um eine Momentaufnahme. Es gibt Tage, an denen einem das Schreiben schwer fällt. Und: Man kann sich bei der schriftlichen Deutsch-Arbeit nirgends informieren und nirgends nachschauen. So verlangt man von den Schülern zuviel. Dieses Nachschauen und daraus etwas machen, spiegelt die Matura in dieser Form nicht wider. Beim literarischen Thema kommt es noch deutlicher zum Vorschein: Wer den Autor im Unterricht behandelt und sich mit ihm beschäftigt hat, weiß sehr viel mehr. Aber wenn ein Schüler das Gedicht, das bei der Maturaprüfung als Thema zur Auswahl steht, nicht kennt und den Autor ebenfalls nicht oder kaum, dann kann er so ein Thema abhaken. Die schriftliche Deutscharbeit bei der Matura könnte so aufgebaut sein, dass ein Thema vorgegeben wird und den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit gegeben wird, zu recherchieren, sich Informationen zu holen, vielleicht für einen bestimmten Zeitraum, und dass sie dann erst beginnen können, den Text, die Erörterung oder die Stellungnahme zu schreiben.<BR /><BR /><b>Was unterscheidet gute und sehr gute Schüler bei der Matura von Schülern, die Noten zwischen 6 und 7 haben?</b><BR />Kranebitter: Letztere sehen die Prüfung manchmal entspannter als Schüler mit Noten von 8 bis 10: Diese setzen sich mehr unter Druck und messen dem Ergebnis dann mehr Gewicht bei.<BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR /><BR />