Worum es im Nahostkonflikt geht, ob dieser je aufgehoben werden kann oder der Krieg immer schwelen wird, erklärt Professor Steininger im Gespräch.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1075245_image" /></div> <BR /><BR /><b>Herr Professor, Sie haben bereits Bücher über Israel und den Nahostkonflikt veröffentlicht. Nun erscheint „Kein Frieden im Nahen Osten“ – ein neues Buch darüber. Was beabsichtigen Sie damit?</b><BR />Rolf Steininger: Die öffentliche Reaktion auf das Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 und auf den Gaza-Krieg hat eines gezeigt: ein hohes Maß an Unkenntnis über die Geschichte des Nahostkonflikts. Da wird skandiert „From the river to the sea“, ohne den Fluss und die See zu kennen. Alles hat eine Vorgeschichte. Die sollten wir aber kennen. Ich habe sie hier erzählt.<BR /><BR /><BR /><b>Und was ist neu, anders an Ihrer Geschichte?</b><BR />Steininger: „Meine“ Geschichte Israels unterscheidet sich in wichtigen Punkten von anderen Geschichten des Landes bzw. des Nahostkonflikts: Die Erzählung ist zwar wie üblich chronologisch angelegt – Theodor Herzl, Vorgeschichte, Gründung und die nachfolgenden Kriege –, ich lasse dann aber immer wieder die damaligen politischen Beobachter selbst „sprechen“.<BR /><BR /><BR /><b>Wer sind diese Beobachter?</b><BR />Steininger: Bis 1939 die deutschen Generalkonsuln in Jerusalem, bis 1990 die Botschafter Österreichs in Israel. Ihre einst vertraulichen Berichte liefern ganz neue Einblicke in die Geschehnisse jener Zeit.<BR /><BR /><BR /><b>Können Sie uns einige Beispiele nennen?</b><BR /> Steininger: Es gibt wohl kaum eine bessere Beschreibung der Ereignisse in Palästina in den zwanziger und dreißiger Jahren als jene der deutschen Generalkonsuln. Etwa, wenn es um die Probleme der frühen Zionisten in den 1920er Jahren geht – unvergessen der Spruch: <Kursiv>„Wir sitzen hier am Mittelmeer und haben keine Mittel mehr“</Kursiv>, oder <Kursiv>„Afuleh, die erste moderne Ruinenstadt Palästinas“</Kursiv> –, um die blutigen Auseinandersetzungen erst zwischen Arabern und Juden und im arabischen Aufstand 1936 dann Araber gegen Juden und Briten, den britischen Teilungsplan im Jahr 1937, die begeisterten „Heil Hitler“-Rufe Säbel schwingender Araber, die nicht realisierten, dass es gerade Hitlers Politik war, die erst die deutschen und dann ab 1938 auch die österreichischen Juden nach Palästina trieb und die Araber dort mit Kulturgütern „beglückt“ wurden, die sie im Grunde ihres Herzens verachteten. Die Berichte sind zum Teil wirklich drastisch.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1075248_image" /></div> <BR /><b>Wie schaut das mit den Berichten der österreichischen Botschafter in Israel aus?</b><BR />Steininger: Bis 1990 sind die Akten in Wien freigegeben. Ich zeige noch einmal, wie Österreichs erster Diplomat in Israel zum Antisemiten wird, eine wirklich erstaunliche Geschichte, wie ein jüdisch-arabisches Freundschaftstreffen abläuft (auch so etwas gab es trotz aller Feindschaft), wie Ägyptens Verhandlungsphilosophie gegenüber Israel aussieht, wie die Räumung der letzten jüdischen Siedlung auf dem Sinai durchgeführt wird, den Rücktritt von Ministerpräsident <Fett>Begin</Fett>, eine Erkundungsfahrt des österreichischen Botschaftsrates durch die Westbank und Ost-Jerusalem während der Intifada, dem Aufstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung. Es geht auch um die US-Präsidenten, um Israel als global player und, und das war mit ein Anlass für dieses Buch, um das Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023. <BR /><BR /><BR /><b>Kommen wir auf den Titel des Buches zurück. Gab es denn Chancen für den Frieden?</b><BR />Steininger: Ich stelle diese Frage in dem Buch. Gab es Chancen? Und wenn ja, wurden sie vertan? Wurden – und werden — die Palästinenser von den Arabern „verraten“? Gab es zu oft ein „Nein“ von Seiten der arabischen Staaten? Sagten deren Führer auf Englisch „Frieden“ und auf Arabisch „Vernichtung“? <BR /><BR /><BR /><b>Und Israel?</b><BR />Steininger: Ja, wie steht es mit Israel? Auch hier mehr Fragen als Antworten. Wie steht es mit der Besiedlung der Westbank? Siedeln auf jedem im Alten Testament erwähnten Hügel? Als „Philosophie“ Israels? Und welche Rolle haben die amerikanischen Präsidenten gespielt? Nur zugeschaut und Israel um jeden Preis unterstützt? <BR /><BR /><BR /><b>Was ist Ihr Fazit? Gibt es Chancen für den Frieden?</b><BR />Steininger: Ich muss Sie enttäuschen. Nach den Ereignissen der letzten Monate ist der Hass auf beiden Seiten größer denn je. Ein realistischer Plan zur Beendigung des Nahostkonflikts ist nicht zu erkennen. Die Zweistaatenlösung will ich hier gar nicht erwähnen.<BR /><BR /><BR /><b>Warum nicht?</b><BR />Steininger: Weil sie nicht ernsthaft geführt wird. Sie wird von westlicher Seite – und von Jordanien und Ägypten – bei jeder Gelegenheit als Lösung aller Probleme ins Spiel gebracht, ohne allerdings konkret zu werden. Das war schon beim Oslo-Abkommen <TextHBlau>1993</TextHBlau> so. Umstrittene Fragen wie zukünftige Grenzen, der Status Jerusalems, Flüchtlinge, Siedlungen, Sicherheitsregelungen, Beziehungen zu und Zusammenarbeit mit anderen Nachbarn waren in der Vereinbarung ausgeklammert worden; darüber sollte später verhandelt werden. Das war zu einem Zeitpunkt, als es noch keine 700.000 oder 800.00 Siedler in der Westbank und Ost-Jerusalem gab. <TextHBlau>1993</TextHBlau> wurde von den Extremisten auf beiden Seiten abgelehnt. Zur Erinnerung: Israels Regierungschef <Fett>Rabin</Fett> wurde von den eigenen Leuten ermordet.<BR /><BR /><BR /><b>Also kein Frieden?</b><BR />Steininger: Wenn die Extremisten auf arabischer Seite mit den Mullahs in Teheran an der Spitze weiter auf die Erfüllung ihres Traumes hinarbeiten, d. h. die Vernichtung Israels, während in der Westbank immer mehr Siedlungen gebaut werden, wird alles so weitergehen wie bisher. Also eine never ending story, bei der auch der Spruch des Zionistenführers <Fett>Ben Gurion</Fett> nicht mehr hilft: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“ Wer mein Buch gelesen hat, weiß zumindest, warum das so ist.<BR /><BR /><BR /><b>Und was wünschen Sie sich für Ihr Buch? Was erwarten, erhoffen Sie?</b><BR />Steininger: Dass viele es lesen und dann die Probleme im Nahen Osten über die täglichen Schlagzeilen hinaus besser einordnen können. Und besser verstehen, was da unten täglich abgeht. <BR /><h3> Zur Person Rolf Steininger</h3> Der emeritierter Universitätsprofessor leitete von 1984 bis 2010 das Institut für Zeitgeschichte der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck. Steininger beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der deutschen Nachkriegsgeschichte sowie der Geschichte Südtirols und Österreichs. Er erarbeitete zahlreiche Dokumentationen, von denen einige mit Preisen ausgezeichnet wurden. Der Historiker und Nahost-Experte hat mehrere Publikationen zum Konflikt zwischen Israel und den angrenzenden Staaten veröffentlicht , und auf diesen Seiten klärt er regelmäßig über Kriege weltweit auf. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1075251_image" /></div> <BR /><BR /><b>Buchtipp:</b><BR />Rolf Steininger, „Kein Frieden im Nahen Osten. Die Geschichte Israels von Theodoer Herzls Judenstaat 1896 bis zur Gegenwart“, Studienverlag Innsbruck 2024, mit 41 Fotos (davon 9 in Farbe), 3 Faksimiles, 166 Seiten