Am 5. Juni 1947 waren die Regierungschefs aus allen 4 Besatzungszonen nach München gekommen. Es war die erste gesamtdeutsche Konferenz – und sollte zugleich für viele Jahre die letzte gesamtdeutsche Konferenz sein. Die Konferenz war bereits gescheitert, noch ehe sie richtig begonnen hatte.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="776018_image" /></div> <BR />Nachdem die Außenministerkonferenz in Moskau im April 1947 ohne Ergebnis für Deutschland zu Ende gegangen war, ergriff der der bayerische Ministerpräsident <b>Hans Ehard</b> die Initiative und lud die Regierungschefs aller Länder zu einer Konferenz für den 6. bis 8. Juni nach München ein. Dabei hatte auch der Gedanke eine Rolle gespielt, dass, wie es intern hieß, <i>„Russland damit in die unangenehme Lage versetzt wird, die Teilnahme verbieten zu müssen und das Odium auf sich zu nehmen, die gesamtdeutsche Wirtschaftseinheit, die die völlige Verelendung des deutschen Volkes verhindern soll, unmöglich zu machen“.</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="776021_image" /></div> Tatsächlich waren auf ostzonaler Seite außerordentliche Anstrengungen notwendig, um überhaupt nach München zu kommen.Die Sowjets wollten nämlich zunächst „ihren“ Ministerpräsidenten die Teilnahme an der Konferenz verweigern. Eine Mitwirkung, so <b>Marschall Sokolowskij</b> warnend zum liberalen Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, <b>Erhard Hübener,</b> werde er <i>„als eine in amerikanischem Interesse liegende Handlung ansehen“.</i><BR />Erst als Hübener seinen Rücktritt erklärte, gaben die Sowjets nach, die Ministerpräsidenten der sowjetischen Zone konnten fahren und erreichten München am späten Abend des 5. Juni. Noch ehe die eigentliche Konferenz begann, verließen sie München in den frühen Morgenstunden des 6. Juni wieder.<BR /><BR /><BR /><b>Was geschah in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni?</b><BR /><BR />Jahrzehntelang wurde darüber gerätselt, was sich in jener Nacht vom 5. auf den 6. Juni in der vierstündigen „Vorbesprechung“ – sie begann um 21.55 Uhr und endete um 2.05 Uhr – abgespielt hat, zumal es an gegenseitigen Schuldzuweisungen nicht fehlte. Die westdeutschen Regierungschefs sprachen von einem „Versuch der Sprengung“ der Konferenz durch die Länderchefs der Sowjetzone, was diese als „unwahr“ und „ungeheuerliche Beschuldigung“ zurückwiesen.<BR /> Sie begründeten das Scheitern der Konferenz vielmehr mit der „intransigenten“ Haltung der SPD-Ministerpräsidenten, die sie auf „Anordnungen [des SPD-Vorsitzenden] Dr. Schumachers“ und Vorbehalte der westlichen Militärregierungen zurückführten. Das blieb bis Anfang der 1970er Jahre die unterschiedliche Interpretation dieser Konferenz, zumal Ehard immer wieder glaubwürdig versicherte, es gäbe kein Protokoll dieser Konferenz.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="776024_image" /></div> <BR /><b>Das Protokoll gibt Antwort</b><BR /><BR />Tatsächlich gab es aber ein Protokoll! 2 Exemplare befanden sich in der Bayerischen Staatskanzlei, drei in Privatbesitz. 1974 habe ich dieses Protokoll aufgespürt. Nach Zustimmung aller Staatskanzleien der westdeutschen Länder wurde es freigegeben, und ich konnte es 1975 veröffentlichen. Das war damals die Sensation. <BR />Unvergesslich bleibt mir dabei folgende Episode in Erinnerung: Ich ging zu Ehard – mit dem Protokoll in der Aktentasche – und fragte ihn nach dem Protokoll. Ehard: „Ich bedauere das selbst am meisten. Aber es gibt kein Protokoll. Sie wissen das doch. Ich habe das doch schon so oft Ihren Kollegen gesagt.“ Darauf ich: „Ich habe ein Exemplar.“ Darauf die unglaubliche Reaktion von Ehard: „Ach, Sie auch?“ (Das zum Thema Zeitzeugen; solche gibt es halt auch.)<BR /><BR />Die 42 Seiten des als „geheim“ eingestuften Wortprotokolls sind eine faszinierende Lektüre und vermitteln einen unmittelbaren Eindruck von der gesamtdeutschen „Stimmungslage“ jener Tage. Dabei wird einiges klar. Nach einer emotionalen Begrüßung am späten Abend des 5. Juni wurde von den ostzonalen Regierungschefs verlangt, die ohne sie ausgearbeitete Tagesordnung zu akzeptieren. Die beantragten daraufhin eine Ergänzung, und zwar <i>„als entscheidende Voraussetzung für die Verhandlungen der Konferenz folgenden ersten Punkt auf die Tagesordnung zu setzen: Bildung einer deutschen Zentralverwaltung durch Verständigung der demokratischen Parteien und Gewerkschaften zur Schaffung eines deutschen Einheitsstaates.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="776027_image" /></div> <BR />Im Verlauf der Diskussion wurde dann deutlich, dass sie keineswegs bedingungslos auf dieser Forderung beharrten, wie später von westdeutscher Seite behauptet wurde. Sie reduzierten sie vielmehr auf die <i>„Bitte, entsprechend dem Antrag morgen über diesen Punkt zu reden. Es werde dies nicht mehr als 15 bis 20 Minuten erfordern. Damit werde die Angelegenheit erledigt sein“.</i><BR />Es gehe lediglich um eine Empfehlung der Regierungschefs an die Parteien, sich angesichts der Notlage des Volkes zwecks Bildung einer zentralen Verwaltung zusammenzusetzen. Und dies mit der ausdrücklichen Versicherung, dass daraus nicht das werde, was die Westdeutschen befürchteten: eine politische Demonstration, denn „keiner der Konferenzteilnehmer dürfe bei ihnen eine hundertprozentige Taktlosigkeit voraussetzen, auch wenn sie aus der russischen Zone kämen“, wie das der Ministerpräsident von Thüringen, der ehemalige Sozialdemokrat Rudolf Paul, formulierte.<BR /><BR />Ministerpräsident Hübener ergänzte, er habe das bestimmte Gefühl, „dass die Besatzungsmächte darauf warten, dass wir uns nicht mehr als Objekt fühlen. Wir müssen wieder danach streben, wieder Subjekt zu werden. Dieser Weg ist möglich. Wir müssen den Besatzungsmächten sagen, dass wir zwei Jahre gebüßt haben und jetzt wieder unser Schicksal in unsere eigene Hand nehmen müssen.“<BR /><BR /><BR /><b>Die westdeutschen Regierungschefs lehnen ab</b><BR /><BR />Es war umsonst. Die Regierungschefs aus den Westzonen lehnten ab. Der Hinweis von Paul, er überlasse es dem Urteil der Anwesenden, ob eine Schuld bei den Vertretern aus der Sowjetzone liege oder nicht, dass sie erst am Abend nach München gekommen seien, verhallte ungehört. Die westdeutschen Länderchefs ließen sich zu einer geradezu feindseligen Haltung hinreißen, sprachen von einem „Ultimatum“ der „russischen Herren“ und sahen in allem nur den „kommunistischen Pferdefuß“.Was waren die Gründe dafür?<BR /><BR />Von den 12 in München vertretenen Regierungschefs aus den Westzonen gehörten sieben der SPD an. Insbesondere sie blieben kompromisslos gegenüber ihren ostzonalen Kollegen, denen sie jede Legitimationsabsprachen für die Bevölkerung der Ostzone zu sprechen. Sie sahen in den Vertretern der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, die „Handlanger Moskaus“. Man hatte nicht vergessen, dass die SPD in der Ostzone ein Jahr vorher unter den Bajonetten der Roten Armee mit der kommunistischen Partei, der KPD, zur SED zwangsvereinigt worden war. Was man in München nicht wahrhaben wollte, war die Tatsache, dass einige der ostzonalen Regierungschefs eben keine „russenhörigen“ Kommunisten waren, sondern Liberale und ehemalige Sozialdemokraten, die auf Unterstützung aus dem Westen hofften und auf sie angewiesen waren, wollten sie nicht ihre Positionen gezwungenermaßen aufgeben. Das wird besonders deutlich bei Hübener, der um beinahe jeden Preis an der Konferenz teilnehmen wollte, die für ihn eine ungeheurere Bedeutung hatte: „Schon die Bekundung des unverrückbaren Willens zur Einheit wird eine Tatsache sein, die nicht ohne jeden Eindruck auf die Regierungen der Besatzungsmächte bleiben kann,“ notierte er im Vorfeld.<BR /><BR />Das Protokoll erklärt darüber hinaus auch Ehards Leugnen. Als die Ostzonenvertreter nach vier Stunden Diskussion den Sitzungssaal der Bayerischen Staatskanzlei verließen – ohne sich zu verabschieden, wie Badens Staatspräsident Leo Wohleb indigniert feststellte –, war er es, der dies mit folgenden Worten kommentierte, dass „dieser Vorfall die Spaltung Deutschlands bedeute“.<BR /><BR /><BR /><b>Was bedeutete das Scheitern?</b><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="776030_image" /></div> <BR />Auch ohne Kenntnis des Protokolls werteten damals viele Beobachter das Scheitern der Konferenz genauso. Die westdeutschen Regierungschefs waren sich jedenfalls der Konsequenzen dessen, was sich da in München abspielte, durchaus bewusst. Sie allein waren für das Scheitern verantwortlich – niemand sonst, ausnahmsweise auch nicht die Westalliierten. Die Schuldzuweisung war dennoch eindeutig. So erklärte <b>Kurt Schumacher</b> am 14. August 1947:<BR /><i>„Wir haben aber den echten Separatismus hier im Osten erlebt. Das deutsche Volk will zueinander, aber die deutschen Kommunisten, das sind die Separatisten der Ostzone. Und da erklären wir deutschen Sozialdemokraten, wir wollen die demokratische deutsche Republik, aber wir wollen nicht die Volksrepublik SEPistan.“</i> (Die SED war für Schumacher nur die SEP = Sozialistische Einheitspartei.)<BR /><BR />Westdeutsche Bekenntnisse zur Einheit blieben Lippenpenbekenntnisse, Alibis für die Geschichtsbücher. Man tröstete sich mit dem Gedanken, dass die Spaltung kein Dauerzustand zu sein brauchte. In bewusster Verkennung der Realitäten sollte der (Um-)Weg zur Einheit über die Teilung führen. Dass dieser Weg langwierig sein, gar bis 1990 dauern würde, als viele eigentlich schon alle Hoffnung auf eine Wiedervereinigung aufgegeben hatten (Bundeskanzler Helmut Schmidt: „Lichtjahre entfernt“), daran hat damals wohl niemand gedacht. <BR /><BR />Der christlich-soziale Politiker Jakob Kaiser hatte Ende November 1947, kurz vor seiner Absetzung durch die Sowjets als CDU-Vorsitzender in der Sowjetzone, das Fatale der damaligen Situation mit dem Sinn für die historische Dimension des Augenblicks ausgesprochen: <i>„Deutschland wird nicht dadurch gesunden, dass man der marxistischen Gefahr ein liberales System entgegenstellt und dann zwischen beiden eine Mauer errichtet. Östliche und westliche Besatzungsmächte müssen den Weg freigeben zur eigenen Auseinandersetzung im deutschenVolk.“</i><BR /><BR />Die Alliierten gaben den von Kaiser angesprochenen Weg bekanntlich nicht frei; sie verfolgten ihre eigenen Interessen in Deutschland. Aber – und das bleibt mit Nachdruck festzuhalten – die Deutschen haben die Freigabe dieses Weges auch nicht nachhaltig angestrebt. Anfang 1948 wurde diesesVerhalten im Foreign Office in London einmal so beurteilt: „Die Westdeutschen sind nur allzu bereit, die formelle Teilung ihres Landes anzuerkennen, vorausgesetzt, dies wird ihnen in der richtigenWeise präsentiert.“<BR /><BR />München war möglicherweise die letzte bedeutende Chance, deutscherseits die Teilung Deutschlands zu verhindern. Wenn dem so war, wurde sie vertan: von München führte die Entwicklung in Deutschland beinahe geradlinig zur Gründung von Bundesrepublik und DDR.<BR /><BR /><BR /><b>Zur Person:</b><BR />Univ.-Prof. Rolf Steininger war langjähriger Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck//www.rolfsteininger.at; auf YouTube unter Rolf Steininger<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="776033_image" /></div> <BR /><BR /><b>Literatur</b><BR />Rolf Steininger, Von der Teilung zur Einheit. Deutschland 1945–1990. StudienVerlag Innsbruck 2020, 515 Seiten<BR /><BR /><BR />