<b>Von Rolf Steininger</b><BR /><BR />Es war eine denkwürdige Sitzung. Mit der Ablehnung seines „Pakets“ zerbrach für Kreisky nicht nur endgültig das manchmal nur mühsam aufrecht erhaltene Klima der Zusammenarbeit mit den Tiroler Politikern, sondern er empfand dies auch als eine tiefe persönliche, menschliche Kränkung. Es sollte 5 Jahre dauern, bis es ein neues „Paket“ gab.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1115994_image" /></div> <h3> Die Vorgeschichte</h3><BR />Der Reihe nach: Als der Sozialist und Jude Bruno Kreisky 1959Österreichs Außenminister wurde, erkannte er sehr früh, dass Südtirol nicht nur ein Prüfstein für seine Politik war, sondern auch eine Chance bot, sich zu profilieren. Er erklärte die Südtirolfrage folgerichtig öffentlich zum Thema Nummer eins der österreichischen Außenpolitik und hieß schon bald „der Minister für das Äußerste“; intern nannte man ihn in Tirol in Anspielung auf Andreas Hofer „Andreas“, was er nicht ungern hörte. Durchschlagende Erfolge blieben aber in den folgenden Jahren aus. Das Gegenteil war eher der Fall.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1115997_image" /></div> <BR /><BR /><BR />Die Wende in der italienischen Südtirolpolitik kam im Dezember 1963 mit der erstmaligen Bildung einer Mitte-links-Regierung in Rom. Der 47-jährige Parteisekretär der Democrazia Cristiana und Strafrechtler Aldo Moro wurde Ministerpräsident, Giuseppe Saragat Außenminister. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1116000_image" /></div> <BR /><BR />Saragat war nicht nur Sozialdemokrat, er hatte auch ein besonders enges Verhältnis zu Österreich: Er hatte in Wien im Exil gelebt, seine Tochter war dort zur Welt gekommen. Er und Moro hatten ein anderes Verständnis für Minderheiten im Land als die Hardliner in Rom; sie standen den Anliegen der Südtiroler positiv gegenüber – und das schon vor den Bombenattentaten des Jahres 1961. Sie waren ernsthaft um eine Lösung der Südtirolfrage und damit auch um eine Verbesserung der Beziehungen zu Österreich bemüht. Möglicherweise spielte dabei auch das Zweite Vatikanische Konzil eine Rolle, das seit Oktober 1962 tagte und die Sensibilität gegenüber Minderheiten und ihre Integration zu seinem wichtigsten Anliegen erklärt hatte.<BR /><BR /><BR />Die ersten Schritte der Regierung machten jedenfalls die neue Politik mehr als deutlich. Saragat lud Kreisky sofort nach Bildung der Regierung zu einem Gespräch ein, das am 14. Dezember im Hotel Raphael in Paris stattfand. Da machte Saragat klar, dass seine Regierung um ein möglichst baldiges Ergebnis der Neunzehner-Kommission bemüht sei. Man hoffe in Rom, so Saragat, dass es möglich sein werde, auf der Basis der Ergebnisse der Kommission, eine, wie er es formulierte, „'globale' und 'vollständige' Regelung der Südtirolfrage zu erzielen“. Und er stellte auch klar:<BR /><i>„Keine andere italienische Regierung wird mehr als die derzeitige bereit sein, das Südtirolproblem durch entsprechend große Konzessionen, die bei weitem über das Pariser Abkommen für Südtirol hinausgehen, zu bereinigen.“</i><BR /><BR /><BR />(Die Neunzehner-Kommission aus Vertretern Italiens und Südtirols sollte bekanntlich das Südtirolproblem erörtern. Rom hatte die Kommission 1961 aus taktischen Gründen für die neuerliche Behandlung der Südtirolfrage vor der UNO eingerichtet. Gespräche mit Österreich gab es bis September 1963 keine mehr.)<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1116003_image" /></div> <BR /><BR />Bereits Ende 1964 waren sich Kreisky und Saragat einig: Kreisky war überzeugt, dass er mit seinem italienischen Kollegen eine gute Lösung – die schon „Paket“ genannt wurde – ausgearbeitet hatte, die mit dazu dienen sollte, eine neue Ära in den Beziehungen zwischen Österreich und Italien einzuleiten. Sie hatte aus seiner Sicht, wie er Saragat im September 1964 in Genf gesagt hatte, eine große historische Bedeutung, nicht nur für die Südtiroler, sondern „für die ungefähr 60 Millionen Menschen, die wir beide in den Grenzen unserer Länder vertreten“. Diese Lösung wäre für ihn der Durchbruch, ein erster großer Triumph seiner Außenpolitik und ein Erfolg der SPÖ gewesen.<BR /><h3> Das Kreisky-Saragat-Paket</h3><BR />Das Kreisky-Saragat-Paket enthielt einen großen Teil jener Maßnahmen, die die Neunzehner-Kommission beschlossen hatte. Einige Punkte gingen dabei über die Kommission hinaus, andere hatte Rom nicht akzeptiert. Wichtiger aber schien die Absicherung der Paketmaßnahmen: Italien hatte erstmals ein internationales Schiedsgericht, bestehend aus 5 Personen, akzeptiert. Rom und Wien würden je einen eigenen und einen fremden Staatsangehörigen ernennen und den Vorsitzenden gemeinsam bestimmen. Nach 5 Jahren sollte die Kommission entscheiden, ob Italien das Paket erfüllt hatte.<BR /><BR /><BR />Im Wiener Außenministerium waren damals bereits sämtliche Dokumente für einen Abschluss vorbereitet: die Erklärungen im Nationalrat und vor der UNO. Es musste nur noch das Datum eingetragen werden. Kreisky hatte auch bereits einen festen Fahrplan für seine geplanten großen Auftritte in Bozen und New York. Seiner Meinung nach hatte er das Optimum für Südtirol herausgeholt. Und von daher wollte er abschließen. Für den 8. Jänner 1965 berief er eine große Südtirolbesprechung nach Innsbruck ein, wo die Tiroler diesen Abschluss absegnen sollten. Aber es sollte alles ganz anders kommen.<BR /><h3> Die „koordinierende Besprechung“ ohne die Wiener</h3><BR />Die Tiroler trafen sich nämlich zunächst einmal in kleiner Runde am 5. Jänner zu einer, wie Tirols Landeshauptmann Eduard Wallnöfer das formulierte, „koordinierenden Besprechung“.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1116006_image" /></div> <BR /><BR />Man war unter sich: aus Südtirol waren dabei: Magnago, Pupp, Mitterdorfer, Dietl, Brugger, Volgger und Rubner; aus Nordtirol Wallnöfer, Zechtl, Kathrein, Lugger, Mader, Gschnitzer, Ermacora, Senn und Stadlmayer. Am Ende dieser Sitzung zeichnete sich ab, was kommen würde: Ablehnung. Den Nordtirolern fehlte es an Absicherung, den Südtirolern an Inhalt. Für Landeshauptmann Magnago war klar, was die Südtiroler in der Sitzung mit Kreisky sagen würden, nämlich:<BR /><BR />„Wir sind pessimistisch, und wir glauben, dass die Partei nicht ja sagen wird. Wir können den SVP-Gremien mit einem Nein allerdings auch nicht die Entscheidung vorwegnehmen. Daher werde ich sagen, ich traue mich nicht, die Annahme zu empfehlen. Wir müssen uns ja auch nicht unter Druck setzen lassen.“ Und im Übrigen war er der Meinung, dass „gar kein so großer Zeitdruck besteht“.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1116009_image" /></div> <BR /><BR />Genauso sah das auch Tirols Franz Gschnitzer. Für ihn war Italien „noch nicht an der Wand“ und dessen Lage international gesehen auch nicht gerade stark. Nach diesem „Nein“ der Tiroler erwartete Viktoria Stadlmayer, Leiterin des Südtirolreferats der Tiroler Landesregierung, in der Sitzung am 8. Jänner einen „sehr harten Kampf“. <BR />Sie glaubte sogar, dass Kreisky durch „dunkelste Schwarzmalerei, was die internationale Lage betrifft, alle beeindrucken und überfahren will“.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1116012_image" /></div> <h3> Die Ablehnung</h3><BR />Drei Tage später erlebte Kreisky sein Südtirol-Waterloo im Landhaus in Innsbruck. Ein 49-seitiges Wortprotokoll gibt Auskunft darüber, wie es dazu kam. <BR /><BR /><BR />Von 14.30 Uhr bis 19.45 Uhr fand eine der wichtigsten der so zahlreichen Südtirolbesprechungen statt, an deren Ende Kreiskys Verhandlungsergebnis abgelehnt wurde. Es war gleichzeitig jene Südtirolbesprechung mit der größten Teilnehmerzahl überhaupt. Kreisky ahnte wohl, dass sein „Paket“ abgelehnt werden würde. Ausführlich gab er Antworten auf die gestellten Fragen, meinte dann aber, man habe ungeheure Anstrengungen hinter sich und sei bereit, alles auf sich zu nehmen, „aber klar müssen Sie sich sein über die Grenzen unserer Möglichkeiten. Ich möchte Ihnen aber sagen: Sie kriegen von uns eine Geschichte dieser Verhandlungen, und ich lade Sie ein, sich das ein bisschen anzusehen, wie das ausgesehen hat noch vor zwei, drei und vier Jahren. Was da alles geschehen ist.“<BR /><BR /><BR />Es war nichts zu machen. Kreisky konnte die Tiroler nicht überzeugen. Für die SVP-Vertreter gingen die italienischen Zugeständnisse nicht weit genug, für die Nordtiroler gab es zu wenig Absicherung, obwohl Saragat eine internationale Schiedskommission zugestanden – und damit sein Verhandlungsmandat überschritten hatte. Da half auch nicht der fast verzweifelte Hinweis Kreiskys, „dass wir bis zum Äußersten gekommen sind, liegt nur an unseren Verhandlungen“. Er machte keinerlei Hoffnung, in weiteren Verhandlungen wesentlich mehr erreichen zu können. Bei einem Nein „hat Italien aber dann überhaupt kein Interesse mehr, eine internationale Vereinbarung mit Österreich zu schließen“, und er stellte unmissverständlich klar: „Wenn Sie das Verhandlungsergebnis zurückweisen, so ist das Ihr Recht. Sie haben Pflichten, ich habe auch meine.“<BR /><h3> Kreiskys Reaktion</h3><BR />Kreisky war maßlos enttäuscht und fühlte sich persönlich hintergangen, hatten ihm doch 4 Wochen zuvor die Landeshauptleute Wallnöfer und Magnago in seiner Wohnung in Wien Zustimmung zum Weiterverhandeln signalisiert, „da er sich nicht der Gefahr aussetzen wolle und könne, im nachhinein desavouiert zu werden“. Genau das war aus seiner Sicht geschehen. Es war exakt das passiert, was Stadlmayer bereits 1959 als Taktik vorgeschlagen hatte: Man solle Kreisky „als eine große Woge ansehen, auf die man sich legt und von der man sich tragen lässt, um sich dann, wenn sie wieder ins Meer zurückfallen will, mit einem Sprung abzustoßen und mit eigener Kraft das Festland zu erfassen und im entscheidenden Moment abzuspringen“. Jetzt war man abgesprungen. Sogar der deutsche Botschafter in Wien hatte geahnt, was kommen würde. Er notierte: „Diese Versuche der SPÖ, etwaige Fortschritte in der Südtirol-Frage von vornherein für sich zu verbuchen, sind von der ÖVP mit Unbehagen vermerkt worden.“<BR /><BR /><BR />Kreisky vergaß das Nein von Innsbruck nie mehr. Er lehnte gleichzeitig jede andere Lösung ab und ging, nachdem die ÖVP seit Frühjahr 1966 die Alleinregierung stellte, mit der SPÖ auf Totalopposition gegen die angestrebte Lösung seiner Nachfolger. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="1116015_image" /></div> <BR /><BR /><b>Buchtipp:</b><BR />Rolf Steininger, „Südtirol. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart“, Innsbruck 2020, 319 Seiten; das im Beitrag erwähnte Protokoll im Wortlaut in Bd. 5 der vom Autor hrsg. „Akten zur Südtirol-Politik“, Bd. 5, Innsbruck 2011.