<b>von Christoph Kohl</b><BR /><BR />In der weiten Welt der Architektur ist der Pritzker-Preis die wichtigste jährliche Auszeichnung. In der Regel wird er für ein bereits großes gebautes Werk vergeben. Umso überraschender war es, dass der Preis 2025 Anfang März an den chinesischen Architekten <b>Liu Jiakun</b> ging. Nicht, dass er ein Unbekannter wäre, schließlich war der heute 68-Jährige bereits 2015 auf der Kunstbiennale in Venedig vertreten – als Architekt! Dort zeigte er eine Installation aus Angelruten. Ja, man könnte ihn einen Menschenfischer nennen, bekannt für seine faszinierenden Projekte, die sich immer an die Öffentlichkeit richten und den Menschen in der dicht besiedelten chinesischen Stadt Raum zurückerobern.<BR /><BR />Statt ikonischer Prestigeprojekte, schafft er seit Jahrzehnten minutiös umgesetzte Interventionen im Raum seiner Heimatstadt Chengdu: Teehäuser, Ausstellungsorte, grüne Höfe – allesamt Oasen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Orte, die weder Konsum noch Geschwindigkeit diktieren, sondern Momente des Verweilens ermöglichen. Liu Jiakun würdigt mit seiner Arbeit <i>„das alltägliche Leben der Menschen ebenso wie ihre gemeinschaftliche und spirituelle Identität“,</i> so die Jury.<BR /><BR />Was macht einen Ort in der Stadt zur Oase? Ist es die Stille, die uns im Lärm der Stadt fehlt? Ist es der grüne Sehnsuchtsort als Spektakel? Ist es die Fähigkeit, das Stadtklima zu regulieren, Schatten zu spenden und der Hektik etwas Dauerhaftes, Beruhigendes entgegenzusetzen? Was ist das Versprechen, das grüne Inseln im urbanen Getriebe bieten?<h3>Städtisches Grün als gesellschaftliches Fundament</h3>Bei uns findet die unspektakuläre, aber unverzichtbare Basisarbeit mitten im städtischen Alltag statt. Stadtgärtnereien pflegen Parks und Alleen, Baumpfleger kümmern sich um den Baumbestand. Grüne Stadträume sind keine Selbstverständlichkeit, sondern das Ergebnis kontinuierlicher Pflege. Die Fachtagung „Nachhaltige Grünflächenpflege“ im NOI Techpark Bozen, Ende Februar, hat zu Recht darauf hingewiesen, dass Stadtgrün keine passive Kulisse ist. <BR /><BR />Angesichts des dramatischen Klimawandels werden die Stadtbewohner bei der Pflege des Stadtgrüns stärker gefordert sein. Öffentliches Grün kann dabei nicht mehr nur ästhetischer Natur sein, sondern leistet zunehmend einen Beitrag zur Klimaregulierung und damit zur Lebensqualität – und zum sozialen Miteinander. Konzepte wie Urban Gardening, die „Essbare Stadt“ oder Bürgerpatenschaften für Bäume zeitigen dort, wo sie bereits Einzug gehalten haben, Erfolge. Eine Stadt, die hier den Dialog sucht, ist nachhaltig besser für die Zukunft aufgestellt.<h3>Staunen oder Staunen machen?</h3>Natur und Stadt wachsen beide stetig, die Stadt jedoch abrupt, episodisch, schlagartig, während sich das Grün durch sein langsames Wachstum verstetigt. Wo jahrhundertealte Gärten mit ihrer historisch gewachsenen Identität liegen, stellt sich die Frage: Wie viel Eingriff verträgt ein Ort? Ein solcher Disput wird derzeit um das Pomarium der Brixner Hofburg geführt. Man ist in heller Aufregung!<BR /><BR />Solche Neugestaltungen bewegen sich auf dem schmalen Grat zwischen behutsamer Weiterentwicklung und kommerzieller Überformung. Orientiert sich die Gestaltung am grünen Marketing kurzlebiger Schaugärten, bleibt vielleicht nur eine inszenierte Kulisse – ein modischer Trend, der in einer Region, die stark vom Tourismus lebt, leider nur allzu verständlich ist.<BR /><BR />Die Frage ist weniger eine ästhetische, sondern primär eine gesellschaftspolitische: Wer definiert, was ein Grünraum künftig sein soll – die Stadtgemeinschaft oder wirtschaftliche Interessen?<h3>Auf schrittweise Verbesserung setzen</h3>Wenn wir Liu Jiakun folgen, können pragmatische Schritte einer großen Vision gleichkommen: Asphalt weicht Grün, Blumenwiesen werden angelegt, Bäume gepflanzt – gezielt, unspektakulär, aber effizient. Der grüne Stadtumbau ist nicht revolutionär, aber er folgt einer klaren Logik: Entsiegelung, Verdunstung, Schatten, bessere Luftqualität. So schlendere ich, noch die Schlagzeile „100 neue Bäume an der Talfer“ vor Augen, erwartungsvoll – es werden auch Apfelbäume gepflanzt – die Wassermauerpromenade in Bozen entlang.<BR /><BR />Solche Veränderungen sind mehr als bloße Begrünung. Stadtgrün ist längst Teil einer städtischen Klimapolitik – nicht Zierde, sondern Notwendigkeit. Der politische Wille, diesen Weg konsequent weiterzugehen, entscheidet darüber, ob eine Stadt insgesamt resilient, anpassungsfähig gegenüber klimatischen Veränderungen wird oder ob die Maßnahmen bloßes Stückwerk bleiben.<BR /><BR />Stadtgrün ist keine Dekoration, sondern eine Existenzfrage. Geht es darum, urbane Lebensqualität für künftige Generationen zu sichern, oder bleibt Grün nur Kulisse für Postkartenmotive? Die Antworten werden auch an den politischen Verhandlungstischen entschieden – und in den Wahlkabinen.<BR /><BR />Die Debatte um grüne Stadträume zeigt: Der wahre Wert liegt nicht allein in ihrer schönen Erscheinung, sondern in der Art, wie sie genutzt und gelebt werden. Zwischen urbanem Stress und natürlichem Rückzug, zwischen Kommerz und Gemeingut steht die Frage: Wem gehört das Grün?