Jetzt war man endgültig in jenem Zustand „ohnmächtiger Schwäche“ (<b>Kreisky</b>), in dem man akzeptieren musste, was Italien anbot, freiwillig anbot, auch wenn die Briten Druck ausübten.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677201_image" /></div> <BR /><BR />Das Abkommen war ein Kompromiss, für Südtirol und Österreich nicht ideal, konnte es nach Lage der Dinge gar nicht sein; man würde um vieles kämpfen müssen, aber mit Österreich als international abgesicherter „Schutzmacht“ im Rücken würde dieser Kampf um vieles einfacher sein, als wenn man allein stehen würde. Die Alternative – überhaupt kein Abkommen – wäre wohl um vieles schlechter gewesen, auch bei einem sich demokratisch gebenden Italien. Die Vertrauensleute der SVP sahen dies genauso wie ihre Landsleute in Paris – und gaben dem Abkommen ihre Zustimmung.<BR /><BR /><BR />Niemand hätte <b>De Gasperi</b> zwingen können, in Paris etwas zu unterschreiben. Die Gründe, warum er unterschrieb, sind bereits genannt worden. Er war eindeutig in der stärkeren Position. Unter diesem Gesichtspunkt ist das Abkommen zu würdigen. Gruber hat nicht kapituliert in Paris, nur: Gemessen an der zunächst erhobenen Maximalforderung – Rückkehr Südtirols – war das Erreichte nur eine Minimallösung. Der Jubel blieb denn auch aus, in einigen Kreisen war die Enttäuschung groß. Aber Gruber konnte am Ende einen entscheidenden Punktsieg erringen: Als Teil des italienischen Friedensvertrages wurde das Abkommen völkerrechtlich festgeschrieben. Anders als in der Ersten Republik und einem faschistischen Italien würde Südtirol keine rein inneritalienische Angelegenheit mehr sein. Das Abkommen konnte so zum Mühlstein um den Hals jeder italienischen Regierung werden, aber auch für jede österreichische Regierung. <BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677204_image" /></div> <BR />Italien kam von diesem Vertrag nicht mehr los – aber Österreich eben auch nicht. Man scheute sich daher zunächst in Wien, von Vertrag zu sprechen und nannte das, was da unterschrieben worden war, lieber <Kursiv>„Vorkehrungen für die Südtiroler Bevölkerung“. </Kursiv>Darin kam das – vor allem in Tirol verbreitete – Missbehagen über dieses Abkommen zum Ausdruck, denn – und das war eben auch eine Tatsache – mit diesem Abkommen hatte sich auch Österreich verpflichtet, war die Brennergrenze bestätigt worden. Und dies ohne klare, konkrete Gegenleistung. Diese Gegenleistung musste von Italien erst noch erbracht werden.<BR /><BR /><BR /><b>Keine „verspielte“ Selbstbestimmung, kein „Geschenk“ an Italien</b><BR /><BR /><BR />Gruber hat nichts „verspielt“. Michael Gehler vertritt die Meinung, Gruber habe die Selbstbestimmung „verspielt“. Er wirft ihm vor, die stärkste „Waffe“ der österreichischen Politik, die Forderung nach Selbstbestimmung, damals nicht richtig eingeschätzt und von daher zu früh aus der Hand gegeben zu haben. Da muss man wohl die Frage stellen, wie stark die „Waffe“ Selbstbestimmung wirklich war, wie stark bzw. wie schwach Österreichs Position im Kalten Krieg 1946 war. <BR /><BR /><BR />Die Alliierten sagten damals Nein zur Rückkehr Südtirols nach Österreich. Sie haben die Selbstbestimmung verhindert; sie wollten kein Plebiszit. Warum? Die Antwort hatte der britische Diplomat Charles Cope schon Anfang Januar 1946 gegeben, nämlich: „<i>Ein Plebiszit ist unerwünscht, da es uns nichts über das hinaus sagen wird, was wir nicht schon wissen.“</i> Man wollte auch Italien nicht weiter schwächen. <BR /><BR /><BR />Interessant ist auch die Pustertallösung. Auch hier scheiterte Gruber mit seiner Taktik: Das Pustertal wurde keine Trumpfkarte. <b>Leopold Steurer</b> lehnt Gehlers These ab und spricht von einem <Kursiv>„Zickzackweg“ </Kursiv> Grubers Ziel war klar – wenn auch nicht immer für jeden sofort erkennbar – nämlich: Beseitigung der Brennergrenze, alles oder nichts, Rückkehr Südtirols, keine Autonomie. Möglicherweise war er sogar bereit, die Teilung Südtirols hinzunehmen. Als alles scheiterte, ging es nur noch darum, zu retten, was zu retten war, und was er im September 1946 unterschrieb.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677207_image" /></div> <BR /><BR />Und was wäre, wenn Gruber bei der Forderung nach Selbstbestimmung geblieben wäre? Die Antwort gab <b>Legationsrat Josef Schöner</b>, später Generalsekretär des Außenministeriums, 3 Tage vor Unterzeichnung des Abkommens einem führenden Mitarbeiter der Landesstelle Südtirol der Tiroler Landesregierung. Schöner:<BR /><i>„Dann hätte dies im Moment wohl schön gewirkt und hätten die Zeitungen wieder einmal nette Schlagzeilen drucken können, aber für Südtirol wäre damit nichts getan gewesen. Die vier Großen hätten dazu einfach erklärt, dass es sich dabei um eine bereits entschiedene Sache handle und hätten es wahrscheinlich gar nicht zu einer Diskussion kommen lassen. Dann wäre es auch nicht einmal zu einer Autonomie gekommen.“</i><BR /><BR /><BR />Gehler geht inzwischen noch einen Schritt weiter und behauptet („Tiroler Tageszeitung“, 5. September 2016), Gruber sei De Gasperi so weit entgegengekommen, <Kursiv>„dass das Abkommen einem Geschenk an Italien glich“</Kursiv>. Gruber als Vaterlandsverräter. Das ist absurd, die Akten sagen etwas anders.<BR /><BR /><BR /><b>Umsetzung des Abkommens: Schein-Autonomie für Südtirol</b><BR /><BR /><BR />Das Abkommen hatte Potential für eine friedliche Lösung des Problems. Seine Umsetzung brachte es in Misskredit . Italiens Botschafter in London, N<b>icolò Carandini,</b> meinte nach der Unterzeichnung zum Generalsekretär des italienischen Außenministeriums, <b>Renato Prunas:</b><i>„Wir haben zur Abwechslung einmal unter Männern guten Glaubens gearbeitet.“</i> Das Abkommen sei in gutem Glauben geschlossen worden und werde Beständigkeit und Wert nur dann haben, <i>„wenn es auch im guten Glauben angewandt wird“.</i>Und er warnte: „<i>Wenn der gute Wille auf der einen oder anderen Seite fehlt, bedeutet das, wir sind gescheitert.“</i><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677210_image" /></div> <BR />Man scheiterte bekanntlich im ersten Anlauf, weil bei den Italienern lange Zeit der gute Wille fehlte und sie das Abkommen nicht im guten Glauben anwandten. Die Italiener entzogen sich in der Folgezeit zur Enttäuschung der Südtiroler und Österreicher der im Abkommen übernommenen Verpflichtung. Sie legten das Abkommen äußerst restriktiv aus. Das demokratische Italien machte sogar in vielem da weiter, wo das faschistische aufgehört hatte. Schon sehr bald wurde deutlich, dass sich die im Rahmen der neugeschaffenen Region zugesagte Autonomie zu einer Scheinautonomie entwickelte und das Misstrauen der Südtiroler gegenüber der italienischen Politik in fast allen Bereichen gerechtfertigt war, wobei immer mehr die Trentiner – mehr noch als die Zentralregierung in Rom – zum <i>„eigentlichen Feind der Südtiroler“</i> wurden, wie der bekannte Südtiroler <b>Graf Trapp</b> es einmal formulierte.<BR /><BR /><BR /><b>Fazit</b><BR /><BR /><BR />Wer das Abkommen fair und objektiv beurteilen will, muss die internationale Gesamtlage 1945/46 berücksichtigen, in der verhandelt wurde. Wer damals deutsch sprach, hatte schlechte Karten. Für die Großen war Südtirol nur eine Fußnote. Die Welt drehte sich nicht um Südtirol.<BR /><BR /><BR />Gemessen an der zunächst erhobenen Maximalforderung Österreichs – Rückkehr Südtirols – war das Erreichte allerdings auf den ersten Blick für viele unbefriedigend. Entsprechend negativ bis ablehnend waren damals auch die Reaktionen, vor allem in Innsbruck und Bozen. Was das Abkommen langfristig bedeutete, wurde lange Zeit nicht gesehen; viele wollten es auch gar nicht sehen. Aber: Das Gruber De-Gasperi­Abkommen war – und ist – die Grundlage für Südtirols Autonomie und Österreichs Südtirolpolitik. Bei der Beurteilung verwechseln viele die unbefriedigende Umsetzung des Abkommens mit dem Abkommen selbst. Das sollte man nicht tun.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677213_image" /></div> <BR /><BR />Das Gruber-De-Gasperi-Abkommen war das Beste, was Gruber noch in Paris angesichts der Gesamtsituation für Südtirol erreichen konnte: zum einen eine völkerrechtlich abgesicherte Option, die von Italien anerkannte Schutzmachtfunktion Österreichs für Südtirol, und eine akzeptable Regelung der Optantenfrage, d. h. die ca. 130.000 Optanten würden die italienische Staatsbürgerschaft zurückerhalten und nicht weiter staatenlose, d. h. rechtlose DP, displaced persons, sein.<BR /><BR /><BR />Ich habe das Abkommen 1987 auf der Basis erstmals untersuchter, bis dahin vertraulicher Akten trotz all seiner Schwächen denn auch als Magna Charta Südtirols bezeichnet. Bis dahin galt das Abkommen ja als ein <Kursiv>„einmaliges Dokument österreichischer Schwäche“</Kursiv> (so Bruno Kreisky als Abgeordneter; als Außenminister sah er das dann allerdings anders), Karl Gruber als „Verräter“, als „Agent der Engländer“, der Südtirol in Paris, dem „Ort der Untat“, für ein „Linsengericht“ verkauft und vor De Gasperi „kapituliert“ hatte. Niemand kannte die Akten!<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677216_image" /></div> <BR /><BR />Inzwischen ist die Bedeutung des Abkommen als Südtirols Magna Charta längst akzeptiert und wird entsprechend gewürdigt. Die Gründe sind einleuchtend, denn<BR /><b>1.</b> Dieses Abkommen war Teil des italienischen Friedensvertrages und damit Völkerrecht, mit anderen Worten:<BR /><b>2.</b> Nur dieses Abkommen garantiert die völkerrechtlich abgesicherte Autonomie für Südtirol. Das gilt bis heute! Da kann in Rom regieren, wer will.<BR /><b>3.</b> Mit diesem Abkommen war Südtirol, anders als in der Ersten Republik zur Zeit des Faschismus in Italien, keine inneritalienische Angelegenheit mehr.<BR /><b>4.</b> Ohne dieses Abkommen hätte es im Oktober 1960 keine Südtirol-Resolution der UNO gegeben, wäre das Thema nicht einmal auf die Tagesordnung der UNO gekommen.<BR /><b>5.</b> Mit diesem Abkommen wurde Österreich Vertragspartner in Sachen Südtirol.<BR /><BR /><BR />Österreich konnte bei der Umsetzung des Abkommens den Südtirolern zunächst nicht viel helfen. Es hatte sein eigenes großes Problem, nämlich wie man die Russen aus dem Land bekommen konnte. Mit dem Staatsvertrag 1955 erhielt es endlich seine Unabhängigkeit und damit auch seine außenpolitische Handlungsfreiheit zurück. Erstmals seit 1945/46 wurde Südtirol in den folgenden Jahren wieder zu einem zentralen Thema der österreichischen Außenpolitik – ausschließlich ermöglicht durch dieses Abkommen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="677219_image" /></div> <BR /><BR /><BR /><b>Buchtipp:</b><BR />Rolf Steininger, Südtirol. Vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, Haymon Taschenbuch, Innsbruck-Wien 2020, 319 Seiten<BR />Bestellen: www.athesiabuch.it<BR /><BR /><BR />