In Paris hatten sich am 1. Mai alle 4 Außenminister – auch <Fett>Molotow</Fett> – gegen die Rückgabe Südtirols an Österreich ausgesprochen. Eine solche Einstimmigkeit machte die Briten damals automatisch misstrauisch.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="676226_image" /></div> <BR /><BR />Welche Strategie verfolgten die Sowjets? Die Briten gaben intern folgende Antwort:<BR /><i>„Es sieht so aus, als ob die Sowjets mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber jeder Grenzkorrektur zum Nachteil Italiens in Italien Kapital für sich herausschlagen und gleichzeitig Österreichs Willen zur Unabhängigkeit einen Schlag versetzen wollen, in der Hoffnung, dass das Land umso leichter dem Kommunismus zum Opfer fällt.“</i><BR /><BR /><BR />Das galt es zu verhindern. Um Österreichs Willen zur Unabhängigkeit zu stärken, wollte man dem Land jetzt etwas von Südtirol geben, aber nur so viel, dass die Unterzeichnung des Friedensvertrages durch Italien nicht gefährdet würde. Daraus entstand der Plan zur Rückgabe des Pustertales.<BR /><BR /><BR />Ausgangspunkt war die fehlende direkte Eisenbahnverbindung zwischen Ost- und Nordtirol. Darauf hatte bekanntlich <b>Bundespräsident Renner</b> in seinem Schreiben vom 6. Februar hingewiesen. Was die Gefühle der Österreicher angehe, so hatte es bereits am 1. April im Foreign Office unter Hinweis auf Renners Brief geheißen, würden sie über den Verlust von Schloss Tirol und dem Land Andreas Hofers trauern, aber die Eisenbahnlinie Lienz-Brenner sei für Österreich von <i>„allergrößter Bedeutung“.</i><BR /><BR /><BR />Die Briten brachten jetzt die Eisenbahnlinie ins Spiel. Am 5. Mai gab der britische Vertreter in Wien im Auftrag von <b>Bevin Gruber</b> den Rat, die österreichische Regierung solle das Pustertal – ohne Brixen – fordern, Bevin werde das als <i>„kleinere Grenzberichtigung“</i> im Rat der Außenminister unterstützen.<BR /><BR />Gruber stimmte sofort zu. 6 Tage später wurde eine entsprechende Forderung in Paris übergeben – allerdings mit Brixen.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="676229_image" /></div> In der Sitzung des Ministerrats am 21. Mai bat Gruber, <i>„sofort wegen der Pariser Konferenz berichten zu dürfen“.</i> Er habe die Absicht, nach Paris zu fahren, <i>„um dort ohne Aufgabe unseres Standpunktes bezüglich 'ganz Südtirols' zu trachten, schon die Grenzrevisionen möglichst günstig für Österreich zu gestalten“.</i> Als <b>Minister Helmer</b> fragte, was das für neue Vorschläge seien, antwortete Gruber, Rektifikationen hätten nur einen Sinn, wenn sie eine sachliche Grundlage hätten. Eine solche Grundlage sei die Bahnverbindung von Innsbruck nach Osttirol, und weiter: <BR /><i>„Wir haben eine Note nach Paris gerichtet, glauben aber nicht, dass der Italiener davon beeindruckt wird. Vielleicht kommt doch noch der Plebiszitgedanke zum Durchbruch. Wir wollen natürlich wegen der Grenzrektifikationen unseren Gesamtstandpunkt nicht aufgeben. Unsere Note umfasst: das Pustertal mit der Stadt Brixen; gewisse kleinere Grenzführungen von Brixen nach Westen sind noch offen.“</i><BR /><BR /><BR /><b>Teilung als Strategie?</b><BR /><BR /><BR />Gruber hatte eine Strategie. Sie lief in der ersten Phase auf die Teilung Südtirols hinaus, verbunden mit der Hoffnung, in einer zweiten Phase für ganz Südtirol ein internationales Statut zu bekommen. Es war die falsche Strategie, und am Ende stand Gruber mit leeren Händen da.<BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="676232_image" /></div> <BR />Von einer möglichen Teilung Südtirols hatte Gruber bereits im April gesprochen und ein entsprechendes Memorandum an die Briten weitergeleitet. Diese Idee griff er jetzt wieder auf. Dass er darüber weder mit dem <b>SVP-Obmann Amonn</b> noch mit dem einflussreichen <b>Kanonikus Michael Gamper</b> sprach, war ein entscheidender Fehler.<BR /><BR /><BR />Tatsache ist allerdings, dass es einen Tag nach dem Generalstreik in Tirol am 3. und 4. Mai zwei hochinteressante Gespräche gab, in denen das weitere Vorgehen beschlossen wurde und in denen es um die mögliche Teilung Südtirols ging. Teilnehmer waren <b>Gruber,</b> Generalsekretär <b>Wildner,</b> Legationssekretär <b>Schöner,</b> und von Südtiroler Seite <b>Reut-Nicolussi, Baron</b><b>Sternbach</b> und die Herren <b>Thalhammer</b> (Leiter der Landesstelle für Südtirol), <Fett>Sigl</Fett> (Obmann des Peter- Mayr-Bundes) und <b>Müssiggang.</b> Gruber betonte gleich zu Beginn, dass es nach der Ablehnung in Paris darum gehe, <i>„entweder alles aufzugeben oder eine neue diplomatische Aktion auf kleinerer Basis zu entfalten... Es kommt ein spektakulärer Schritt in Frage, der einen neuen Kompromiss darstellt. Es handelt sich darum, eine Art Korridor zu ziehen, der den Italienern die Bozner Industriezone belässt... Ich glaube nicht, dass die italienischen Siedler südlich des Brenners rückgesiedelt werden könnten. Es handelt sich jetzt darum, nicht mehr um die100-prozentige, sondern 75-prozentigeige Erfüllung unserer Forderung zu reden.“</i><BR /><BR /><BR />Und dann kam das, was eindeutig auf Teilung Südtirols hinauslief: <i>„Unser Vorschlag stellt eine gerade Grenzlinie von Osten nach Westen dar, die sicher etwas Bestechendes an sich hat.“</i><BR /><BR /><BR />Baron Sternbach erklärte, dass die Salurner Klause für Tirol die gleiche Rolle spiele wie der Brenner für Italien. Italien werde die Aufgabe des Brenners stets mit allen Mitteln bekämpfen. Er ziehe eine internationale Kontrolle des ungeteilten Südtirol unter formeller italienischer Herrschaft einer Teilung vor, bis es zu einer definitiven Regelung, wenn auch nach Jahren, käme.<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="676235_image" /></div> <BR />Darauf Gruber dezidiert: <i>„Wenn wir Südtirol zu Österreich haben wollen, bleibt kein Raum für die italienische Fahne am Brenner.“</i> Als Voraussetzungen für ein befriedigendes Minimum für Österreich nannte er dann:<BR /><b>1.</b> Die Verbindungslinie zwischen Ost- und Nordtirol<BR /><b>2.</b> Das Burggrafenamt mit dem Vinschgau<BR /><b>3.</b> Diese Gebiete müssten durch brauchbare Verkehrslinien verbunden bleiben.<BR /><BR /><BR />Gruber weiter.<BR /><BR /><BR /><i>„Wenn diese 3 Punkte anerkannt werden, dann kann man mit den Italienern schon reden. Wenn Italien die Brennergrenze nicht halten kann, dann ist es ihm ziemlich gleichgültig, ob die neue Grenze mehr oder weniger südlich verläuft. Wir können nach Paris nicht mehr mit der Forderung nach Salurn gehen, sondern mit diesem neuen Projekt, sonst gehen wir besser gar nicht hin.“</i><BR />Baron Sternbach erklärte daraufhin, <i>„die Ausführungen des Herrn BM[Bundesministers] hätten ihn überzeugt und er stimme dem neuen Projekt zu.“</i><BR /><BR /><BR /><b>Teilung Südtirols mit erneuter Umsiedlung und Besitzaustausch</b><BR /><BR /><BR />Am selben Tag notierte Gruber in einer streng vertraulichen Analyse Einzelheiten seines Plans. Demnach war die österreichische Regierung bei Erfüllung der zuvor bereits genannten Bedingungen bereit, die Südtirolfrage für erledigt zu betrachten.<BR /><BR /><BR />Bei Italien würden verbleiben: das österreichisch besiedelte Bozner Unterland, die gesamte Bozner Industriezone mit dem Siedlungsgebiet für die italienischen Arbeiter, und der größte Teil des ladinischen Gebietes, soweit diese Gebiete verkehrstechnisch nach Süden erschlossen seien.<BR /><BR /><BR />Der Verzicht Österreichs auf eine Zurückziehung seiner Ansprüche hinsichtlich dieser Gebiete – <i>„naturgemäß das Äußerste“</i>– werde zweifellos ein schweres Opfer bedeuten und der betroffenen Bevölkerung nicht leicht verständlich zu machen sein. Um eine endgültige ethnische Bereinigung aber trotzdem vorzubereiten, würde die österreichische Regierung weiterhin vorschlagen, eine freiwillige Umsiedlung mit Besitzaustausch der seit 1918 eingewanderten Italiener in das zu Österreich gelangende Gebiet nach Süden und der österreichischen Bevölkerung in diesem Gebiet nach Norden vorzunehmen. Soweit von dieser freiwilligen Umsiedlung nicht Gebrauch gemacht würde, würde diese Bevölkerung sich zu Italien bekennen.<BR /><BR /><BR /><b>Statt Teilung Statut?</b><BR /><BR /><BR />Am 4. Mai wurde die Besprechung fortgesetzt – ohne dass Gruber etwas von seinem Plan verriet. Da von Rom mit schärfster Opposition gegen den Verlust der Brennergrenze zu rechnen sei, favorisierte Reut-Nicolussi jetzt wie Baron Sternbach ein internationales Statut unter maßgeblicher Beteiligung Österreichs. Gruber fasste zusammen, wie das aussehen sollte:<BR /><b>1.</b> „Österreich ist mit der strategischen Kontrolle Südtirols durch Italien einverstanden.<BR /><b>2.</b> Die zivile Verwaltung ist gemischt österreichisch-italienisch, die militärische Verwaltung italienisch.<BR /><b>3.</b> Industrien können in italienischen Händen bleiben. Die Südtiroler sind im Tiroler Landtag, Nationalrat und allenfalls in der Bundesregierung vertreten; gegen gleichzeitige Vertretung in Rom besteht kein Einwand.<BR /><b>4.</b> Rücksiedlung der Optanten und Rückgängigmachung der faschistischen Unterdrückungsgesetze ist unbedingt notwendig.<BR /><b>5.</b> Die landwirtschaftlichen Produkte Südtirols gehen nach Österreich, Industrieprodukte und Energie nach Italien; über Holz wäre Sonderabkommen zu treffen. <BR /><b>6.</b> Freier Grenzverkehr zwischen Nord- und Südtirol.“<BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="676238_image" /></div> <BR /><BR />Also doch keine Teilung, sondern erst Pustertal-Lösung, dann die „große“ Lösung für Südtirol? Wenn Italien einmal die Überzeugung habe, dass die Brennergrenze gefährdet sei, dann, so Gruber, könnte man eventuell Vorschläge für ein Südtirol-Statut an Italien richten: <i>„Diese Trumpfkarte müssen wir uns in Paris verschaffen. Wenn wir in Paris nichts Wesentliches erreichen sollten, können wir niemals ein erträgliches Statut durchsetzen.“</i><BR /><BR /><BR /><b>Ablehnung in Südtirol</b><BR /><BR /><BR />In Südtirol war die Pustertal-Lösung – offensichtlich ohne Kenntnis des geheimen Gruberplans – gleichbedeutend mit Teilung. Entsprechend heftig war die Reaktion. Die Südtiroler, so Kanonikus Gamper, würden diese „Lösung“ absolut ablehnen, insbesondere auch wegen der katastrophalen Folgen, die sich für den bei Italien verbleibenden Teil des Landes daraus ergeben würden. Der Druck der italienischen Mehrheit auf die tirolische Minderheit werde für diese umso sicherer tödlich wirken. Durch die Abtrennung der Bischofsstadt Brixen werde die Geistlichkeit der Führung beraubt und das Volk müsse umso leichter eine Beute der italienischen Unterdrückungspolitik werden. Und „ohne Meran, die Wiege des Landes Tirol, gibt es kein Tirol.“ Ebenso nicht ohne Passeier, dem Geburtsort Andreas Hofers.<BR /><BR /><BR />SVP-Obmann Amonn wurde noch deutlicher. Der Plan sei ein <i>„tödlicher Schlag gegen das eigentliche Herzstück von Tirol“</i> und werde schließlich zur Teilung des Landes führen. Es werde da und dort ganz offen von einem Verrat der österreichischen Regierung an Südtirol gesprochen.<BR /><BR /><BR /><b>In der nächsten Folge: Das Scheitern einer Taktik.</b><BR /><BR /><BR /><div class="img-embed"><embed id="676241_image" /></div> <b>Buchtipp:</b><BR />Rolf Steininger (Hrsg.), Ein Leben für Südtirol. Kanonikus Michael Gamper und seine Zeit <BR /><Fett>Bestellen</Fett>: www.athesiabuch.it<?Schrift SchriftGroesse="5,5pt">  <BR /><?_Schrift> <BR /><BR /><BR /><BR />